Es wird der größte Umbau der Bremer Hütte seit ihrer Neugründung nach dem Krieg: Jahrzehntelang waren die Hochöfen und Konverter das Rückgrat der Stahlproduktion. Bis Anfang der 2030er-Jahre sollen sie stillgelegt und durch neue Aggregate ersetzt werden, die mit Strom und Wasserstoff statt mit Kohle betrieben werden. Um den Umbruch für die mehr als 3000 Beschäftigten der Hütte so reibungslos wie möglich zu gestalten, haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Arcelor-Mittal Bremen jetzt ihren gemeinsamen Weg abgesteckt. Doch es bleiben noch Fragen offen.
Allein im Hochofenwerk arbeiten 460 Männer und ein paar Frauen. Bislang besteht ihre Aufgabe darin, die Öfen von oben gleichmäßig mit Eisenerz und Koks zu befüllen und unten das flüssige, fast 1500 Grad heiße Roheisen abzustechen. Künftig soll eine schlanke Röhre die beiden Hochöfen ersetzen, 160 Meter hoch und mit Wasserstoff statt mit Koks befeuert. Die sogenannte DRI-Anlage – die englische Abkürzung für "direktreduziertes Eisen" – soll am Ende kein klimaschädliches Treibhausgas mehr ausstoßen, der Hauptgrund für die milliardenteure Umrüstung.
Die Schmelzer am Hochofen müssen also umlernen. Und nicht nur sie: Auch im Konverterwerk bleibt nichts mehr, wie es war: Wo zurzeit noch Sauerstoff in das Roheisen geblasen wird, um dieses zu Stahl zu veredeln, sollen künftig zwei Elektro-Lichtbogenöfen stehen und den Eisenschwamm aus der DRI-Anlage zusammen mit Schrott unter großem Geknatter und Getöse zu Stahl einschmelzen. Auch dort sind also neue Qualifikationen gefragt. "Am Ende wird der Wandel alle im Werk betreffen, bis hin zum Kaltwalzwerk", stellt Arbeitsdirektor Michael Hehemann klar. Und ihm ist bewusst: "Das löst nicht nur Jubelstürme aus."
Mike Boehlken sitzt im Betriebsrat der Hütte und kennt die Sorgen seiner Kollegen: "Natürlich wird sich einer, der 35 Jahre die gleichen Knöpfe gedrückt hat, jetzt fragen, was das alles für ihn bedeutet", sagt er. "Die Kollegen wollen den Weg mitgehen und gestalten, aber es wird auch welche geben, die sich damit schwertun. Und auch für die brauchen wir Lösungen."
Wie diese aussehen könnten, hat man sich im Aufsichtsrat der Hütte überlegt. In der Stahlindustrie ist das Kontrollgremium paritätisch besetzt, also zu gleichen Teilen mit Vertretern des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer. Die Belegschaft hat folglich ein Wörtchen mitzureden bei der Gestaltung ihrer Arbeitsplätze. Für Bremens IG-Metall-Chefin Ute Buggeln ist das ein "zentraler Standortvorteil". Denn: "Man kann diesen Wandel nur gemeinsam gestalten", sagt sie. "Es wird Stolpersteine geben, das wird nicht konfliktfrei verlaufen, aber konstruktiv und am Ende erfolgreich."
Das erste Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen ist eine Erklärung des Aufsichtsrates, die Buggeln und der Aufsichtsratsvorsitzende Dietmar Ringel jetzt unterschrieben haben. Darin wird die Absicherung der Beschäftigung als "sozialer Kernpunkt des Wandels" hervorgehoben. In der Übergangsphase, in der ein Hochofen und die DRI-Anlage parallel laufen, wird die Hütte mehr Beschäftigte benötigen als heute; ab 2030, wenn der große Hochofen 2 stillgelegt wird, werden es weniger sein. Der Bedarf soll in einer vorausschauenden Personalstrategie ermittelt werden; ebenso wie Stellenprofile und der Bedarf an Weiterqualifizierung. "Mit einer solchen Erklärung betreten wir Neuland", sagt Aufsichtsratschef Ringel. "Bremen ist da Vorreiter." Im Bundesarbeitsministerium unter Hubertus Heil (SPD) betrachte man das Vorhaben mit Interesse.
Tatsächlich sind jedoch noch nicht alle Fragen geklärt. Mehr als eine Milliarde Euro sollte die Umrüstung der Bremer Hütte auf die Produktion von "grünem" Stahl nach ersten Berechnungen kosten. Den größten Anteil daran wollen der Bund und das Land Bremen übernehmen. Doch die Genehmigung der staatlichen Förderung durch die Brüsseler EU-Kommission steht noch aus. Die Konkurrenz ist bereits einen Schritt weiter: Salzgitter hat die Zusage in der Tasche, Thyssen-Krupp verkündet, auch ohne Förderbescheid schon mal loslegen zu wollen.
Inzwischen sind die Kosten der Anlagen stark gestiegen, räumt Arbeitsdirektor Hehemann ein. Und eine verbindliche Investitionsentscheidung gibt es vonseiten der Unternehmensführung von Arcelor-Mittal noch nicht. Drei DRI-Anlagen will der weltweit operierende Konzern zunächst an seinen europäischen Standorten bauen – Bremen soll eine davon bekommen. Aber die Unternehmensführung um Juniorchef Aditya Mittal pokert noch: Die Preise für Strom und Gas, von denen die Hütte Unmengen für ihre neuen Anlagen braucht, sind in Deutschland infolge des Ukraine-Krieges besonders stark gestiegen – und ein globaler Konzern wie Arcelor-Mittal vergleicht gerne die Kosten an seinen Standorten. Auch in Deutschland ist das Thema mittlerweile Chefsache: Für Donnerstag hat sich die Mittal-Führung im Bundeskanzleramt bei Olaf Scholz angekündigt. Den indischen Stahlbossen wird es dabei wohl weniger um die Vorzüge der deutschen Mitbestimmung als um Strompreise gehen.