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Kristina Vogt im Interview "Wir reden über 70.000 Arbeitsplätze"

Als Wirtschaftssenatorin hat sich die Linke Kristina Vogt Anerkennung über ihre eigene Partei hinaus erworben. Jetzt übernimmt sie auch die Häfen in ihr Ressort - und plant dort Milliardeninvestitionen.
14.07.2023, 05:00 Uhr
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Von Christoph Barth

Frau Vogt, Sie sind jetzt nicht nur die bremische Wirtschafts-, sondern auch Häfensenatorin. Sind Sie seefest?

Kristina Vogt: Überwiegend ja. Ich bin tatsächlich schon viel mit Schiffen und Fähren unterwegs gewesen und gehöre zu denjenigen, die auch bei höheren Windstärken weder auf dem Weg nach Helgoland noch in der Irischen See Schwierigkeiten bekommen. Man soll ja auf den Horizont gucken.

Die Seemannsknoten beherrschen Sie auch und wissen, wo backbord und steuerbord ist?

Das weiß ich. Bei den Seemannsknoten würde ich mich nicht so weit vorwagen. Die habe ich in meiner Zeit bei den Pfadfindern allemal gelernt, aber das ist lange her.

Die Seefestigkeit werden Sie brauchen: Wirtschaft und Häfen stehen ganz oben im Koalitionsvertrag – beide Bereiche fallen jetzt unter Ihre Verantwortung, obwohl die Linke die kleinste Partei in der rot-grün-roten Koalition ist. Sind Sie eine Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen?

So kann man das, glaube ich, nicht betrachten. Wir hätten gerne das Arbeitsressort behalten. Aber die Koalitionsverhandlungen standen von Anfang an unter der Prämisse, sinnvolle Ressortzuschnitte zu schaffen. Die bisherige Aufteilung konnte man den Menschen zum Teil nur schwer erklären; für die Trennung von Wirtschaft und Häfen etwa sind wir viel kritisiert worden. Das führen wir jetzt wieder zusammen.

In Bremerhaven und in der SPD hat es Irritationen darüber gegeben, dass man das Häfenressort aus der Hand gegeben hat – der bisherige SPD-Häfenstaatsrat Tim Cordßen hat sich in den sozialen Medien mit einer Breitseite gegen den eigenen Bürgermeister in den einstweiligen Ruhestand verabschiedet. Was halten Sie dem entgegen?

Ich bin zum Glück nicht auf allen Social-Media-Kanälen unterwegs; das müssen die Genossen unter sich ausmachen. Aber Bremerhaven ist für mich ja kein fremdes Gebiet. Ich bin als Wirtschafts- und Arbeitssenatorin viel in Bremerhaven gewesen; wir haben dort Arbeitsmarktprojekte und die Veränderungsprozesse bei Eurogate und auf der Lloyd Werft begleitet. Das ganze Thema Energiewende ist ohne Bremerhaven nicht denkbar – für mich liegt dort der Schlüssel für das Gelingen der Energiewende.

Bevor wir über die einzelnen Projekte sprechen: Gibt es etwas, das eine linke Häfensenatorin grundsätzlich anders machen wird als eine SPD-Senatorin?

Es gibt da zwischen einer linken Häfensenatorin und der SPD große Überschneidungen. In der Frage der Transformation etwa, also der Umstrukturierung der Wirtschaft: Wie nimmt man die Menschen dabei mit? Wie sichert man ihnen einen Arbeitsplatz zu? Da liegen wir nicht weit auseinander.

Gibt es in Bremen so etwas wie einen parteiübergreifenden Konsens: Die Häfen sind das Herz der Stadt?

Die Häfen haben Bremen geprägt und zu Wohlstand verholfen. Wir reden hier über 70.000 Arbeitsplätze – natürlich nicht alle an der Hafenkante, sondern auch in der Logistik, in der Exportwirtschaft. Jetzt kommt der ganze Bereich der erneuerbaren Energien dazu. Das ist eine historische Chance für die Küstenländer.

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Im Koalitionsvertrag sind riesige Investitionen in die Häfen aufgelistet – von einer „Erneuerung unserer Hafeninfrastruktur“ ist die Rede. Hat Bremen seine Häfen in den vergangenen Jahren vernachlässigt?

Ich will da nicht die alten Streitpunkte bemühen – OTB, Weservertiefung et cetera. Aber dass wir da nicht immer so eindeutig waren, das will ich gerne zugeben.

Beim Containerumschlag droht Bremerhaven von den Westhäfen Rotterdam und Antwerpen abgehängt zu werden. Jetzt soll die Stromkaje für mehrere hundert Millionen Euro erneuert werden. Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass damit der Negativtrend umgekehrt wird?

Der Containerumschlag in allen deutschen Seehäfen ist hinter den Prognosen zurückgeblieben, das ist Fakt. Auch wenn es zwischendurch durch die Corona-Epidemie Sondereffekte gab...

Das Problem hatten die Westhäfen auch.

Richtig. In den Niederlanden und Belgien hat der Staat aber ein hohes Interesse daran, die Häfen wettbewerbsfähig zu halten. Diese Klarheit habe ich von der Bundesregierung in den letzten Jahren vermisst. Die Zuweisungen des Bundes an die Häfen sind bescheiden. Auch bei der Automatisierung sind die Westhäfen vorne; der Staat übernimmt dort die Entgelte der Beschäftigten, wenn Schiffe nicht „on time“ sind, das macht sie billiger und flexibler. Diese Themen müssen wir bei der Nationalen Maritimen Konferenz im September in Bremen aufs Tablett bringen. Die Bundesländer alleine können das nicht mehr stemmen – auch einem wohlhabenden Bundesland wie Hamburg fällt das schwer.

