Jens Eckhoff: Das Ausland freut sich insofern, weil deutsche Unternehmen wertvolle Erfahrungen in den vergangenen Jahren gesammelt haben. Es gibt viele deutsche Projekt- und Baufirmen, die im Ausland in Sachen Offshore-Wind aktiv sind. Und davon profitiert das Ausland.
Das völlig Verrückte an der Situation ist, dass es inzwischen Staaten mit ehrgeizigen Ausbauzielen gibt, etwa die USA, von denen man das gar nicht erwartet hätte. Diesen Weg mitzugehen, bekommen wir in Deutschland, wo die Pionierarbeit geleistet wurde, gerade nicht hin – obwohl mit dieser Technik große Mengen an Strom günstig produziert werden könnte. Das ist eine katastrophale Entwicklung und wirft kein gutes Licht auf den Industriestandort Deutschland.
Wird denn nachgefragt, weshalb in Deutschland beim Ausbau nicht durchgestartet wird?Ja, klar wird da nachgefragt.
Wenn ich es mir einfach machen würde, würde ich sagen, dass sie doch bitte bei der Bundesregierung und den Mitgliedern des Bundestages, sowie den Landesregierungen nachfragen sollen. Im Grunde genommen ist es ja nicht logisch zu erklären. Wir haben als Stiftung mehrfach darauf hingewiesen, dass die Realisierungen von Windparks auf See sehr lange Vorlaufzeiten benötigen, und die Netze rechtzeitig ausgebaut werden müssen. Wir haben bereits 2015 hingewiesen, dass es bei dem bestehenden Ausbauziel von 15 Gigawatt in 2030 ab dem Jahr 2020 einen Fadenriss geben wird.
Der ist jetzt brutal da und er trifft Bremerhaven besonders. Nun sind wir mitten in dieser Situation, die schon für bedauerliche Insolvenzen gesorgt hat. Es geht jetzt darum, den übrig gebliebenen Akteuren eine Perspektive aufzuzeigen. Das würde auch Bremerhaven einen neuen Schub geben, auch wenn es zurzeit keine großen Hersteller mehr gibt, die sich in der Seestadt ansiedeln werden. Trotzdem gibt es dort ein großes Potenzial an Know-how und ein umfangreiches Angebot an Dienstleistungen, die man ausbauen kann.
Wie müsste die Perspektive aussehen?Wir benötigen einfach höhere Ausbauziele als einen verlässlichen Rahmen. Mindestens 20 Gigawatt bis 2030 und 40 Gigawatt bis 2040. Ohne deutlich mehr Offshore-Wind wird die Energiewende scheitern. Aber selbst bei diesem Thema gibt es in Berlin keine Einigkeit, weil wir im Endeffekt seit 18 Monaten im Streit um den Ausbau beim Onshore-Wind als Gefangene gehalten werden, weil die Große Koalition meint, dass alles mit allem verbunden werden muss. Eine unerträgliche Hängepartie.
Was ärgert Sie daran besonders?Die Stimmung gegenüber Offshore hat sich grundsätzlich deutlich verbessert. Früher hieß es immer, die Windparks erhalten zu viel staatliche Unterstützung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Inzwischen wird gesehen, dass sich Energie aus Offshore-Wind sehr günstig produzieren lässt. Jetzt heißt es aber, es müssen zuerst die offenen Fragen beim Onshore-Wind geklärt werden. Das ist völliger Quatsch, da gibt es keinen inhaltlichen Zusammenhang. Trotzdem kommen wir nicht voran, das ist extrem frustrierend. Wir brauchen die neuen Ausbauziele und die kurzfristige Umsetzung der Sonderausschreibung aus dem aktuellen Koalitionsvertrag. Das ist von der Branche auch problemlos darstellbar.
Die Politik im Norden ist einfach zu schwach, um starke Allianzen zu bilden – unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Wenn der Norden mit fünf Ländern mit einer Sprache spricht, reicht es trotzdem nicht aus, Mehrheiten im Bundesrat zu bilden. Wenn Bayern und Baden-Württemberg etwas wollen, das eine Land CSU-, das andere Grün-regiert, sie sich aber einig sind, dann bekommen sie die Mehrheiten zusammen. Der Norden spielt bundespolitisch nicht die Rolle, die er eigentlich spielen müsste. Und es ist immer noch nicht gelungen, zu verdeutlichen, dass die größten Profiteure der Offshore-Industrie neben den norddeutschen Ländern wegen der Zulieferindustrie in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern sitzen.
