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Energie teilen - geht das? Strom von Nachbars Dach

Wer Strom auf seinem Dach produziert, bekommt fürs Einspeisen nicht viel. Lässt sich die überschüssige Energie anders teilen? Ein Delmenhorster sucht nach Strom für sein Elektroauto.
24.07.2023, 19:00 Uhr
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Strom von Nachbars Dach
Von Lisa Schröder

Eine Solaranlage auf dem Dach produziert an Sonnentagen meist mehr Strom, als im Haushalt selbst in dem Moment verbraucht werden kann. Für die Einspeisung ins Netz gibt es zwar eine Vergütung, die jedoch wesentlich geringer als der Strompreis am Markt ausfällt. Es sind bis zu 8,2 Cent pro Kilowattstunde, wenn die Anlage auch selbst genutzt wird. Christoph Felten von der Klimaschutzagentur Energiekonsens in Bremen sieht es positiv. Die Einspeisevergütung müsse als „Bonbon obendrauf" gesehen werden. Für manche Verbraucher fühle es sich aber so an, als wenn der Strom beim Einspeisen verschenkt werde: „Gleich der nächste Gedanke ist: Kann ich den Strom nicht an jemand anderen abgeben?"

Alexander Wolff hat seit Kurzem ein Elektroauto – und ist auf der Suche nach Strom dafür. Ihm sei es wichtig gewesen, in das „Experiment" Elektromobilität einzusteigen, wenngleich er dafür nicht die idealen Voraussetzungen habe. „Ich wohne in einer Eigentumswohnung im Obergeschoss eines denkmalgeschützten Hauses", sagt der Delmenhorster. In seinem Fall sei es schwierig, selbst Solarstrom fürs Auto zu erzeugen. Wolff sucht also jemanden in der Nähe mit Fotovoltaikanlage. „Es gibt ja viele Häuserdächer, die wirklich reichlich gepflastert sind. Im Sommer entsteht dabei viel Überschuss an Energie", sagt Wolff. Die Sache habe für alle Vorteile: Wolff würde dem Anbieter mehr für den Strom zahlen, als der für die Einspeisung bekommt – und dennoch weniger als anderswo fürs Laden.

Welche Optionen gibt es?

Im Prinzip kann Solarenergie geteilt werden. Das Verfahren ist jedoch recht anspruchsvoll, wenn es korrekt aufgebaut sein soll. „Derjenige, der die Anlage auf dem Dach hat, wird automatisch Stromverkäufer – mit allen Rechten und Pflichten", sagt Inse Ewen von der Verbraucherzentrale Bremen. Es werden dieselben Anforderungen an ihn gestellt wie an Stromversorger. Zählerstände und Verbräuche müssen in der Stromrechnung genau aufgeführt werden, „obwohl es vielleicht um meine Familie oder meinen Freund geht", sagt Ewen.

Angela Dittmer von der Bremer SWB bestätigt dies. Der Ökostrom lasse sich zwar teilen, um sich gegenseitig zu helfen – allerdings nur in einem gewissen Umfang. „Wenn es den Nachbarschafts- oder Freundschaftsdienst verlässt, gelten andere Bedingungen", sagt Dittmer. Wer ein dauerhaftes Angebot schaffe, bewege sich schnell im Bereich des Gewerblichen.

Was ist bei den Kosten zu bedenken?

Wer seinen Strom an andere verkaufen möchte, sollte die Finanzierung seiner Solaranlage nicht darauf aufbauen. Der Vertrag kann nämlich so wie sonst gekündigt werden. „Ich kann keinen verpflichten, dass er die nächsten zwanzig Jahre den Strom von mir bezieht", sagt Ewen. Was noch eine Herausforderung ist: Wenn sich der eigene Strombedarf verändert, weil beispielsweise eine Wärmepumpe angeschlossen wird, muss neu kalkuliert werden. Fürs Teilen sind zudem womöglich neue Zähler nötig.

