Zu den wenigen Profiteuren der Corona-Krise zählten im Frühjahr und Sommer die Fahrradläden. Viele Menschen mieden die öffentlichen Verkehrsmittel und stiegen für den Arbeitsweg auf das Rad um. Sie ersetzten Auslandsreisen durch Tagesausflüge oder Hallensport durch Fahrten mit dem Rennrad. Die Händler erlebten einen regelrechten Ansturm – dessen Nachwirkungen auch jetzt noch zu spüren sind. In vielen Geschäften mangelt es schlichtweg an Ware.
„Saisonmodelle sind teils schon seit Monaten ausverkauft und nicht mehr nachorderbar“, sagt Ulrike Wittstock. Sie ist Inhaberin des Fahrradgeschäfts Witt-Rad in der Neustadt. Auch neue Modelle seien noch nicht erhältlich. So manches Mal habe ihr gut gefülltes Lager dabei geholfen, den Kundenwünschen doch noch gerecht zu werden. Mittlerweile sei aber auch das Lager leer. „Wartezeiten von ein paar Wochen oder teils sogar Monaten sind zurzeit die Regel“, sagt Wittstock weiter.
Während die kleinen Geschäfte teilweise ausverkauft sind, sieht es in den Filialen größerer Ketten etwas besser aus. Die große Nachfrage der vergangenen Monate ist allerdings auch dort im Warenangebot zu spüren. „In bestimmten Segmenten können wir derzeit nicht die gewohnte Auswahl bereitstellen“, sagt Monika Miß, Sprecherin der Bike & Outdoor Company (BOC). In Stuhr-Brinkum und in Hastedt betreibt BOC jeweils eine große Filiale. Vor allem bei Mountainbikes werde der Nachschub knapp. Für die Engpässe sei nicht nur die große Nachfrage verantwortlich, sondern auch coronabedingt unterbrochene Lieferketten und eingeschränkte Produktionskapazitäten der Hersteller.
Hersteller produzieren Räder lange im Voraus
Auch Rennräder sind aus diesen Gründen vielerorts mittlerweile Mangelware. „Ich habe die Räder etwas weiter auseinander gestellt, damit es im Laden nicht so leer aussieht“, sagt Bernd Wellbrock vom Geschäft Velo Sport in der Innenstadt. Er prophezeit für das kommende Jahr das gleiche Problem: „Es wird dann wohl so sein, dass viele Leute nicht mehr fragen: ,Wie teuer ist das?' Sondern: ,Hast du noch was?'“ Die Ware für 2021 würde normalerweise in diesen Tagen bei ihm ankommen, erklärt er. Schon jetzt sei allerdings klar, dass viele Räder erst im Juni geliefert werden könnten. „Dann ist die Saison fast vorbei“, sagt Wellbrock. Das Problem: Hersteller produzieren Räder und Ersatzteile lange im Voraus. „Die Saison 2021 und der Bedarf dafür wurden im Herbst 2019 geplant, also vor Corona. An die neuen Bedingungen konnten sich die Hersteller nicht so schnell anpassen“, sagt Wellbrock.
Auf der anderen Seite ist die Nachfrage immer noch groß. Der Fahrradboom halte an, sagt Ulrike Wittstock. Viele Kunden hätten in diesem Jahr geplante Aktivitäten ausfallen lassen müssen und ihr Geld deswegen in hochwertige Räder gesteckt. Andererseits habe die undurchsichtige wirtschaftliche Lage dazu geführt, dass mehr Kunden nach günstigen oder gebrauchten Fahrrädern fragen. Auch bei BOC seien Fahrräder und E-Bikes nach wie vor sehr begehrt, sagt Monika Miß.
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) verkauft zwar keine Räder, berichtet aber für Bremen ebenfalls von Mitgliedern, die teilweise lange auf eine Fahrrad- oder Zubehörbestellung warten müssten. „Allerdings beruht diese Beobachtung auf den Berichten von Einzelfällen, ohne dass wir dazu konkrete Statistiken vorweisen könnten“, sagt Pina Pohl vom ADFC-Bremen.
Ein etwas konkreteres Fazit gibt es von den Fachverbänden zu den diesjährigen Verkaufszahlen der Fahrradbranche. „Wir gehen davon aus, dass viele Händler 2020 mit einem sehr guten Ergebnis abschließen werden – unabhängig davon, wie sich die letzten Monate noch entwickeln“, sagt Tobias Hempelmann, Vorstandsmitglied beim Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ). Angesichts der hohen Nachfrage in vielen Geschäften erwartet der VDZ im Vergleich zum Vorjahr für 2020 ein Umsatzplus im zweistelligen Prozentbereich. Auch der VDZ schränkt jedoch ein: Die gute Lage der Fahrradbranche sei für viele Kunden mancherorts mit langen Wartezeiten für Modelle und Reparaturen verbunden. Nach Angaben des Verbandes kommt es vor allem in Ballungsgebieten zu Engpässen, da dort besonders viele Menschen vom ÖPNV auf das Rad umgestiegen seien.
Wie Corona die Mobilität verändert
Viele Bürger wollen einer Umfrage zufolge auch nach der Corona-Krise häufiger mit dem Fahrrad fahren. Das ergab der „Mobilitätsmonitor 2020“ – eine vom Institut für Demoskopie Allensbach im Juli durchgeführte Untersuchung. Für die repräsentative Umfrage wurden 1237 Menschen befragt. Das Mobilitätsverhalten der Bürger hat sich demnach wegen der Krise geändert. Der Mobilitätsradius sei kleiner geworden, davon profitiere vor allem das Fahrrad, so Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts.
Der Anteil der Bevölkerung, der täglich das Fahrrad nutze, sei gegenüber der Umfrage 2019 von 17 auf 22 Prozent gestiegen. In Bremen lässt sich dieser Trend zumindest anhand der Zahlen des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs nicht belegen. Sprecherin Pina Pohl sagt: „Es sind zwar angeblich sehr viele Menschen auf das Rad umgestiegen, dennoch gab es insgesamt ein verringertes Verkehrsaufkommen.“ Trotz Fahrradboom hätten die Zählstellen, zum Beispiel die an der Wilhelm-Kaisen-Brücke, nicht mehr Radfahrende als in den Vorjahren verzeichnet, so Pohl.