Wenn am kommenden Donnerstag die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland angepfiffen wird, beginnt ein weltumspannendes Medienspektakel, an dem auch eine Bremer Firma wesentlich beteiligt sein wird. Hunderttausende Zuschauer werden die 72 Spiele im Stadion verfolgen, Hunderte Millionen oder mehr im Fernsehen. Die Kameraleute werden dabei auf speziellen Hightech-Sitzen am Spielfeldrand Platz nehmen, die in der Bremer Neustadt in der Werkstatt der Firma Orbiter Research GmbH entwickelt und gebaut werden.
Dort sitzen der Bremer Uwe Hemrich und der aus Berlin angereiste Roberto Pintore, die Köpfe dieses kleinen, aber international aufgestellten Unternehmens. „Mit unserem Modell Orbiter 500 Superflat sind wir bei allen Spielen in allen Stadien der WM in Russland dabei“, sagt Pintore, der den Prototypen des ersten Kamerasitzes 2001 entwickelt hat.
Inzwischen sind etwa 500 Sitze auf allen Kontinenten im Einsatz. Der Kick-off, um es im passenden Fußball-Jargon zu formulieren, für das Produkt und die Marke Orbiter war die EM 2004 in Portugal. „Damals hat eine große Fernsehfirma 18 Kamerasitze angemietet, die wir danach verkauft haben“, berichtet Pintore. Seitdem sind die Sitze bei allen Europa- und Weltmeisterschaften seit 2004 vertreten, dazu in der Bundesliga und der Champions League, beim Afrika Cup, bei Olympischen Spielen sowie großen Tennisturnieren von Shanghai bis zu den French Open.
Auch Uwe Hemrich wohnte 2001 noch in Berlin, hatte in Kreuzberg eine kleine Motorradwerkstatt. 2004 hat er seinen damaligen Nachbarn Roberto Pintore kennengelernt, der als Bildingenieur fürs Fernsehen arbeitete und jemanden suchte, der die ebenfalls von ihm entworfenen Kabeltrommeln bauen kann. „Roberto hatte gehört, dass da jemand Alu schweißen kann und ist einfach mal vorbeigekommen“, erinnert sich Hemrich an die Anfangszeit.
Verstehen, was die Kunden brauchen
Neun Jahre lang haben die beiden High-Tech-Kabeltrommeln für bis zu 2000 Euro das Stück zusammen entwickelt und gebaut. 2013 zog Hemrich der Liebe wegen nach Bremen, 2015 hat er seinem Berliner Partner die Patente der Kamerasitze abgekauft und vollverantwortlich die Produktion dieser übernommen. Roberto Pintore ist weiterhin für Kommunikation und Marketing verantwortlich, die „Verkaufsrampensau“ wie er es selber nennt.
Zudem entwirft der Berliner die Konzepte für die Orbiter-Produkte, zu denen neben verschiedenen Kamerasitzmodellen für Sportübertragungen auch Sondersysteme für Kameras gehören, die beim Aufzeichnen von Raketenstarts, etwa der Ariane 5 in Französisch-Guyana, zum Einsatz kommen. „Ich konzentriere mich darauf zu verstehen, was unsere Kunden brauchen“, sagt der 52-Jährige.
Uwe Hemrich hat aktuell 20 Exemplare des Exportschlagers in seiner Werkstatt in der Neustädter Industriestraße stehen. Etwa ein halbes Jahr hat der 50-Jährige daran mit einem festen Mitarbeiter gearbeitet, nebenher allerdings noch seinen ursprünglichen Job als Mechaniker für die Instandsetzung von Motorenteilen erledigt.
Gut 92 Kilogramm wiegen die Kamerasitze inklusive des Trolleys, mit dem sie relativ leicht transportiert werden können. Das Material ist zu 90 Prozent Flugzeugaluminium und korrosionsfreier Stahl für den ständigen Außeneinsatz in den Stadien. Nur die Sitzschalen und Griffe sind aus Kunststoff gefertigt. „Die Geräte sollen so klein wie möglich und so groß wie nötig sein“, erklärt Mechaniker Uwe Hemrich.
Ein gewisses Eigenwicht sei allerdings Voraussetzung, da die Statik wegen des Gewichtes der Kamera sonst nicht mehr stimme. Um die 10.000 Euro müssen Fernsehfirmen pro Sitz investieren. „Dafür betreiben wir aber auch viel Aufwand in puncto Stabilität und Design. Wir setzen auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit“, sagt Roberto Pintore. Der einzig namhafte Wettbewerber in diesem überschaubaren Markt ist die Firma Cam Seat aus England, die zwar schon länger am Markt ist als Orbiter Research und auch mehr verkauft, aber eben auch billiger produziert.
"Das war eine lebensgefährliche Konstruktion"
„Bei uns ist alles mit robuster und simpler Mechanik für eine hohe Nutzungsdauer konzipiert, betont Uwe Hemrich. Inzwischen kommen nach 16, 17 Jahren im Einsatz am Spielfeldrand auch die ersten Sitze zurück zum Unternehmen, die dann in der Werkstatt ähnlich wie bei einem Tauschmotor runderneuert werden. Zum Schluss des Werkstattbesuchs erzählt Roberto Pintore noch eine skurrile Geschichte.
Vor Jahren kam eine Anfrage aus Abu Dhabi für vier Kamerasitze. Pintore dachte es ginge um normale Stadionkameras, hat geliefert und später ein Foto eines Kollegen bekommen, das zeigte, das die Sitze auf SUVs geschraubt wurden, um damit Kamelrennen zu filmen. „Das war eine lebensgefährliche Konstruktion, für die ich keine Verantwortung übernehmen konnte. Die Autos fahren mit bis zu 60 Stundenkilometern“, erinnert er sich.
Pintore ist dann in Absprache mit dem Kunden nach Abu Dhabi geflogen und hat die Sitze mit Gurten, Bremsen und Keilriemen gesichert. Für die Sitze, die bei der Fußball-Weltmeisterschaft zum Einsatz kommen, sind solche Sicherheitsvorkehrungen natürlich nicht notwendig.