Die Zukunft der Ariane 6 entscheidet sich zwischen Laubbäumen und Hügeln. Denn hier, in Lampoldshausen im Harthäuser Wald mit seinen knapp 1000 Einwohnern, 30 Kilometer nördlich von Heilbronn, steht ein Gebäude, das einzigartig ist in Europa. Etliche Meter hoch, drei Rolltore an einer Seite übereinander, auf der anderen ein überdimensionales Schiebetor. Ein Hingucker – nicht weil es besonders hübsch ist, sondern weil es so gar nicht in die idyllische Landschaft drumherum passt.
Doch auch hier gilt: Wichtiger als das Außen ist das Innen. Zwischen Hunderten Rohren, Ventilen und dicken blauen Stahlträgern soll die europäische Rakete eine große Hürde nehmen, damit sie in 500 Tagen zum ersten Mal starten kann. Das Gebäude im Wald, es gehört zum Standort des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR), das in Lampoldshausen seit mehr als 60 Jahren Raketentriebwerke erforscht. In dem neuen Bau, der intern P 5.2 genannt wird, kann nun auch ein wichtiger Teil der Ariane 6 getestet werden.
Denn bevor die Rakete am 16. Juli 2020 ihren Jungfernflug antreten kann, muss alles überprüft und ausprobiert worden sein. Ist sie erst einmal in der Luft, lassen sich Pannen nicht mehr beheben. Und genau deshalb gibt es P5.2. Hier können nicht nur die Triebwerke oder Einzelteile wie sonst beim DLR in Lampoldshausen getestet werden. Zum ersten Mal überprüfen die Forscher und Ingenieure, wie sich eine komplette Oberstufe verhält, wenn ihr Triebwerk gezündet wird.
Einen Vorgeschmack gab es schon vergangene Woche, als der 50 Millionen Euro teure Teststand eingeweiht wurde. Theatralische Musik, flackernde Scheinwerfer, Kunstnebel. „Ein historischer Moment“, sagte einer der Redner zur Eröffnung. Allerdings kein Vergleich zu dem, was bei dem Test passieren wird. Dann, wenn das 550 000 PS starke Triebwerk der Oberstufe dröhnt. Wenn eine gewaltige Wolke aus Dampf über ein riesiges Rohr in Richtung Wald geleitet wird. Wenn die „Symphonie des Fortschritts“ erklingt. So nennt Pierre Godart das laute Donnern des Triebwerks. Seines Triebwerks.
Godart ist Chef der Ariane Group in Deutschland, dem Hersteller der Ariane-Raketen. Schmale Brille, kurze Haare, ein grauer Mantel zum Anzug. Die Hände verschränkt er während des kurzen Gangs vom DLR-Hauptgebäude zum Teststand hinter dem Rücken, ganz so wie jemand, der viel Zeit für einen genüsslichen Spaziergang hat. Dabei ist Zeit das, was Godart gerade nicht hat.
500 Tage bis zum Start hören sich nach viel an, sind in einer Welt, in der Raketen über viele Jahre hinweg entwickelt und fortwährend optimiert werden, aber gar nichts. Deswegen lässt Godart an vielen Stellen gleichzeitig bauen. In Bremen entsteht, wie schon bei der Vorgängerin Ariane 5, die Oberstufe. In Ottobrunn bei München werden die Antriebe der Raketen gefertigt, auch Frankreich liefert wichtige Teile zu und in Französisch-Guyana wird gerade ein neuer Startplatz errichtet. „2019“, sagt Godart, „wird ein herausforderndes Jahr.“
Doch es ist nicht nur der Zeitdruck, der den Bau der Ariane erschwert: Noch bevor der europäische Hoffnungsträger geflogen ist, bekommt er Kritik von vielen Seiten. Erst vor wenigen Wochen hat der französische Rechnungshof die Trägerrakete als zu konventionell bezeichnet. Er glaubt, dass die Rakete „Gefahr läuft, langfristig nicht wettbewerbsfähig zu sein“ – ganz im Gegensatz zu den Raketen von Elon Musk und seiner Firma SpaceX. Sie ist vor allem dafür bekannt, dass Teile der Rakete wiederverwendet werden können.
