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BDA-Präsident Ingo Kramer im Interview „Die SPD braucht Pragmatismus“

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer spricht im Interview über die Große Koalition, Gefahren für Firmen und welche Chance Geflüchtete für Deutschland sein können.
21.04.2018, 04:43 Uhr
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„Die SPD braucht Pragmatismus“
Von Philipp Jaklin

Die SPD hat zuletzt ein blamables Bild abgegeben, als eine Partei, die von Richtungs- und Machtkämpfen fast zerrissen zu werden schien. Haben Sie mitgelitten?

Ingo Kramer: Ich bin kein SPD-Mitglied. Aber für unser Land ist es schon wichtig, dass es zwei Volksparteien gibt, die miteinander um Ideen ringen. Und wenn eine weit unter 30 Prozent fällt, ist das nicht gut. Insofern habe ich das aus grundsätzlichen Erwägungen bedauert.

Trauen Sie Andrea Nahles zu, die Personaldebatten und Richtungskämpfe als neue Parteichefin zu beenden?

Ich traue ihr zu, dass sie der Partei eine klare Richtung gibt. Ohne Personaldebatten kann man sich die SPD kaum vorstellen. Aber ich traue Andrea Nahles an der SPD-Spitze ein gewisses Stehvermögen zu.

Welche Richtung wird die SPD unter Nahles einschlagen? Sie galt mal als Linke.

Wenn die SPD aus der 20-Prozent-Ecke herauskommen will, muss sie wieder in der Mitte der Gesellschaft wählbar werden. Es ist ja noch nicht so lange her, dass die Partei zwischen 30 und 40 Prozent holte. Diese Wähler kann die SPD nicht wiedergewinnen, wenn sie ausschließlich auf Linksaußen-Themen setzt. Was die Partei braucht, ist Pragmatismus. In meiner Zusammenarbeit mit Frau Nahles habe ich das auch so erlebt. Ihre Grundposition ist eine linke und soziale, die sie aber mit dem abgleicht, was machbar ist.

Hat Frau Nahles einen Draht zur Wirtschaft, ein Gespür für wirtschaftspolitische Themen?

Ein Gespür ja. Wir haben durch konkrete Zusammenarbeit auch einen Draht. Aber der Draht zur Gesamtwirtschaft ist bestimmt noch ausbaufähig. Wer sie persönlich nicht kennt, hat diesen Pragmatismus noch nicht erfahren.

In der SPD wird wieder über Hartz IV diskutiert. Arbeitsminister Heil denkt darüber nach, Sanktionen abzumildern, Parteivize Stegner fordert gar eine „Alternative“ zu Hartz IV. Ist die Partei dabei, sich von den Agenda-Reformen zu verabschieden?

Die SPD hadert insgesamt mit den großen Erfolgen ihrer Agenda 2010, und das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Diese Reformen haben ganz wesentlich dazu beigetragen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Mit Olaf Scholz, so meine ich, hat die Partei einen Vizekanzler, der diesen Weg mit großer Konsequenz weitergeht. Nach zehn Jahren an der einen oder anderen Stelle nachjustieren – klar, das macht ein Unternehmer bei erfolgreichen Projekten auch. Aber er stellt diese nicht grundsätzlich infrage.

Wo sehen Sie heute in der SPD die wirtschaftspolitischen Vordenker?

Ob Wirtschaftspolitiker der Partei richtungweisend Einfluss nehmen, werden wir in den kommenden Monaten erst noch sehen. Der Einfluss der SPD auf den Koalitionsvertrag war sehr stark sozialpolitisch ausgerichtet – ganz bewusst zulasten der Wirtschaft, nach dem Motto: Die Konjunktur läuft doch gerade gut. Aber Wettbewerbsfähigkeit stellt sich nicht automatisch ein. Und die Wolken am Horizont sind deutlich zu erkennen. Da sind zum Beispiel die steigenden Zinsen. Dazu kommt der zunehmende exportbehindernde Protektionismus. Die USA, aber auch Länder wie Holland, Frankreich oder Großbritannien drängen uns einen Unternehmenssteuer-Wettbewerb auf. Die demografische Entwicklung wird den Fachkräftemangel dramatisch verschärfen, wenn wir nicht gegensteuern. Die Dringlichkeit dieser Probleme erkennt die SPD nicht, sonst würde sie mehr Spielräume für Unternehmen schaffen.

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Im Leitantrag für den Parteitag in Wiesbaden macht sich die SPD für ein neues Steuerkonzept stark, das vermögende Bürger stärker zur Kasse bittet. Ist das der Weg, um aus dem Umfragetief herauszukommen: Mehr Umverteilung?

Das glaube ich nicht. 30 Prozent der Steuerzahler tragen heute bereits mehr als 80 Prozent der Einkommenssteuerlast. Dazu gehört der gesamte Mittelstand bis in den Facharbeiterbereich. Ich würde in Zeiten höchster Steuereinnahmen niemandem raten, an dieser Schraube zu drehen. Damit gewinnt man weder Wähler noch Leistungsbereitschaft.

Schauen wir auf die neue Bundesregierung. Arbeitsminister Heil hat als erstes Gesetzesvorhaben einen neuen Rechtsanspruch für Arbeitnehmer angeschoben, bis zu fünf Jahre in Teilzeit zu gehen und danach in die Vollzeitstelle zurückzukehren. Was bedeutet diese Brückenteilzeit für Betriebe?