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Es gibt schon jetzt Überkapazitäten beim Containerumschlag in Europa – die mächtigen Reedereiallianzen können sich die Häfen praktisch aussuchen. Lohnt es sich, in dieses Rennen noch einmal einzusteigen?

Ja, auf jeden Fall. Es gibt das Interesse der Reeder; Bremerhaven hat dort einen guten Ruf. Und im Vergleich zu Hamburg haben wir den Vorteil, dass nicht alle Schiffe die Elbe rauf und runter müssen.

Zum Konzept gegen den weiteren Verlust von Marktanteilen gehört auch eine Automatisierung des Umschlags, die mit dem Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist. Trägt eine linke Häfensenatorin das mit?

Automatisierung ja, aber nicht mit betriebsbedingten Kündigungen. Das ist ja genau der Clou: Die Unternehmen brauchen eine strategische Personalplanung, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des sich abzeichnenden Mangels an Arbeitskräften. Die ersten Pläne von Eurogate fand ich in dieser Hinsicht nicht so glücklich. Man kann sich als Unternehmen nicht hinstellen und sagen: Wir wollen die Automatisierung, und wenn dabei Arbeitsplätze wegfallen, ist uns das egal.

Das zweite Großprojekt im Koalitionsvertrag ist der „Energy Port“ in Bremerhaven. Das Vorgängerprojekt – der Offshore-Terminal OTB – ist vor Gericht gescheitert. Wie wollen Sie verhindern, dass dem „Energy Port“ das Gleiche passiert?

Beim OTB haben sich die Prämissen verändert. Durch die Suche nach einem privaten Investor ist viel Zeit verloren gegangen, dann wurden die Ausbauziele für die Offshore-Windenergie reduziert, und das war für das Oberverwaltungsgericht dann der Grund, das Projekt zu stoppen. Jetzt aber haben wir neue Ausbauziele von 70 Gigawatt bis 2045. Die Industrie macht sich wieder auf den Weg. Die Lloyd Werft bringt sich beim Bau von Konverterplattformen ins Spiel, wie ich finde sehr gut. Allein für Europa werden über 100 dieser Plattformen gebraucht.

Also "Energy Port" ohne Wenn und Aber?

Meiner Meinung nach ja. Wir reden ja nicht über eine Neuauflage des OTB, alle Aspekte der Energiewende spielen eine Rolle.

Haben Sie schon mit dem BUND darüber gesprochen?

Noch nicht, werde ich aber. Es sollte allen klar sein, dass wir mit dem Klimaschutz 30 Jahre zu spät sind. Ich glaube, dass das jetzt die letzte Chance ist.

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Auch andere Nordseehäfen erweitern ihre Kapazitäten. Kommt Bremen mit dem noch nicht zu Ende geplanten, geschweige denn genehmigten „Energy Port“ zu spät?

Wir haben eine strategisch gute Position. Es gibt nicht so viele Häfen, in denen sich zum Beispiel die Produktion an die Hafenkante verlagern lässt. Und die Frage ist doch: Wollen wir die Planung in der eigenen Hand behalten oder uns von den Entscheidungen anderer EU-Mitgliedsstaaten abhängig machen? Das hielte ich nicht für eine gute Idee.

Die Kosten für die aufgelisteten Projekte gehen in die Milliarden: Zum „Energy Port“ und der Stromkaje kommen der Neubau der havarierten Drehbrücke in den Bremerhavener Überseehafen, neue Kajen für den Fischereihafen, eine neue Nordmole an der Geestemündung und einiges mehr. Wie soll Bremen das finanziell stemmen?

Ja, es wird teuer. Aber wenn die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Ziele bei der Energiewende erreichen will, muss sie die Frage der Finanzierung von Seehäfen neu bewerten.

Das heißt, Sie wollen mehr Geld vom Bund?

Nicht nur, der Hafenbau bleibt auch eine bremische Aufgabe. Aber zurzeit zahlt der Bund 38,5 Millionen Euro im Jahr für alle Seehäfen, also dafür, dass wir bundesdeutsche Infrastruktur bereitstellen.

Wie viel erwarten Sie in Zukunft?

Erst mal gar nichts. Ich weiß aus den letzten vier Jahren, wie schwierig die Verhandlungen mit dem Bund über Geld sind. Aber der Bund muss erkennen, dass die Hafeninfrastruktur auch im nationalen Interesse liegt.

Und wenn nicht alles gleichzeitig geht: Welches Projekt hat für Sie Priorität?

Man sollte das nicht gegeneinander ausspielen. Wir werden erst mal alles parallel weiter planen. Bei der Sanierung der Stromkaje hängt viel davon ab, wie es mit der Außenweservertiefung weitergeht. Aber so oder so: Wir werden da nicht dreistellige Millionensummen auf einmal auf den Tisch legen müssen, sondern das Schritt für Schritt machen und über mehrere Jahre finanzieren. Deshalb bin ich da gar nicht so verzagt.

    Das Gespräch führte Christoph Barth.

Zur Person

Kristina Vogt

ist die Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation. Von 2011 bis 2019 war sie Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bremischen Bürgerschaft, von 2019 bis 2023 Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa.

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