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Made in Niedersachsen Weltmarktführer für Nummernschilder

Hinrich Tönjes begann 1832 mit der Korken-Produktion. Heutzutage ist die Firma überall gefragt wegen seiner Hightech-Nummernschilder. Die einen nutzen sie für die Maut, die anderen für Knöllchen.
20.05.2018, 05:05 Uhr
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Von Lisa Büntemeyer

Es geht von Bremen aus nach Delmenhorst-Stickgras – die erste Ausfahrt auf der B75 nach der Landesgrenze zu Niedersachsen. Von dort geht es weiter durch das Industriegebiet und anschließend über einen schmalen, von Birken gesäumten Weg, vorbei an einer alten Villa. Da ist endlich das Gelände der Unternehmensgruppe Tönnjes. Bei der Firma handelt es sich wirklich um einen „Hidden Champion“ – also einen versteckten Champion.

Und leicht versteckt ist es schon. Holzscheite lagern vor einer umgebauten Scheune, der Standort mutet eher bäuerlich denn weltmännisch an. Doch ein paar Meter weiter lässt eine moderne Glasfront erahnen, dass sich einiges getan hat, seit Tönnjes hier 1832 als Korkproduzent startete. Wo Mitarbeiter einst Flaschenverschlüsse schnitzten, rattern heute im gleichmäßigen Takt High-Tech-Nummernschilder durch die Maschinen in der Produktionshalle.

Die Geräte stampfen und zischen laut. Sie bedrucken die Nummernschilder. Es fällt dabei schwer, das eigene Wort zu verstehen. 190 Mitarbeiter arbeiten hier in Delmenhorst. Bei der Kennzeichenproduktion legen sie noch selbst Hand an. In Italien, wo ein zusätzlicher Standort entsteht, wird das anders sein. Dort baut Tönnjes gerade die weltweit erste vollautomatische Kennzeichenproduktion auf. Nummernschilder, gefertigt von Robotern.

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Die Wandlung vom Korkproduzenten zum High-Tech-Kennzeichenhersteller liegt nicht gerade auf der Hand. Bei genauerer Betrachtung der 185 Jahre langen Firmengeschichte von Tönnjes ist der Weg aber nachvollziehbar. Der Beginn lief damals für Unternehmensgründer Hinrich Tönjes alles andere. Jawohl, der Gründer schreibt seinen Nachnamen nur mit einem N. Das doppelte N im Unternehmensnamen ist einem verschnarchten Amtmann zu verdanken. Der saß im Registergericht und fügte beim Eintrag ins Gewerbebuch fälschlicherweise ein N hinzu. Schließlich blieb das Unternehmen bei der Schreibweise.

Anfangs schnitzte Tönjes Korken für Flaschen. Später erweitere er die Produktpalette: Es kamen Rettungsringe, Hutstreifen und orthopädische Artikel aus Kork hinzu. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs stellte das Unternehmen auf Kronkorken um – die waren günstiger. Damit stieg Tönnjes in die Metallverarbeitung und -lackierung ein, kurz darauf auch in die Verarbeitung von Kunststoff zu Schraubverschlüssen.

Weltmarktführer durch neuartige Technik

Der Umschwung kam 1960: Billig-Importe ließen den Preis von Kronkorken einbrechen, das Geschäft war nicht mehr rentabel. Die Maschinen und das Know-how des Unternehmens eigneten sich aber für ein anderes Produkt: Nummernschilder für Autos. Heute ist das Unternehmen immer noch in Familienhand, Piet Tönjes leitet es in sechster Generation.

Heutzutage arbeiten weltweit etwa 2000 Angestellte an eigenen Standorten und denen von Partnern. Die Unternehmensgruppe ist breit aufgestellt: Sie produziert auch Maschinen und Werkzeuge für die Herstellung der Kfz-Kennzeichen, bietet Zulassungsdienste an und beliefert 120 Länder mit Nummernschildern. Was die Delmenhorster aber einzigartig macht: Eine neuartige Technik, um Autos über einen Chip im Kennzeichen identifizieren zu können.

