Während der Pandemie haben deutlich mehr Selbstständige in Bremen staatliche Grundsicherung beantragt. Von April 2020 bis Juli 2021 lag die Zahl nach Angaben des Jobcenters Bremen bei mehr als 1700 – das entsprach wie auf Bundesebene einer Versechsfachung gegenüber dem Vergleichszeitraum. Trotz der hohen Zahlen habe das Unterstützungssystem auch während der Pandemie funktioniert, sagt der Geschäftsführer des Jobcenters, Thorsten Spinn. „Wer unverschuldet in materielle Not gerät und vorübergehend Hilfe benötigt, bekommt sie bei uns.“
In Niedersachsen versiebenfachte sich die Zahl der Selbstständigen in der Grundsicherung auf 12.158. „Mit dem Einsetzen des Lockdowns im März 2020 wurde die Grundsicherung plötzlich auch für Menschen eine wichtige Stütze, die vorher kaum mit den Jobcentern Kontakt hatten. Dazu gehörten auch Selbstständige, die wegen der massenhaft weggebrochenen Aufträge in finanzielle Not geraten sind“, sagt Johannes Pfeiffer, Chef der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit (BA). In den vergangenen Monaten hat sich die Zahl der Anträge auf Grundsicherung von Selbstständigen wieder reduziert – auch auf Bundesebene.
Diese Tendenz zeigt sich auch in Bremen und Bremerhaven. „Für das Jahr 2021 weisen noch nicht veröffentlichte Daten der BA derzeit für beide Jobcenter darauf hin, dass diese Zahl bereits seit März 2021 stetig sinkt“, teilt der Sprecher des Wirtschaftsressorts, Christoph Sonnenberg, mit. Der Trend werde anhalten, „wenn es nicht zu erneuten Restriktionen aufgrund einer verschärften Pandemiesituation kommen sollte“.
In einem aktuellen Beitrag des Magazins „Frontal“ wird derweil Kritik am Verfahren für die Hilfe für Selbstständige laut. „Die Soforthilfe war ein riesiges bürokratisches Chaos“, äußert sich darin Andreas Lutz, der Vorsitzende des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD). Die Hilfen seien an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen vorbei ausgestaltet worden.
Von den 50 Milliarden Euro Soforthilfe für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen ist laut Bericht, der sich auf das Wirtschaftsministerium beruft, nur ein Teil geflossen, weil zum Beispiel Selbstständige kaum Fixkosten für den Betrieb verzeichneten. Lebenshaltungskosten sollten über die Grundsicherung gedeckt werden.
Wie hat Selbstständige in Bremen die Krise erwischt? „Es ist ein sehr heterogenes Bild“, sagt Karsten Klepper, Leiter und Gründer der Regionalgruppe des VGSD in Bremen. Selbstständige im Onlinebereich hätten wahrscheinlich überwiegend eine erhöhte Nachfrage erlebt – im Gegensatz zu Unternehmern in der Veranstaltungsbranche. Ebenso unterschiedlich ist laut Klepper die Unterstützung angekommen. „Teilweise kamen die Zusagen zügig. Andere warten bis heute.“ Klepper kann sich eine unbürokratischere Pauschallösung vorstellen. Sie hätte nach seiner Einschätzung vielen helfen können. Stattdessen hätten Selbstständige auf ihre Rücklagen zurückgreifen müssen, die eigentlich für die Rente gedacht seien.
Die Individualität der Selbstständigen sei nicht ausreichend gut berücksichtigt worden. „Das mag sicher aufgrund der Bürokratie nicht so einfach sein – das kann ich nachvollziehen“, sagt Klepper. Dennoch sei zu bedenken: Selbstständige hätten einen sehr großen Anteil an der Wirtschaftsleistung des Landes. Sein eigener Betrieb, der Familienunternehmen beim Aufbau ihrer Marke hilft, setzte während der Pandemie stärker auf Onlineformate. So habe er Kunden gewonnen, sagt Klepper, an die er sonst gar nicht herangekommen wäre.
Derzeit beziehen in Bremen etwas mehr als 900 Selbstständige die Grundsicherung. „Wie für alle anderen gilt auch für Selbstständige ein vereinfachtes Antragsverfahren“, teilte die Sprecherin des Jobcenters, Kersten Artus, mit. Das Vermögen der Selbstständigen werde für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt, wenn die Antragsteller erklärten, dass sie „kein erhebliches Vermögen“ hätten. Bei den Kosten der Unterkunft sei die Prüfung der Angemessenheit ausgesetzt. „Das heißt, in der Regel werden alle Unterkunftskosten übernommen.“
In Bremerhaven stiegen die Antragszahlen zeitweilig ebenfalls deutlich, wie Nina von Rittern, die Geschäftsführerin des Jobcenters bestätigt. Aktuell werden in der Seestadt 418 Selbstständige betreut und damit knapp zwölf Prozent mehr als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie.
Speziell geschulte Experten beraten die Unternehmer: „Hierdurch garantieren wir eine gute Betreuung der durch die Pandemie in eine Notlage geratenen Selbstständigen. Dies führt bei den Betroffenen vielfach zu nur kurzen Verweildauern im Leistungsbezug.“