Wenn ein Beschäftigter, der aus Vollzeit vorübergehend in Teilzeit gegangen ist, wieder planmäßig in die volle Stelle wechseln will, ist das für mich als Unternehmer erst einmal zu begrüßen. Ich habe hier ja einen eingearbeiteten Mitarbeiter. Aber für die Wirtschaft ist Planbarkeit wichtig. Wir müssen rechtzeitig wissen, über welchen Zeitraum wir reden. Wenn im Referentenentwurf von Herrn Heil nun wieder ein rückwirkender Anspruch auf Vollzeit für Personen enthalten ist, die nicht nur planmäßig vorübergehend, sondern ursprünglich geplant dauerhaft in Teilzeit sind, geht das nicht. Diesen Punkt hatten wir mit seiner Vorgängerin Andrea Nahles schon geklärt. Auch dass Arbeitgeber jetzt beweisen sollen, dass sie niemanden ganztags einstellen können, geht so nicht. Dass man die Argumente der Sozialpartner nicht rechtzeitig anhört, so etwas kenne ich aus der vergangenen Legislaturperiode nicht, und so funktioniert Sozialpartnerschaft auch nicht. Dieses Gesetz können wir in dieser Fassung nicht mittragen, sind aber bereit, auf Basis der gemeinsamen Überlegungen aus dem vergangenen Jahr an Lösungen mitzuwirken.

Müssen sich die Unternehmen nicht gerade in Zeiten des Fachkräftemangels flexible Arbeitszeitmodelle einfallen lassen, um gute Leute zu bekommen?

Uns hemmt das Arbeitszeitgesetz, das aus einer Zeit des Beginns der Industriearbeit stammt. Heute arbeiten immer größere Bereiche der Wirtschaft, vor allem auch im Dienstleistungssektor, unabhängig von Zeit und Ort. Wir alle kennen Fälle von Menschen, die mit ihrem Laptop von zu Hause arbeiten oder abends Dinge erledigen, weil sie nachmittags ihre Kinder von der Schule abholen müssen. Das alles ist von unserem Arbeitszeitgesetz heute nicht abgedeckt. Aber wenn wir es nicht anpassen, können wir gerade die Chancen der Digitalisierung nicht ausnutzen. Uns geht es dabei nicht um eine Ausdehnung der Arbeitszeit, und jedes Handy kann man abstellen. Leider fehlt in Deutschland derzeit der Mut, das Thema anzugehen. Andere Länder passen sich da schneller an, und die EU hat eine entsprechende Regelung bereits vorgesehen.

Gesundheitsminister Spahn hat eine weitere Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung angekündigt. Fürchten Sie einen Anstieg der Lohnnebenkosten?

Erklärtes Ziel im Koalitionsvertrag ist es, die Grenze von 40 Prozent bei den Lohnnebenkosten nicht zu reißen. Die Arbeitslosenversicherung hat jetzt ausreichend Reserven angesammelt, dass die Beiträge hier gesenkt werden können. Auch bei den Krankenkassenbeiträgen ist nach Ansicht von Herrn Spahn offenbar noch Luft. An anderen Stellen müssen wir leider von Erhöhungen ausgehen. Noch einmal: Uns geht es darum, dass die Regierung das 40-Prozent-Ziel in der Summe einhält. Jeder Anstieg muss gegenfinanziert werden, und zwar innerhalb des Systems.

Können Sie erkennen, dass der Koalitionsvertrag Deutschland wirtschaftlich voranbringt?

Nur begrenzt. Im Bereich Arbeit und Soziales sehen wir zunehmend Regulierung und Bürokratisierung. Dies schränkt die notwendige Flexibilität, um rechtzeitig auf veränderte Marktbedingungen reagieren zu können, massiv ein. Aber ich will nicht nur meckern. Das bildungspolitische Programm hätte ich kaum besser schreiben können. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung von Kindern ist zum Beispiel ein großer Schritt. Auch dass ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte kommen soll, ist richtig und zwingend.

Thema Protektionismus: Wie groß ist die Gefahr für deutsche Unternehmen, gerade im Nordwesten?

Bislang reden wir ja hauptsächlich über Drohungen. Aber wenn davon vieles umgesetzt wird, könnte das für einen gewissen Zeitraum die Wirtschaft erheblich dämpfen. Protektionismus schädigt immer auch denjenigen, der ihn ausruft. Es kann allerdings eine ganze Weile dauern, bis ihm das klar wird – dadurch, dass Produkte teurer werden. Wir an der Küste wissen seit der Hanse, dass Handel beiden Seiten Vorteile bringt. Ich kenne weltweit keine einzige Region, die durch den Austausch von Waren und Dienstleistungen dauerhaft schlechter dastand als vorher.

Wie weit sind wir auf dem deutschen Arbeitsmarkt schon mit der Integration der Flüchtlinge gekommen?

Inzwischen sind es rund 300 000, die Praktika oder eine Berufsausbildung machen, studieren oder im Beruf stehen. Bei mehr als einer Million Flüchtlingen in allen Altersklassen ist das ein so großer Anteil, dass ich es vor zwei Jahren nicht erwartet hätte. Jetzt zahlt sich aus, dass der größte Teil unter 30 Jahre alt ist und deswegen relativ schnell Deutsch lernt. Ich halte das für eine ganz große Chance, auch wenn es in der Bevölkerung nicht so wahrgenommen wird.

Die Fragen stellte Philipp Jaklin.

Zur Person

Zur Person

Ingo Kramer

wurde 1953 in Bremerhaven geboren. Seit 2013 ist er Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Mehr als 35 Jahre lang war er Geschäftsführer des Familienunternehmens J. Heinr. Kramer. Der studierte Wirtschaftsingenieur ist verheiratet und hat vier Kinder.

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