Herr Platz, ist man mit einem Neubau im Vorteil?
Oliver Platz: Im Endeffekt kann man fast jeden Altbau auch gut sanieren. Natürlich muss man da einiges tun, um den Standard eines Neubaus zu erreichen. Es gibt aber Kriterien, die eventuell wichtiger sind. Das ist zum Beispiel die Lage. Denn oft ist in der gewünschten Lage ein Neubau nur sehr eingeschränkt vorhanden, und dann womöglich auch sehr teuer. Neben der Lage ist sicher der Kaufpreis ein wichtiges Argument. Die Sanierungskosten hängen sehr vom Zustand des Gebäudes und den individuellen Ansprüchen an das Haus ab. Mit Glück kann man auch in einen Altbau einziehen, ohne da etwas zu machen. Man kann aber auch in den Altbau nochmals den Preis der Kaufsumme hineinstecken, um auf einen Neubau-Standard zu kommen und sich dabei einen Altbau wie einen Maßanzug schaffen.

Oliver Platz, Präsident der Bremer Architektenkammer, sieht beim Umweltaspekt einen wichtigen Punkt, bei dem der Altbau gegenüber dem Neubau im Vorteil ist.
Maßanzug ist da vielleicht der treffende Begriff.
Ja, viele meinen, dass der Neubau der bessere Maßanzug sei. Aber auch einen Neubau, den man fertig geplant kauft, macht man ja auch nicht als Maßanzug. Den bekommt man ja meist auch so angeboten, wie er ist, und dann kauft man den. Dann wird er vielleicht etwas konfiguriert. Aber das kann ich im Altbau ja auch machen.
Doch wie sieht es da mit dem energetischen Aspekt aus?
Wenn ich einen Neubau habe, ist der energetisch, bezogen auf die Energie während der Nutzung, meist besser als ein Altbau. Wenn ich aber einen Altbau umfassend saniere, komme ich oft auch in die Nähe des Neubauniveaus. Sie dürfen bei einem Altbau aber nicht den Aspekt der grauen Energie vergessen. Ich habe beim Altbau ja mindestens den Rohbau schon vorhanden. Was ich also nicht an Energie für den Bau von neuen Objekten ausgebe, ist ja ein Vorteil, der einen Altbau viele Jahre trägt. Das kann man damit vergleichen, dass man seinen alten Pullover möglichst lang tragen sollte. Das ist das Beste, was man für die Umwelt tun kann. Dinge möglichst lange zu benutzen, sollte also auch für Bauten gelten. Da wäre der Altbau fast die bessere Variante, wenn ich etwas für die Umwelt tun will: den also nicht abreißen, energetisch sanieren und möglichst lange nutzen.
Aber Räume im Altbau mit drei Meter hohen Decken muss man doch entsprechend mehr beheizen als Räume in Neubauten mit höchstens 2,50 Meter hohen Decken.
Wenn ich den Altbau energetisch gut saniere, also Fassade, Fenster und Dach neu mache, eine gute Haustechnik habe, Solar auf dem Dach, brauche ich nicht mehr 200 Kilowattstunden an Energie pro Quadratmeter im Jahr, sondern vielleicht 50 oder 60. Wenn die wärmetauschenden Flächen kaum noch Energie durchlassen, ist es, auf einem relativ hohen energetischem Niveau, nicht mehr so wichtig, ob das Volumen hinter der Fassade etwas größer oder kleiner ist. Zudem haben die Altbauten mit hohen Decken oft sehr tiefe Grundrisse, was wieder ein besseres Verhältnis von wärmetauschender Fläche zu Volumen mit sich bringt.
Auch ein Punkt, an den man nicht sofort denkt.
Was die Klimaschutzziele angeht, ist es jetzt im Hochbau eine der wichtigsten Aufgaben, die Altbauten zu sanieren. Wir als Bundesarchitektenkammer haben bei der Bundesregierung auch als wichtigen Punkt platziert, dass die Sanierung vor Abbruch und Neubau stehen sollte. Schwierig ist dabei, dass unsere gesamten Baugesetze am Neubau orientiert sind. Diese Standards muss ich auch bei der Umnutzung eines Altbaus erfüllen. Das führt dann oft dazu, dass der Altbau zum Totalschaden wird, weil man die Anforderungen kaum erfüllen kann.
Und dann?
Dann wird der Bestand abgerissen und es kommt etwas Neues hin. In Summe mit der grauen Energie habe ich dabei aber nichts für die Umwelt getan. Wir plädieren daher auf Bundesebene für eine spezielle Bauordnung für das Umbauen, die etwas mehr Toleranz hat und nicht diese Überzüchtung aus 70 Jahren Gesetzen erfüllen muss, um flexibler zu werden.
Also keine Angst vor dem Erwerb eines Altbaus?
Angst ist nie ein guter Berater. Es gibt auch Neubauten, bei denen man mit Hilfe einer Fachmeinung sehen kann, dass die Armaturen im Bad nach drei Jahren neu gemacht werden müssen. Das kann genauso für das Dach, die Fenster und die Fensterbänke gelten. Als Laie ohne Fachmeinung einen Altbau zu kaufen, geht oft schief. Und der Laie sollte vor dem Kauf die Antwort parat haben, was er haben will: Wenn es ein Haus sein soll, was für eins? Kocht er gern, welcher energetische Standard soll es sein, muss noch ein Zimmer dabei sein, in dem er Computerspiele spielen will? Da sind wir dann als Architekten gefragt, das Beste bei der Planung herauszuholen – sowohl beim Neubau als auch beim Umbau.
Nun denn: Neubau oder Altbau?
Der Markt an attraktiven Altbauten ist endlich. Bei der derzeitigen Dynamik in der Stadtentwicklung muss es neben der Innenentwicklung auch neue Nachbarschaften und Quartiersentwicklungen geben. Wir brauchen ein größeres Angebot, um den Preisanstieg zu dämpfen. Ich würde mich freuen, wenn sich mehr Leute auf Altbauten einlassen, aber das passiert ja auch. Wenn man ehrlich ist, ist es ja auch Wahnsinn, wie in bestimmten Lagen die Preise für Bestandshäuser durch die Decke gehen. Aber Neubauten sind in guten Lagen, wenn es welche gibt, auch sehr teuer. Wenn es beim Altbau Sanierungsbedarf gibt, muss man diesen richtig einschätzen. Hier würde ich zwischen dem allgemeinen Sanierungsbedarf und den eigenen Ansprüchen unterscheiden.
Und was ist mit dem Wust an Fördermöglichkeiten?
Freie Architekten mit Sanierungsexpertise sind da die richtigen, weil unabhängigen, Berater. Wenn man es auf eigene Faust angehen möchte, kann man sich in Bremen für Informationen zur energetischen Sanierung, und welche Fördermöglichkeiten es da gibt, beispielsweise auch an Energiekonsens wenden. Sie stehen mit entsprechendem Rat zur Seite. Die Einschätzung des Altbaus dann mit Neubauangeboten zu vergleichen, und zu sehen was einem individuell besser gefällt, ist, glaube ich, der richtige Weg.