Cola wirkt belebend, das ist bekannt. Die dunkle Limonade kickt Koffein ins Hirn, nicht viel, aber genug, um damit nach vorne zu kommen, wach zu werden, frisch zu sein. Cola kann helfen, wenn es gerade nicht richtig vorangeht – Coca-Cola kann das auch. Anderthalb Jahre her, dass der Getränkehersteller sich entschieden hat, seinen Standort in Bremen nach Achim zu verlagern.
„Das war entscheidend“, sagt Rainer Ditzfeld, „so sind wir auf die Landkarte gekommen.“ Eine Weltmarke, die sich für seine Stadt entschieden hat, für den Bürgermeister ein Glücksfall, und so beginnt die Geschichte. Achim hat einen Lauf, und Bremen, der große Nachbar, staunt. Vielleicht ist es Glück, vielleicht Zufall, vielleicht aber auch mehr – die Art und Weise, wie man mit Chancen umgeht. Wie Ditzfeld es tut. Was ist das für ein Mann?
Im Rathaus hat er in seinem Büro lauter Blätter hängen, Blätter vom Wunschbaum, den er damals in der Fußgängerzone aufgestellt hat. Wahlkampf, Ditzfeld wollte Bürgermeister werden. Die Bürger sollten aufschreiben, was sie sich wünschen, falls er es schaffen sollte.
Eine Disko wollten sie haben, mehr Lehrer an den Schulen, den Erhalt des Freibades, mehr Bürgernähe, und dass die vielen Krähen in der Stadt davongejagt werden. Solche Sachen, und alles notiert auf den Blättern, die im Rahmen an der Wand wie eine Mahnung sind: Denk an unsere Wünsche!
Ein Ausbund von Bodenständigkeit
„Rainer als Bürgermeister!“, noch so ein Wunsch, und mindestens der ist vor drei Jahren in Erfüllung gegangen. Ditzfeld gelang ein Kantersieg, er holte fast zwei Drittel aller Stimmen. Dabei hatte es vorher mächtig Streit gegeben. Ditzfeld wollte für die CDU kandidieren, doch die ließ ihn nicht. Also trat er aus der Partei aus und bewarb sich trotzdem.
Ein Parteiloser, der die Achimer bei der Wahl überzeugen konnte. Er ist einer von ihnen, ist nie weg aus der Stadt, so wie Generationen seiner Familie vorher. „Die Ditzfelds gibt es nur in Achim und ein bisschen auch in Ostfriesland“, sagt der 56-Jährige. Vor seiner Wahl hat der gelernte Elektriker 25 Jahre lang als Handelsvertreter für Großküchengeräte gearbeitet.
Er lebt mit seiner Familie, Frau und drei Kindern, neben dem Haus seiner Eltern. Ein Ausbund von Bodenständigkeit. Als Coca-Cola kam – im März dieses Jahres ist das neue Vertriebs- und Logistikzentrum eingeweiht worden – brachte die Ansiedlung 90 Arbeitsplätze und für die Zukunft die Einnahmen aus der Gewerbesteuer.
Äpfel und Birnen
Schön für Achim, aber längst nicht alles. Cola, der Name zieht, hatte der Bürgermeister früh gehofft und immer wieder auch gesagt. Er sollte recht bekommen. Wenig später klopfte jemand an in Achim, da war die Aufregung groß. "Oha!", haben wir gedacht", erzählt Ditzfeld, "was für eine Nummer." Es war Amazon.
Seit einem Jahr wird verhandelt, und so wie's aussieht, könnte es klappen. In den nächsten Monaten soll der Vertrag fix sein und endgültig feststehen, dass der Versandhändler im Gewerbegebiet Uesener Feld eine riesige Logistikhalle baut und dort bis zu 2000 Menschen beschäftigt. Der Coup schlechthin, fast so und im Maßstab betrachtet, als bekäme Bremen ein zweites Mercedes-Werk.
Äpfel und Birnen, klar: In dem einen Fall werden Pakete gepackt, im anderen wird produziert und Wert geschöpft. Amazon hat außerdem nicht den besten Ruf und liegt wegen der Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung im Dauerclinch mit den Gewerkschaften.
Pech für Bremen
Daimler dagegen hat mit dem Betriebsrat gerade erst wieder einen Pakt besiegelt: weiterhin gutes Geld und Beschäftigungsgarantie bei teils hochqualifizierter Arbeit. Natürlich würde sich aber trotzdem jede Stadt freuen, wenn sie ein Unternehmen gewinnt, das so viele Jobs verspricht. Auch Bremen hatte es vor einigen Jahren mit Amazon versucht, vielleicht war es auch umgekehrt.
Eine Fläche im Güterverkehrszentrum in Strom, die eigens hergerichtet wurde. Bremen gab dafür eine Million Euro aus. Doch dann änderte sich die Strategie des Unternehmens, es plante in Deutschland zunächst keine neue Ansiedlungen mehr. Pech für Bremen. Jetzt soll auf derselben Fläche der Autobauer Borgward Platz nehmen, keine 1000 oder 2000 Arbeitsplätze, sondern 100, wenn's klappt.
Ditzfeld freut sich über Amazon, so wie er sich über Coca-Cola gefreut hat – und über Daimler. Das Bremer Mercedes-Werk hat im Frühjahr im Gewerbegebiet Achim-Ost von einem Logistikpartner zwei Drittel einer 38 000 Quadratmeter großen Halle anmieten lassen, um dort Blechteile aus dem Presswerk zwischenzulagern.