SpaceX ist allerdings nicht nur hinsichtlich der Technologie ein erbitterter Konkurrent der Europäer, sondern auch in Sachen Geld. Denn das Unternehmen bietet seine Raketen in Europa für viel weniger an als etwa in den USA. Während die US-Weltraumbehörde Nasa 100 Millionen Dollar für einen Start zahlt, ist es für europäische Kunden gerade einmal die Hälfte. Allerdings ist die Nasa auch dazu verpflichtet, für Starts auf Raketen aus den USA zurückzugreifen. Eine entsprechende Regel in Europa gibt es nicht, wird aber immer wieder von der Industrie gefordert.
Godart sieht darin eine Subvention der US-Regierung. Er glaubt: SpaceX verkauft seine Rakete an die Nasa für sehr viel Geld, um sie bedeutend günstiger in Europa anbieten und Ariane Group damit unterbieten zu können. Das deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen berechnet den Preis für eine Ariane 6 mit etwa 70 Millionen Euro, die aktuelle Ariane 5 kostet deutlich mehr.
Musk und SpaceX hatten Subventionen stets abgestritten und den Nasa-Preis mit höheren Anforderungen begründet. Umso skurriler daher die Meldung der vergangenen Tage: Offenbar hat sich SpaceX beim US-Handelsministerium über Subventionen für Mitbewerber beklagt, heißt es in einem Bericht der französischen Finanzzeitung "Les Echos“. So greife SpaceX die Europäische Union dafür an, dass Bau und Entwicklung der vier Milliarden Euro teuren Ariane 6 öffentlich gefördert würden, auch durch subventionierte Infrastruktur ergebe sich ein "künstlich niedriger Preis", heißt es in einem Schreiben an das Ministerium.
Ariane-Group-Chef Godart kann diese Anschuldigungen nicht nachvollziehen. Im Gegenteil. „Ich halte sie für ganz schön gewagt“, sagt er dem WESER-KURIER. Schließlich sei es die Firma SpaceX, die Subventionen erhielte, und auch die Infrastruktur habe das US-Raumfahrtunternehmen nicht selbst geschaffen. „Hat Elon Musk den Startplatz etwa selbst gebaut und bezahlt?“, fragt Godart.
Dass die Amerikaner ein großer Konkurrent sind, steht außer Frage. Der Kostendruck – besonders auf die neue Ariane 6 – ist enorm. Daher arbeiten die Ingenieure schon jetzt daran, die Trägerrakete noch günstiger zu machen. Aktuell gibt es etwa Pläne, die Oberstufe künftig aus Kohlefaser zu bauen – und nicht mehr wie bisher aus Aluminium. Das soll Gewicht und somit Kosten sparen. Auch Bauteile aus dem 3D-Drucker sollen künftig eine wichtigere Rolle spielen. Ab 2025 könnte die verbesserte Ariane 6 fliegen.
Die wohl größte Zäsur verbirgt sich aber hinter dem Namen Themis. Ziel dieses Projekts ist der Bau einer ersten Raketenstufe, die mehrfach genutzt werden soll. Lange hatte man sich in Europa gegen wiederverwertbare Stufen gesperrt, noch bei der Entwicklung der Ariane 6 einen anderen Weg als SpaceX gewählt. Erste Animationen von Themis zeigen nun, wie die Stufe erst abhebt und wenig später wieder in unmittelbarer Nähe des Startplatzes landet – ganz so, wie es bereits die Raketen von Elon Musk machen.
Aktuell entsteht im Bremer Werk die Oberstufe, die Anfang 2020 in Lampoldshausen getestet werden soll. Geht alles gut, nimmt die Ariane 6 einen wichtigen Schritt Richtung Zukunft. Wie die aussieht? Das kann an diesem Tag in Lampoldshausen noch niemand so genau sagen.