Eine weitere Teuerung kann beim Transport entstehen. „Sobald der Strom durch einen Meter öffentliches Kabel durchgeht, werden sehr viele Entgelte fällig", sagte der Experte Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin gegenüber dem Magazin „Plusminus". Es werde bei der Entfernung nicht unterschieden: Strom von Flensburg nach München zu transportieren sei ähnlich teuer, wie ihn auf die andere Straßenseite zu bringen.

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Wie sind Stromclouds zu bewerten?

Einige Unternehmen bieten spezielle Cloud-Lösungen an. Der überschüssige Strom der Solaranlage soll auf diesem Weg übers ganze Jahr genutzt werden können. Er kann darüber aber auch mit der Familie und Freunden geteilt werden. „Diejenigen, die die Energie nutzen, können dann sehr wohl sehr günstigen Strom beziehen", sagt Energieexpertin Ewen. Die Frage sei nur, welche Belastung für den Stromerzeuger entstehe. Bisher gebe es nur Einzelfälle, in denen der Strom so geteilt werde.

Generell muss bei Stromclouds hingeschaut werden. Die eigene Energie wird nicht tatsächlich gespeichert. Die Verbraucherzentrale attestiert den Anbietern zudem, ihre Kosten- und Vertragsbedingungen seien „meist komplex und für Laien schwer durchschaubar". In der Vergangenheit hätten Untersuchungen gezeigt, dass der Bezug des nötigen Reststroms über einen Energieversorger günstiger ausfalle.

Wie funktionieren Energiegemeinschaften?

„Das ist eine ganz andere Welt", sagt Inse Ewen. Die Mitglieder investierten dabei etwa gemeinsam in eine Solaranlage, um den Strom später vergünstigt beziehen zu können. Die Bundesregierung wolle solche Zusammenschlüsse stärken. Vor allem sei das etwas für Haushalte, die gerne etwas für den Klimaschutz täten, aber kein geeignetes Dach hätten. In Bremen gebe es bereits einige solcher Gemeinschaften.

Wie viele Energie verbraucht der Haushalt?

Nach einer Faustregel können etwa 30 Prozent des Stroms aufs Jahr gesehen selbst erzeugt werden. „Es kann ein bisschen mehr sein, wenn ich tagsüber zu Hause bin und viel Strom direkt nutzen kann", sagt Ewen. Wenn es einen Speicher gibt, klettert die Eigenverbrauchsquote weiter auf 60 bis 70 Prozent. Die 100 Prozent seien aber nicht zu erreichen, weil es dafür noch keine langfristigen Speichertechnologien gebe. „Ich werde immer noch ein bisschen Strom dazukaufen müssen."

Wie sieht es bei Wohnungseigentümergemeinschaften aus?

Hier ist das Energieteilen ebenfalls kompliziert. Wenn es viele Wohneinheiten gebe, sagt Felten von Energiekonsens, könne sich die Sache lohnen. Hier müssen die Anbieter jedoch genauso die Regeln einhalten, wie sie für große Energieversorger gelten. Viele nutzten dafür Dienstleister. Das sei leichter, „als sich selbst durch diesen Dschungel durchzukämpfen". Selbst in diesem Fall gebe es darum Hürden, für alle eine Anlage aufs Dach zu bringen. Teils produziere jeder wegen des Aufwands seinen eigenen Strom auf einem Stück des Dachs. „Das ist völlig irre", sagt Felten. Generell sieht der Experte viel Potenzial beim Energieteilen. Der Weg müsse aber einfacher sein: „Da herrscht gesetzlicher Handlungsbedarf auf Bundesebene."

Auf sein Inserat hat Alexander Wolff bisher keine Rückmeldung bekommen. Auf dem Schwarzen Brett Bremen hat er die Anzeige geschaltet. Er will aber dranbleiben, um sein Elektroauto doch noch mit Delmenhorster Sonne zu tanken.

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