Woran liegt das?Ich glaube, den Ministern in diesen Ländern – Baden-Württemberg nehme ich mal außen vor – ist es selbst noch nicht bewusst, welche Rolle die Offshore-Industrie für ihre Wirtschaft bedeutet. Da muss deutlich mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden, sowohl von der Branche als auch von der Politik hier im Norden. Deutschland steigt aus der Kohle und der Kernenergie aus und zahlt dafür knapp 50 Milliarden Euro und blockiert gleichzeitig eine Zukunftsindustrie, in der Tausende von Arbeitsplätzen neu entstehen könnten. Bei der Transformation des Energiesystems werden wir deutlich mehr Strom benötigen. Für diese Weichenstellungen fehlen die Beschlüsse in Berlin, es fehlt der Druck von den Ländern, obwohl allen klar ist, dass daran kein Weg vorbeiführen kann. Ein Armutszeugnis.
Wovor haben die südlicheren Bundesländer Angst?Darüber kann ich nur spekulieren. Ich glaube, das Thema wird aus deren Sicht als nachteilig eingeordnet, weil man zusätzliche Übertragungsnetze benötigt, und die sind heutzutage nicht ganz einfach rechtlich umzusetzen. Außerdem gibt es in den Ländern noch andere Energieerzeugung wie die Kohle. Jetzt, wo der Kohlekompromiss aber steht, ist es auch in diesen Bundesländern an der Zeit, dass man sich mit der Zukunft beschäftigt und im Kopf auf die erneuerbaren Energien umschaltet. Wir als Branche müssen noch deutlicher machen, dass Technologien für erneuerbare Energien sich zu Exportschlagern entwickeln und viele neue Arbeitsplätze schaffen können.
Was befürchtet der Süden darüber hinaus?Ein Hauptproblem ist die Angst, dass wir irgendwann einen geteilten Strompreis in Deutschland bekommen können. In der EU gibt es ja die Möglichkeit, Strompreisgebiete auszuweisen. Bis jetzt ist Deutschland noch ein Strompreisgebiet. Es könnte sein, dass die EU irgendwann einmal auf die Idee kommt, diesen Strompreis zu teilen, da im Süden zu wenig Ökostrom ausgebaut wurde. Dann würde der Norden deutlich besser dastehen als der Süden. Und da seit Jahrhunderten die wirtschaftliche Entwicklung so ist, dass die Produktion der Energie folgt, gibt es die Befürchtung, dass der Norden davon überproportional profitieren würde, wenn in der Nord- und Ostsee noch wesentlich mehr große Stromkraftwerke stehen. Blockade des Nordens ist aber nicht die Lösung, sondern verstärktes Engagement auch im Süden.
Im Moment besteht die Gefahr, dass sich die Energiepolitik genauso wie die Gesundheitspolitik entwickelt. Die wird nur noch von ein paar Experten verstanden – zumindest sind sie davon überzeugt. Dadurch entwickelt sich ein Klein-Klein um so manches Problem und die große Linie wird aus den Augen verloren. Diese Linie heißt: Wir brauchen deutlich mehr Strom, wir haben keine Kohle- und Kernenergie mehr und dieses bedeutet: Wir brauchen sehr viel Offshore-Wind. Wer dazu die notwendigen politischen Beschlüsse unterlässt, gefährdet den Standort Deutschland.
Woran machen Sie das fest?Allein schon daran, dass, wenn man in Berlin die Frage stellt, woher die Energie für all die Vorhaben wie E-Mobilität und Wasserstoffproduktion kommen soll, es keine vernünftige Antwort gibt.
Was wünschen Sie sich?Ich wünsche mir einen verlässlichen Rahmen für die Ausbauziele und eine Umsetzungsstrategie über Parteigrenzen hinweg, damit auch nach einer Bundestagswahl kein neuer Fadenriss entsteht.
Das Gespräch führte Peter Hanuschke.Jens Eckhoff Jahrgang 1966, war von 2003 bis 2006 Bausenator in Bremen. Seit 2005 ist der CDU-Politiker Präsident der Stiftung Offshore-Windenergie - eine Initiative des Umweltbundesministeriums.