Dass etwas passieren muss, da waren sich Gewerkschafter und Politiker schnell einig. Sonst, so die gemeinsame, düstere Vision, stünden viele Arbeitsplätze in Norddeutschland auf dem Spiel. Das wurde bei einer Tagung der IG Metall Küste an diesem Mittwoch in Emden deutlich. Unter dem Motto „Mobilität neu denken“ diskutierten Betriebsräte aus der Automobilindustrie, Werksleiter und auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) über die Herausforderungen der deutschen Automobilbranche und der Politik.
Momentan ist die Automobilindustrie der größte Arbeitgeber in Niedersachsen. Damit sich das bei der Umstellung vom Verbrennungsmotor auf alternative Antriebe in der Fertigung nicht ändere, dafür müssten jetzt die Weichen gestellt werden. „Mit dem Wandel zu Elektro- und Hybridfahrzeuge müssen wir die Wertschöpfungskette in Niedersachsen und Deutschland abbilden können“, sagte Lies. Denn der Bau eines Elektroautos sei wesentlich unkomplizierter als die Produktion eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor.
Deswegen misst er der Entwicklung und dem Bau von Batteriezellen eine große Bedeutung zu. Bei E-Autos sind sie ein großer Teil der Wertschöpfung. „Der Norden ist der Produktionsstandort der Zukunft. Deswegen muss die Batteriezellenproduktion auch hier in Norddeutschland stattfinden“, forderte der Minister.
Momentan wird aber ein Großteil der Batterien für Elektroautos und deren Zellen aber noch in Japan, Korea und China hergestellt und nach Deutschland importiert. Hier werden die Zellen dann zu Batterien zusammengesetzt. Daimler betreibt unter anderem eine Batteriefabrik im sächsischen Kamenz, BMW in Dingolfing; VW will eine Fertigung bauen und erwägt als Standort Salzgitter. Bislang hat der weltweit größte Autobauer dort ein Motorenwerk. Zudem gibt es Spekulationen über eine eigene Zellfertigung.
Damit die Wertschöpfung künftig im Land bleibe, müsse auch die Politik tätig werden, sagte der Wirtschaftsminister. „Die Rahmenbedingungen müssen gut sein, damit die deutsche Industrie wettbewerbsfähig bleibt und wirtschaftlich arbeiten kann“, so Lies. Dazu zählt der Sozialdemokrat etwa die Strompreise für die besonders energieintensive Batterie- und Zellproduktion. Gleichzeitig hält er es für möglich, dass mit Hilfe der Digitalisierung zum Teil ins Ausland ausgelagerte Jobs wieder nach Deutschland geholt werden könnten.
An der Küste die Autos der Zukunft bauen
Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste, sieht die Region, in der rund 250.000 Menschen direkt von der Autoindustrie abhängen, bislang noch gut für die Zukunft aufgestellt. „Wichtige Entscheidungen der Konzerne Daimler und VW für die Werke in Bremen, Emden und Hamburg machen deutlich, dass auch wir an der Küste die Autos der Zukunft bauen.“ So lasse sich Beschäftigung sichern.
Er mahnte allerdings auch an, dass Elektromobilität nur funktioniere, wenn der Strom dafür aus erneuerbaren Energien komme. Sonst sei die vermeintliche umweltfreundliche Alternative genau das Gegenteil und mitunter sogar noch umweltschädlicher als ein Auto mit Verbrennungsmotor. „Wir brauchen daher ehrgeizige Ausbauziele für die erneuerbaren Energien“, sagte Geiken. Das helfe letztendlich auch vielen Beschäftigten, die sich dort für neue Aufgaben qualifizieren könnten.
Debatte um Diesel „absurd“
Neben Lies und Geiken war auch Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, an diesem Mittwoch in Emden. Alle drei waren sich einig, dass der Diesel eine Zukunft habe und momentan unverzichtbar sei. Lies ging sogar noch einen Schritt weiter: Er erteilte der aktuellen Debatte um den Selbstzünder eine Abfuhr. „Das ist eine absurde Diskussion, die wir nicht führen müssen“, sagte der Wirtschaftsminister. „Wir werden noch viele Jahre Diesel bauen und fahren.“ Bis zur Bundestagswahl am 24. September erwarte er aber keine inhaltlich fundierte Diskussion mehr.
Dass der Diesel nun in Verruf geraten sei, haben nicht mit der Technologie zu tun, sondern mit den Rahmenbedingungen. „Wir müssen uns fragen, ob die Politik der Industrie die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt hat“, sagte Lies. Gleichzeitig erwarte er von den Herstellern, dass sie den Autofahrern nun eine Lösung bieten, damit diese auch noch in 15 Jahren mit ihrem Diesel-Fahrzeug unterwegs sein könnten, das sie erst vor zwei Jahren gekauft haben. „Ob das mit einem Software- oder Hardware-Update passiert, ist mir egal.“ Hauptsache sei, dass die Autobesitzer die Sicherheit bekämen, weiterhin fahren zu können.

"Wir werden noch viele Jahre Diesel bauen und fahren." Wirtschaftsminister Olaf Lies.
Bei der Tagung diskutierten auch Andreas Dieck, Standortleiter des Volkswagen-Werks in Emden, und Peter Kellermann, früher Standortleiter von Mercedes in Bremen und jetzt Produktionsleiter für die S-, E- und C-Klasse. Dabei wurde deutlich, dass auch die Automanager der Meinung sind, dass der Umstieg auf das Elektroauto nicht sofort gelingen könne. „Das Käuferverhalten spiegelt das Interesse an der E-Mobilität momentan noch nicht wider“, sagte Dieck, der an seinem Standort die Hybridversion des Passat-Modells baut. „Wir könnten noch viel mehr bauen, aber nicht verkaufen.“
Mercedes in Bremen
Er werde sich aber bemühen, auch die Produktion eines Autos mit reinem Elektroantrieb in die Hafenstadt zu holen. Bei Mercedes in Bremen ist man schon einen Schritt weiter: 2019 soll das erste Auto der Elektromarke EQ in Sebaldsbrück vom Band rollen. Wie viele Elektroautos dann im Bremer Werk entstehen sollen, ist nicht bekannt. Mercedes plant aber, dass der Anteil der Elektromodelle bis 2025 zwischen 15 und 25 Prozent liegen soll.
In diesem Zusammenhang wiederholte Jörg Hofmann seine Forderung, die er bereits im Interview mit dem WESER-KURIER geäußert hatte. Er gehe davon aus, dass der Erfolg der E-Mobilität auch eine Frage der Infrastruktur sei – in diese müssten noch Milliarden investiert werden. „Wenn wir das dem Markt überlassen, dann fahren wir in 30 Jahre noch alle Autos mit Verbrennungsmotoren“, sagte Hofmann. Die Kunden von E-Autos müssten aber die Gewissheit haben, dass sie überall ihr Auto laden könnten. Sonst werde sich die Elektromobilität nie durchsetzen.