Schnell und unkompliziert
Das Argument von Daimler, sich für Achim zu entscheiden: Die Halle sei in der benötigten Größe kurzfristig verfügbar gewesen. Baureife Flächen, manchmal sogar schon Hallen drauf, die nötige Infrastruktur, und mit den Autobahnen 1 und 27 eine unschlagbare Straßenanbindung. So schafft Achim das, Unternehmen anzusiedeln. So und mit dieser Hemdsärmeligkeit.
Ditzfeld: „Wenn der Investor und die Stadt ins Geschäft kommen, werden die Pläne fertig gemacht, und wir gehen damit gemeinsam zum Landkreis.“ Ein Gang und kein zweiter, erzählt er, weil im Vorfeld das meiste bereits geregelt wurde. Schnell und unkompliziert. „Wir haben ein gutes Verhältnis zur Kreisverwaltung.“
Manchmal, das gehört zur Wahrheit dazu, gelingt eine Ansiedlung aber auch nicht. Der Logistiker Log-Four-Real wollte im Gewerbegebiet Uesener Feld eine 82.000 Quadratmeter große Halle bauen und 50 Millionen Euro investieren. 400 Arbeitsplätze, das wäre was gewesen. Aber dann kamen sie doch nicht zusammen.
So gut wie kein Leerstand in Bremen
Und in zwei Fällen war es in jüngster Zeit auch mal so: Nicht Bremen gab an Achim ab, sondern Achim an Bremen. Der Automobilzulieferer Dräxlmeier wechselte über die Landesgrenze. Genauso eine Software-Firma. Arbeitsplätze allererster Güte, die nun Bremen auf der Habenseite verbucht, wobei: Die Belegschaften werden die gleichen geblieben sein.
Unterm Strich gewinnt der kleine Nachbar gegenüber dem großen aber stetig dazu. Bremen hat zu wenig Gewerbeflächen, und dort, wo es sie gibt, sind die Hallen gesteckt voll, es gibt so gut wie keinen Leerstand. Da ist Achim klar im Vorteil und will ihn noch ausbauen – mit Hilfe der Bremer. Das klingt paradox, hat aber seine Logik.
Zum ersten Mal in der Geschichte der beiden Bundesländer könnte sich Niedersachsen mit Bremen ein Gewerbegebiet teilen. Es soll im Westen von Achim entstehen, am Bremer Kreuz, mit neuem Anschluss an die A 27. Die Planungen laufen, Ditzfeld hofft, dass bis Mitte oder Ende kommenden Jahres der Deckel drauf ist. Für ihn ist aber klar: „Allein kriegen wir das nicht hin.“
Achim setzt auf Bremen
Die Erschließung des 100 Hektar großen Gebietes wird zusammen mit dem Bau eines Autobahnanschlusses und einer Brücke rund 100 Millionen Euro kosten. Niedersachsen hat zugesagt, ein knappes Viertel davon zu übernehmen. Und der Rest? Durch die Vermarktung der Grundstücke käme zwar viel Geld in die Kassen der Stadt, nicht genug aber, um das Projekt zu stemmen.
Also setzt Achim auf Bremen, das sich mit einer halben Million Euro immerhin schon mal an der Planung beteiligt hat. Auch Bremen hätte etwas davon, wenn am Autobahnkreuz der Verkehr neu geregelt wird. Gleichzeitig besteht die Chance, ein gemeinsames Gewerbegebiet zu entwickeln. Das würde Bremens Flächennot lindern und ein Zeichen setzen: Regionale Kooperation!
Für Achim ist Achim-West neben der Innenstadtentwicklung das wichtigste Projekt der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Rainer Ditzfeld, der sich als Parteiloser seine Mehrheiten im Stadtrat immer wieder neu organisieren muss, wollte deshalb ein klares Votum und hat es bekommen als im Juni die Gründung einer Entwicklungsgesellschaft zur Entscheidung anstand – von 39 Ratsmitgliedern stimmte nur eines dagegen.
"Es läuft"
Achim geht voll ins Risiko, denn neben allem, was bisher schon an Kosten angefallen ist, muss die neue Gesellschaft zunächst mit Geld versorgt werden, bis zu zehn Millionen Euro, damit sie ihre Arbeit machen kann: Grundstücke ankaufen. Es läuft, das kann man nicht anders sagen.
„Es läuft“, sagt auch der Bürgermeister. Dass er den Erfolg seinem Team im Rathaus zuschreibt, ist nett und klug, doch ohne einen Treiber wie ihn ginge es nicht. „Der brennt für Achim“, sagt einer, der nah dran ist am Rathaus. Ein Bürgermeister wie ein Bär, mit seiner Statur und der lauten Stimme. Ditzfeld, ein Frühaufsteher, der oft schon um sechs oder sieben im Rathaus sitzt, lacht viel und versprüht gute Laune.
Ein Anpacker, denkt man, unkompliziert, aber sicher auch schlau. In Bremen staunen sie über ihn: „Das ist einer, mit dem man was machen kann“, heißt es von vielen Seiten. Carsten Sieling (SPD) sieht das offenbar genauso. Bremens Bürgermeister pflegt enge Kontakte zu Ditzfeld – er wird wissen, warum.