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Energiekrise Blütenträume vom „grünen Stahl“

Zu den Branchen, die von den hohen Energiepreisen am härtesten getroffen werden, gehört die Stahlindustrie. Dabei ist sie auf dem Weg in eine grüne Zukunft - was auch so bleibt, hofft Christoph Barth.
14.09.2022, 05:00 Uhr
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Blütenträume vom „grünen Stahl“
Von Christoph Barth

Es gab einmal Zeiten, da galten rauchende Schlote als Zeichen von Fortschritt und Wohlstand. Mittlerweile sieht man das in weiten Teilen der Gesellschaft anders. Schon lange haben Schwefel, Staub und Stickoxide in den Abgasen der Hüttenwerke und Chemiefabriken nichts mehr zu suchen – oder jedenfalls nur innerhalb eng gefasster Grenzwerte. Was weiter aus den Schloten strömt, ist Kohlendioxid, der unvermeidliche Begleiter eines jeden Feuers aus Kohle, Erdöl oder Gas und leider der größte Treiber der Erderwärmung.

Den will zumindest die Stahlindustrie in den nächsten zehn bis 15 Jahren loswerden – und damit auch ihr Image als „Dreckschleuder“ und „Klimakiller“. Es ist beinahe tragisch, dass ausgerechnet in dem Moment, da die Branche sich aufmacht, ihre Hütten zu säubern, eine Krise von historischem Ausmaß nicht nur die guten Vorsätze infrage stellt, sondern den Fortbestand der ganzen Industrie.

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Inmitten des vielstimmigen Klagelieds der Lobbyisten war es ein Paukenschlag, als der Vorstand der Arcelor-Mittal-Hütte in Bremen seinen Mitarbeitern vergangene Woche erklärte, dass wegen der „exorbitant gestiegenen Energiepreise“ einer der beiden Hochöfen bis auf Weiteres stillgelegt werde.

Denn ein Hochofen ist nicht irgendein Kleinaggregat auf dem Gelände eines Hüttenwerks. Der Ofen steht wie ein hungriger Vielfraß am Anfang des Weges, den ein Klumpen Erz bei seiner Umwandlung in spiegelblankes Blech nimmt. Für eine Autokarosserie, zum Beispiel, oder einen Kühlschrank. Er schmilzt das Erz zu Eisen, aus dem Stahl gekocht und am Ende ein feines Blech gewalzt wird – alles in einem Werk. Wer einen Hochofen stilllegt, nimmt diesem Werk also seine Basis. Ein Drittel weniger Roheisen wird die Bremer Hütte künftig produzieren.

Ist das ein erster Beleg für den Beginn der viel beschworenen Deindustrialisierung Deutschlands? Vertreiben die enorm gestiegenen Energiepreise Stahlkocher, Aluminiumschmelzer, Glasmacher und Ziegelbrenner aus dem Land? Zu befürchten ist: Wenn die ohnehin schon hohen Energiepreise in Deutschland dauerhaft bei einem Mehrfachen dessen liegen, was etwa in den USA oder in Indien zu zahlen ist, wird es zu Produktionsverlagerungen kommen. Stahl kann man auch importieren. Und ein global operierender Konzern wie Arcelor-Mittal, der in 16 Ländern weltweit Stahl kocht, kalkuliert seine Kosten mit kühlem Desinteresse an Brandbriefen aus Rathäusern, Ministerien oder Gewerkschaftszentralen.

Andererseits gibt es die Hoffnung, dass der russische Rohstoffmagnat Wladimir Putin mit der vollständigen Abriegelung der Ostseepipeline Nord Stream 1 seinen letzten Trumpf ausgespielt hat. Mehr Aufruhr an den Märkten kann er kaum mehr anstacheln. Noch einmal schossen die Gaspreise an den Börsen in existenzvernichtende Höhen, seitdem sinken sie wieder.

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Das heißt leider nicht, dass sie jemals wieder das komfortable Niveau erreichen werden, das sie vor dem Erwachen der Putinschen Kriegsgelüste hatten. Für die Stahlindustrie ist das besonders bitter. Denn sie ist bereit, ihre Hochöfen in den kommenden Jahren durch Aggregate zu ersetzen, die das Erz ohne Unmengen von Kohle zu Eisen und Stahl schmelzen – und damit auch ohne den Ausstoß von Kohlendioxid. Direktreduktionsanlagen (DRI) und Elektro-Schmelzöfen sollen in ein paar Jahren mit Wasserstoff und grünem Strom betrieben werden, sobald diese in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Bis dahin muss ausgerechnet der Brennstoff als Übergangslösung herhalten, der jetzt so unbezahlbar teuer geworden ist: Erdgas.

Nach allem, was man aus der Branche hört, soll es trotz der aktuellen Spitzenpreise bei den geplanten Milliardeninvestitionen in die neue Technik bleiben. Auch von Arcelor-Mittal in Bremen heißt es: Wir arbeiten weiter mit Hochdruck an dem Projekt. Und das ist gut so. Denn wenn der grüne Stahl ein Blütentraum bliebe, wäre niemandem gedient. Die Hüttenindustrie hätte in Deutschland keine Zukunft. Und der Stahl käme dann von dort, wo rauchende Schlote noch heute als Zeichen des Wohlstands gelten.

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