Es ist eben diese Technik, die Tönnjes zum Weltmarktführer im Bereich Fahrzeugidentifikation macht. „Das war ein fantastischer Tag, als wir die Idee dazu hatten“, sagt Dietmar Mönning, Geschäftsführer von Tönnjes E.A.S.T., einem weiteren Teil der Unternehmensgruppe. Mönning bezeichnet diesen Tag als einen der schönsten in seiner 33-jährigen Laufbahn im Unternehmen – auch wenn ihm damals, 2007, nicht bewusst war, welche Wellen die Idee schlagen würde.

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Die Idee, von der er spricht, nennt sich RFID, kurz für Radio Frequency Identification. Eine Technik, die bereits in Smartphones oder Reisepässen eingesetzt wird, in der Autobranche aber neu ist. Das Prinzip: Spezielle Lesegeräte können Fahrzeuge über einen Chip im Kennzeichen oder in einem Sticker auf der Windschutzscheibe automatisch identifizieren.

Das Lesegerät erhält eine verschlüsselte Nummer, hinter der sich Daten zum Fahrzeugmodell, zur Farbe, der Marke und der Kennzeichennummer befinden. Diese Daten kann laut Mönning aber nur die zuständige Verkehrsbehörde entschlüsseln. Die Technik beschert dem Unternehmen einen Großauftrag nach dem anderen: Das Verkehrsministerium der Philippinen hat die Delmenhorster gerade mit der Lieferung von 2,4 Millionen RFID-Stickern für Autos und Motorräder beauftragt.

Das ist aber nicht ­alles. Fast 3,3 Millionen Kennzeichen ­kommen noch hinzu. Damit will das Verkehrsministerium die Zahlung der Mautgebühren vereinfachen. Die Technik made in Delmenhorst ist bereits in der Türkei im Einsatz ­sowie auf den Cayman Inseln, in Panamá und in Peru. In Deutschland dürfen die Chip-Nummernschilder allerdings noch nicht auf die Straße. „Laut der Norm sind Kennzeichen mit Chips in Deutschland nicht zugelassen“, sagt Mönning. Allerdings hätten Bundestagsabgeordnete bereits Interesse geäußert.

Kennzeichendiebstähle verhindern

Die RFID-Technik könnte im deutschen Straßenverkehr laut Mönning beispielsweise für die Maut oder in Umweltzonen eingesetzt werden. Die automatische Fahrzeugidentifikation würde dabei ein Personalproblem der Polizei lösen, so der Geschäftsführer. Denn die Polizei könne in Umweltzonen nur Stichprobenkontrollen unternehmen. Die Technik von Tönnjes würde automatisch erkennen, ob Autos in die Umweltzone fahren dürfen oder nicht – weil die Chips Daten zur Schadstoffemission speichern können.

„Der Staat könnte automatisch ein Bußgeld verhängen“, sagt Mönning. Datenschutztechnisch sei das kein Problem: „Die Identifikationsnummer könnte nur vom Kraftfahrtbundesamt entschlüsselt und mit dessen Datenbank abgeglichen werden. Wir heißen nicht Facebook.“ Außerdem könnten die Chips Kennzeichendiebstähle verhindern. In Deutschland, berichtet Mönning, werden jährlich etwa 160.000 Autokennzeichen gestohlen.

Stimmen der Sticker auf der Windschutzscheibe und das Kennzeichen nicht überein, würden die Lesegeräte sofort Alarm schlagen. Anders als bei Verkehrskameras, die Kennzeichen bei starkem Regen oder Verschmutzung kaum erkennen können, erfassen die Geräte den Chip auch noch bei Geschwindigkeiten um 160 Stundenkilometer. Das dürfte so manchen Autofahrer gefallen: In vielen Ländern gilt ein Tempolimit von 120 oder 130 Stundenkilometern, sie können an den Mautstationen theoretisch bei gleicher Geschwindigkeit durchfahren.

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