Verglichen mit den Distanzen, die die Oberstufe der neuen Ariane-6-Rakete künftig zurücklegen soll, war die Strecke ein Klacks. Gerade einmal acht Kilometer war die erste Reise lang, zumal die Oberstufe dabei die ganze Zeit am Boden geblieben ist. Wer dieser Tage mit Jens Laßmann, dem Bremer Standortleiter des Raketenbauers Ariane-Group spricht, der hört dennoch seine Erleichterung: „Es ist ein ganz hervorragendes Ereignis. Seit Jahren haben wir darauf hin gearbeitet.“
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag war es dann so weit: Die erste fertige Oberstufe hat das Bremer Werk von Ariane Group verlassen. Ihr Weg führt sie aber nicht zum europäischen Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana, sondern Luftlinie 425 Kilometer in den Süden. Genauer: nach Lampoldshausen. Dort soll die Oberstufe ganz genau getestet werden, unter nahezu realen Bedingungen. „Wie ein Erstflug am Boden“, beschreibt es Laßmann.
Doch was mit dem Auto relativ einfach ist – sechs Stunden über die A7 – ist mit einer Oberstufe eine logistische Herausforderung. Allein die Maße: 5,4 Meter ist ihr Durchmesser. Bereits vor einer Woche wurde sie sicher in einem Spezialcontainer verpackt, der 14 Meter lang und mehr als sechs Meter breit ist. Er hat sich nun auf den Weg gemacht – von der Airport-Stadt Richtung Neustädter Hafen. Dafür wurden Straßen gesperrt, Oberleitungen angehoben, Ampeln aus dem Weg geräumt. Fünf Stunden sollte die Oberstufe für ihre Route brauchen.
Vom Transporter geht es dann weiter auf das nächste Verkehrsmittel: Ein Schiff soll die Oberstufe erst Richtung Nordsee und dann noch Rotterdam bringen. Über die niederländische Waal geht es danach in den Rhein Richtung Süden; in Mannheim wird das Transportschiff in den Neckar abbiegen, ehe dann im Baden-Württembergischen Bad Wimpfen die Schiffsreise endet. Dort geht es dann wieder auf den Schwertransport, der die Stufe ins Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt nach Lampoldshausen bringt.
„Der Druck ist hoch“
Hier geht es dann darum, zu simulieren, wie sich die Oberstufe verhält, wenn sie das erste Mal wirklich im Einsatz ist. Das soll aber frühestens im zweiten Halbjahr 2022 der Fall sein, denn die Ariane 6 ist spät dran. Eigentlich hätte ihr Premierenflug schon vergangenen Dezember stattfinden sollen. Doch daraus wurde nichts: Der enge Zeitplan für Entwicklung und Bau konnten nicht eingehalten werden. Corona sei schuld, hieß es, aber nicht nur. Auch die geringe Nachfrage nach der neuen Trägerrakete setzt die beteiligten Unternehmen unter Druck. Zulieferer MT Aerospace, eine Tochter von OHB, brachte bereits einen Stellenabbau ins Spiel.
Zudem wurde Ende Oktober deutlich, dass die Ariane 6 mehr Geld braucht. 230 Millionen Euro zusätzlich sollen die Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation Esa zahlen. Die Gesamtkosten steigen damit auf rund 3,8 Milliarden Euro. „Der Druck ist hoch, er ist extrem hoch“, sagte der designierte Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher vor wenigen Wochen.
Dass mit der Auslieferung der allerersten Ariane-6-Oberstufe nun eine bedeutende Etappe genommen wurde, sei daher ein wichtiges Zeichen. Rund zwei Jahre wurde an ihr gearbeitet; allein in Bremen waren rund 250 Menschen an Bau und Entwicklung beschäftigt, europaweit waren es mehr als 600. „Das ist ein Signal nach außen“, sagt Laßmann. Aber auch für die eigenen Mitarbeiter ist die erste fertige Oberstufe ein wichtiger Schritt. „Die Teams haben viel geschwitzt.“ Zuletzt wurde in Bremen die Arbeit auf drei Schichten verteilt. Laßmann hofft, dass der Teilerfolg nun neue Motivation bringt – die nächsten Meilensteine stehen schon an.
Aktuell wird in der Produktionshalle im Bremer Süden an der zweiten Oberstufe gebaut. Sie soll noch in diesem Jahr fertig werden und zum Weltraumbahnhof nach Kourou gebracht werden. Hier wird zum ersten Mal die Ariane 6 nahezu komplett zusammengebaut stehen. Abheben wird sie dann aber immer noch nicht. Es werden weitere Tests durchgeführt. Richtig ernst wird es dann aber mit der dritten Oberstufe, für die in Bremen schon etliche Teile bereit liegen und die ebenfalls noch in diesem Jahr gebaut werden soll. Sie ist für den Erstflug 2022 vorgesehen.