Herr Stührmann, der Stahlhersteller Arcelor-Mittal hat die Umrüstung seiner Bremer Hütte auf die Produktion von grünem Stahl vorerst abgesagt. Was heißt das für den Standort?
Torben Stührmann: Ohne Maßnahmen zur Dekarbonisierung – also die Abkehr von Brennstoffen wie Kohle und Gas – droht dem Werk spätestens 2045 die Schließung. Nach den Plänen der EU sollen die Preise der Zertifikate, die für den Ausstoß von CO2 benötigt werden, auch für die Schwerindustrie stark steigen, so dass auch schon 2040 das wirtschaftliche Aus kommen könnte. Die Produktion wird dann einfach zu teuer.
Drohen die ersten Stilllegungen nicht schon viel früher? Ende der 2020er-Jahre geht der erste Hochofen außer Betrieb, weil er das Ende seiner Nutzungsdauer erreicht hat. Ohne Ersatz fiele dann ein Teil der Roheisenproduktion weg, der für alle weiteren Produktionsschritte im Werk benötigt wird.
Das stimmt – aus technischer Sicht ist der Druck noch viel größer. Da könnten in der Tat schon in den nächsten Jahren die ersten Anlagen stillgelegt werden.
Arcelor-Mittal wollte den Hochofen 3 durch eine Direktreduktionsanlage (DRI) ersetzen, die mit grünem Wasserstoff – also ohne CO2-Emissionen – betrieben werden kann. Jetzt verzichtet der Konzern auf 1,3 Milliarden Euro staatliche Förderung, weil sich die Sache trotz dieser massiven Subvention nicht rechnet. Können Sie das nachvollziehen?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, zu verstehen, dass Arcelor-Mittal – im Unterschied zu seinen deutschen Mitbewerbern – ein multinationaler Konzern ist. Thyssenkrupp und Salzgitter können nur an ihren deutschen Standorten investieren. Arcelor-Mittal dagegen muss die Vorprodukte für seinen Stahl nicht unbedingt in Bremen produzieren, sondern kann das auch an einem seiner anderen Standorte tun, wo die Energiekosten möglicherweise niedriger sind.
Das heißt: Die Vorprodukte würden dann nach Bremen verschifft und hier nur noch weiterverarbeitet?
Genau. Das kann Eisenschwamm aus einer DRI-Anlage sein, der hier zu Stahl weiterverarbeitet wird. Das können auch halbfertige Stahlbrammen sein, die in Bremen nur noch gewalzt werden. Kollegen haben ausgerechnet, dass die Produktionskosten dadurch signifikant gesenkt werden könnten. In der Wissenschaft wird das als der "Renewables Pull"-Effekt diskutiert – also die Anziehungskraft, die erneuerbare Energien an kostengünstigen Standorten in anderen Teilen der Welt auf die einheimische Produktion ausüben.
Wie viele Arbeitsplätze würden dadurch in Bremen wegfallen?
Das lässt sich im Moment schwer sagen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wäre ein begrenzter Abbau der Belegschaft möglicherweise langfristig sogar zu verkraften. Wichtig wäre es aus meiner Sicht, einen möglichst hohen Anteil der Wertschöpfung und Arbeitsplätze hier zu behalten. Genau da setzt unser Forschungsprojekt Hybit an: Wir untersuchen mit über 20 Partnern, wie wir die Industrie auf dem Weg zur CO2-Neutralität unterstützen und möglichst viel Wertschöpfung in Bremen erhalten beziehungsweise auch neue Potenziale entwickeln können. Deshalb wäre vor allem die Investition in einen Elektrolichtbogenofen für den Standort so wichtig.
Der mit importiertem Eisenschwamm und mit Schrott befüllt wird, um daraus neuen Stahl zu erzeugen.
Richtig. So ließe sich ein größerer Teil der Wertschöpfung in Bremen halten. Der Elektrolichtbogenofen wäre der Gamechanger.
So ein Ofen braucht enorme Mengen an Strom, der aber in Deutschland viel zu teuer sei, sagt der Konzern. Haben die "Stahlbosse", wie Bremens Bürgermeister sie nennt, Recht?
Die Diskussion um einen Industriestrompreis und Strompreiszonen wird ja berechtigterweise schon länger geführt. Ich glaube, das Ganze ist im Moment so ein bisschen ein Pokerspiel: Arcelor-Mittal hat als zweitgrößter Stahlkonzern der Welt natürlich eine große Marktmacht und sieht offenbar die Chance, durch den öffentlichkeitswirksamen Verzicht auf das Transformationsprojekt bessere Bedingungen durchzusetzen. Die wollen Druck machen. Zur Wahrheit gehört aber natürlich auch, dass die europäische Stahlbranche tatsächlich erhebliche Transformationsherausforderungen hat und gleichzeitig international erheblichem Druck ausgesetzt ist.
Die Bereitschaft, sich den Klimaschutz etwas kosten zu lassen, hat in der neuen Bundesregierung, in der EU und auch in der Bevölkerung nachgelassen. Spekuliert Arcelor-Mittal darauf?
Es gibt eine breite Bewegung gegen mehr Klimaschutz. Das ändert aber nichts daran, dass der Klimawandel stattfindet und wir mit einem Verzicht auf solche Transformationsprojekte da voll reinlaufen. Ich finde es zu kurz gedacht, auf milliardenschwere Fördermittel von Bund und Land zu verzichten, weil man der Auffassung ist: Im Moment rechnet sich das nicht. Wir sollten endlich aufhören, Klimaschutz und wirtschaftlichen Erfolg als Gegensätze zu betrachten – unternehmerische Verantwortung darf beim Klimaschutz nicht aufhören.
Mit ihrem Forschungsprojekt Hybit wollen Sie die Umstellung der Bremer Wirtschaft auf klimaneutralen Wasserstoff begleiten – mit dem Stahlwerk als zentralem Abnehmer. Ist das Projekt mit der Absage von Arcelor-Mittal gescheitert?
Nein, im Gegenteil. Genau wegen dieser großen Unsicherheiten im Transformationsprozess machen wir derartige Forschungsprojekte und versuchen, gemeinsam neue Lösungen zu entwickeln. Wasserstoff bleibt ein Schlüssel zur industriellen Transformation.
Das Gespräch führte Christoph Barth.