Am Bremer Kreuz versteckt sich ein Weltrekord. In einer Halle mitten im Gewerbegebiet soll sich nämlich das größte Lager dieses Planeten befinden – und zwar für Schläuche in allen erdenklichen Ausführungen. 17.000 Paletten sollen hier Platz haben. Wozu aber ist ein solcher Vorrat nötig?
Gleich um die Ecke in der nächsten Straße sitzt Thomas Armerding in seinem Büro. Zu seinem Unternehmen Hansa-Flex gehört die Halle mit dem Schlauch-Lager. Das Gebäude ist Teil der neuen Zentrale des Hydraulikspezialisten. Mehr als 20 Millionen Euro sind am Standort investiert worden. Und weil der Platzbedarf groß ist, bleibt auch die alte Zentrale ganz in der Nähe erhalten. Dort hat Armerding sein Büro.

Thomas Armerding lenkt das Geschäft als Vorstandschef – mit hanseatischer Gelassenheit.
Gerade feierte das Unternehmen beim Sommerfest nicht nur die Eröffnung des Neubaus, sondern auch die Gründung vor 60 Jahren. Thomas Armerdings Vater hat den Betrieb aufgebaut. Alles fing in einer kleinen Garage in Achim an. Und noch heute steht die grüne Werkbank, auf der Joachim Armerding die ersten Hydraulikschlauchleitungen konfektionierte, in der Firmenzentrale.
In allen Branchen ist Hydraulik gefragt, ob beim Stahlwerk, beim Bauunternehmen oder in der Lebensmittelbranche. "Es gibt keine Branche, in der wir nicht sind", sagt der Chef. Und die Bremer sind nach eigenen Angaben Marktführer in Europa.
Unternehmer Armerding könnte bis zum Jahresende locker jeden Tag einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnen – inklusive der Wochenenden. Selbst dann wäre der Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch nicht gedeckt. "Wir haben im Moment über 250 offene Stellen im Bundesgebiet", sagt der Vorstandsvorsitzende von Hansa-Flex. Wie viele Menschen in Bremen auf einen Schlag anfangen könnten? Armerding überlegt nicht lange. 30 Produktionshelfer zum Beispiel. Es fehlten generell Menschen für leichte Anlerntätigkeiten – viel mehr noch als die Fachkräfte. "Das geht nicht nur uns so, sondern zieht sich durch alle Branchen." Heute müssten Aufträge abgelehnt werden, weil das Unternehmen so gut zu tun habe. "Wir könnten noch mehr verkaufen, wenn wir mehr Ware und mehr Mitarbeiter hätten. Und unsere Kunden auch", sagt Armerding.
Die weltweiten Lieferketten sind durcheinandergeraten. Bestellungen kommen deshalb auch hier später an als geplant. "Schlauch hat man früher innerhalb von sechs Wochen bekommen. Heute sind es bis zu 70 Wochen." Die Lagerhaltung fängt die Engpässe etwas auf. Außerdem sind die Preise – wie überall – gestiegen. Die Hälfte des in Europa produzierten Edelstahls käme aus der Ukraine. "Da ist ein riesiger Mangel. Die Preise sind über Nacht um 50 Prozent gestiegen." Armerding geht davon aus, dass diese Teuerungen für die Industrie mit Verzögerung auch beim Verbraucher noch ankommen werden. "Ich bin davon überzeugt, dass die Inflation noch nicht am Ende ist." Es habe bei Hansa-Flex noch nie so viele Preiserhöhungen geben müssen seit er im Unternehmen sei. "Und das sind nun auch schon 35 Jahre."
Geschäft im Verborgenen
Das Geschäft von Hansa-Flex findet für die meisten Menschen im Verborgenen statt – selbst wenn Hydraulik überall zum Einsatz kommt. So bewegt sich beispielsweise ein Bagger mithilfe der Technik. "Es werden Kräfte durch Öl übertragen", erklärt Armerding das Prinzip. Das Öl fließt durch Rohrleitungen, Ventile, Verschraubungen und eben verschiedenste Schläuche. Beratung, Instandhaltung, Reparatur, Ölanalyse – Hansa-Flex bietet den gesamten Service an. "Alles rund um die Fluidtechnik", sagt der Chef. "Wir bauen auch komplette Anlagen."

Vor Ort befindet sich nach Angaben des Unternehmens das weltgrößte Lager für Schlauchware.
Das Unternehmen hat weltweit mehr als 4000 Mitarbeiter. Bremen ist mit mehr als 400 Beschäftigten der größte Standort. Hier sitzt die Schaltzentrale. Das sei schon die Philosophie seines Vaters gewesen, sagt Armerding, an den Standorten im Ausland soll vor allem Platz zum Verkaufen sein. In 40 Ländern ist der Hydraulikspezialist tätig, auf allen Kontinenten – fast. "Außer der Antarktis. Da ist es zu kalt", sagt Armerding im Scherz. Wobei: Auch die Forscherstation des Alfred-Wegener-Instituts dort kommt nicht ohne Hydraulik aus, um nicht im Eis zu versinken. Fast habe Hansa-Flex vor Jahren den Auftrag für die Antarktis bekommen. "Wir waren kurz davor."
Als "Brot- und Buttergeschäft" bezeichnet der Unternehmer die Lieferung von Ersatzteilen. Dabei ist Tempo gefragt. "Wenn so ein Schlauch kaputt geht, dann stehen die Anlagen, und die kosten teilweise Millionen. Da kommt es auf Minuten an." Wie oft müssen die Mitarbeiter denn rausfahren, weil irgendwo etwas beschädigt ist? "Das kommt täglich siebenhundert- bis achthundertmal allein in Deutschland vor, dass ein Fahrzeug von uns zum Einsatz fährt", sagt Armerding. "Da geht schon was kaputt." Wer das Geschäft nicht kennt, staunt über die Dimension.

Die neue Zentrale von Hansa-Flex hat mehr als 20 Millionen Euro gekostet – ein Bekenntnis zum Standort.
Thomas Armerding lenkt die Geschäfte im Vorstand mit zwei Kollegen. Seine Tochter Alina Armerding soll die Leitung irgendwann übernehmen. "Das wäre schön", sagt Armerding. Wie sah sein eigener Einstieg damals aus? "Ich bin da so reingeschliddert", sagt der Vorstandschef in seiner unprätentiösen Art. "Und dann war es relativ schnell klar, dass man hier nicht wieder rauskommt." Vor allem nach der Wiedervereinigung wuchs das Geschäft. Es sei dann Schlag auf Schlag gegangen.
Die alte Zentrale war schon lange zu klein für die Entwicklung des Hydraulikspezialisten. Im Gewerbegebiet mussten schon weitere Standorte angemietet werden. Jetzt gibt es drüben im modernen Bürogebäude neben der Produktion und dem Lager auch eine Kantine mit Dachterrasse. Das ist auch der Grund, warum die Mitarbeiter der alten Zentrale eine Viertelstunde länger Mittagspause haben: für den Weg rüber.