Frau Hein, Sie haben sich mit einer besonderen Form der Diskriminierung am Arbeitsplatz auseinandergesetzt. Dafür haben Sie gerade in Bremen den Wolfgang-Ritter-Preis bekommen. "Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht" – heißt es im Titel der Untersuchung. Was haben Sie genau herausgefunden?
Patricia Hein: Ich habe mich mit Ungleichheiten in Organisationen und Firmen beschäftigt. Wie werden diese Ungleichheiten manifestiert? Und wie können wir sie überwinden? Das ist der Kern meiner Arbeit. Offene Diskriminierung steht oft im Fokus. Das gilt auch für die Forschung. Es gibt aber eben genauso subtile Formen der Unterdrückung – unsichtbare. Ich habe dazu mit verschiedenen Gruppen gesprochen.
Was genau passiert dabei?
Bestimmte Gruppen werden dabei mit gut gemeinten Absichten an den Rand gedrängt. Das nenne ich eine wohlwollende Benachteiligung. Viele Manager wollen zum Beispiel ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen. Das führt aber nicht immer zu positiven Lösungen, weil die Hilfe nicht auf gleicher Ebene angeboten wird, sondern aus der Machtposition heraus.
Diejenigen merken vermutlich oft gar nicht, dass etwas verkehrt läuft, weil ihre Absichten gut gemeint sind.
Genau. Es geht ihnen teilweise auch darum, etwas Gutes tun zu wollen, was immer schön ist. Andere erwarten vor allem Dankbarkeit. Die Gründe sind unterschiedlich. Das Problem ist aber immer das Machtgefüge. Dabei wäre es aus meiner Sicht wichtig, dass die Akteure sich als gleichwertig wahrnehmen. Wer Hilfe braucht, der kann dann sagen, wie die Unterstützung aussehen soll – gegenüber seinen Verbündeten.
Wo haben Sie die Unterdrückung beobachtet?
Ich habe mir ganz unterschiedliche Kontexte angeschaut – und zwar noch gar nicht mit der These für die Untersuchung im Kopf. Zunächst ging es ums Beobachten: Was fällt mir auf? Was kann ich nicht erklären? Ich habe unter anderem Behindertenwerkstätten besucht, die übrigens oft außerhalb des Stadtzentrums liegen. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es die Werkstätten gibt. Außerdem habe ich mir Fraueninitiativen von Unternehmen angeschaut. In beiden Kontexten habe ich das Phänomen der gut gemeinten Ausgrenzung gesehen.
In Bremen ist der Martinshof als Werkstatt nach meiner Wahrnehmung schon präsent. Anderswo läuft es offenbar nicht so gut. Was ist die Konsequenz?
Ich habe mit vielen Behindertenaktivisten gesprochen, die mir ganz klar gesagt haben: Diese Werkstätten müssten verboten werden. Ich sehe das überhaupt nicht so. Als Forscherin will ich mich da auch gar nicht positionieren. Ich kann aber Vorschläge machen, wie sich gut gemeinte Unterdrückung verhindern lässt. Und dabei ist eben ganz wichtig: Die Menschen müssen eine Stimme bekommen.
Was haben Sie bei den Frauennetzwerken wahrgenommen?
Die Initiativen sind oft von gut gemeinter Unterdrückung geprägt, wenn die oft männlichen Chefs die Treffen allein gestalten. Es gibt zudem teils die Erwartungshaltung der Manager gegenüber den Frauen: Nehmt da mal teil!
Die Frauen können also nicht mehr frei entscheiden.
Ja. Viele Frauen haben mir aber gesagt: Das Event hat mir überhaupt nichts gebracht.
Die Unternehmen bemühen sich sichtlich um Vielfalt. Was muss sich in den Köpfen ändern, damit es dabei besser läuft?
Die Verschiedenheit der Menschen sollte erkannt werden. Oft sprechen Autoritätspersonen für andere, und diese anderen nehmen sie als homogene Gruppe wahr. Es gibt aber nicht die Frau oder den Menschen mit Behinderung. Initiativen sollten immer maßgeschneidert auf die Bedürfnisse eines jeden eingehen.
Hat es einen Ausgangspunkt gegeben, warum Sie sich des Themas angenommen haben?
Ich war auf einer Protestkundgebung von Behindertenaktivisten in Berlin. Das war direkt im Zentrum am Brandenburger Tor. Es war jedoch kaum jemand da – eigentlich nur die Eltern der Aktivisten und vielleicht noch ein paar Mitarbeiter aus den Werkstätten. Die Aktivisten haben mir gesagt: 'Wir sind unsichtbar. Die Gesellschaft sieht uns nicht.' Ihr lauter Protest hat sich wie ein stiller Schrei angehört. Das war für mich ein Auslöser, tiefer hinzuschauen: Woran liegt das? Es gibt bisher nur ein paar Studien zu gut gemeinter Diskriminierung.
Halten Sie Diversitätsprogramme und Inklusionsinitiativen bereits für eine Art Diskriminierung?
Ich möchte das gar nicht so kritisch bewerten. Es kommt auf die Gestaltung an. In Bremen hat jemand von einem sehr positiven Frauennetzwerk berichtet. Es gibt ja auch sehr erfolgreiche Events. Das habe ich selbst gesehen. Dort kann man sich gegenseitig stärken – und hoffentlich emanzipieren. Diese Events haben die Frauen aber meistens selbst organisiert.
Haben die Betroffenen, mit denen Sie gesprochen haben, eigentlich selbst die Diskriminierung wahrgenommen?
Das ist das Spannende. Es ist für beide Seiten oft nicht wahrnehmbar, aber ein gewisses Gefühl dafür ist doch da. Viele Frauen haben mir zu den Netzwerken in ihren Unternehmen gesagt: 'Ich möchte da nicht mehr hingehen. Das funktioniert für mich nicht.' Ich erkläre in meiner Arbeit, woher das Gefühl kommt.
Haben Sie schon Diskriminierung erlebt?
Ich habe vor der Wissenschaft zehn Jahre in der Finanzbranche gearbeitet, wo die Frauenquote häufig gering ist. In beiden Bereichen erfahren Frauen oft Diskriminierung. Rückblickend betrachtet hätten auch die ein oder anderen Diversitätsformate, wie in meiner Forschung beschrieben, besser gestaltet werden können.
Wie läuft es eigentlich in Kanada, wo Sie derzeit an der Uni sind?
Ich habe das Gefühl, dass hier Vielfalt viel stärker gelebt wird als in Deutschland. Es ist so divers hier! Kanada ist ein Einwandererland. Es gibt hier viele Menschen aus verschiedenen Kulturen und Ländern. Es ist Teil der Identität Kanadas, dass hier jeder willkommen ist.
Das Gespräch führte Lisa Schröder.