Als sich das neue Jahr 2022 ankündigte, hatte Eduard Dubbers-Albrecht eigentlich ein gutes Gefühl: "Wir dachten, wir könnten die Pandemie ausklingen lassen", erinnert sich der Präses der Handelskammer Bremen. Lockdowns, Lieferkettenprobleme, Materialmangel – all das würde bald der Vergangenheit angehören, so dachte er, und die Unternehmen könnten wieder das tun, was sie am liebsten machen: neue Kunden gewinnen, Jobs schaffen, Geld verdienen. Dann kam der 24. Februar 2022, der Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Das Jahr geriet zur "Zeitenwende", mit deren Folgen auch die bremische Wirtschaft noch lange zu kämpfen haben wird, befürchtet Dubbers-Albrecht: "Das Thema wird nicht im April 2023 zu Ende sein."
Der Konferenztisch im Plenarsaal des Hauses Schütting war mit Tannenzweigen, Mandarinen und Weihnachtsgebäck dekoriert, als die Führungsspitze der Handelskammer Bilanz zog – die Bilanz des Zeitenwende-Jahres, in dem der Krieg zurückkehrte nach Europa. Eine frohe Botschaft war trotz der vorweihnachtlichen Stimmung nicht zu erwarten; zu oft hatte die Handelskammer selbst im Laufe des Jahres vor den Folgen des Krieges für die Wirtschaft, vor explodierenden Energiepreisen und hoher Inflation gewarnt.
So gesehen fiel das Resümee des Hauptgeschäftsführers Matthias Fonger überraschend positiv aus: "2022 ist für die bremische Wirtschaft insgesamt vergleichsweise gut gelaufen", sagte der Chefvolkswirt der Kammer. Zwar fehlen noch die endgültigen Zahlen, aber zumindest im ersten Halbjahr wuchs die Wirtschaft des Zwei-Städte-Staates mit rund fünf Prozent kräftiger als der Bundesdurchschnitt. Die Industrie verzeichnete in den ersten drei Quartalen 40 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr, vor allem im Auslandsgeschäft, im Fahrzeug- und Flugzeubau. "Natürlich sind das noch Nachholeffekte aus der Coronakrise, aber es lief nicht so schlecht wie befürchtet", so Fongers Fazit.
Die in der Pandemie gebeutelte Gastronomie allerdings schwächelt bereits wieder, und auch der Einzelhandel spürt die Zurückhaltung der Kunden beim Einkaufen, seit sich die hohen Energiepreise in der Haushaltskasse niederschlagen. Die Häfen, sonst oft ein verlässlicher Konjunkturmotor, verzeichneten in den ersten zehn Monaten einen Umschlagsrückgang von sieben Prozent, bei Containern sogar von 8,5 Prozent. Im November stieg auch die Arbeitslosigkeit wieder leicht an, bei insgesamt allerdings stabiler Beschäftigungslage, konstatierte Fonger.
Schwieriger Ausblick
Angesichts der weltweiten Mehrfachkrise fällt der Ausblick aufs nächste Jahr besonders schwer: Der Ukraine-Krieg, die unbewältigte Coronakrise in China – "die Unsicherheit ist groß", stellt Fonger fest. Der Dachverband der deutschen Industrie- und Handelskammern DIHK erwartet eine Rezession – minus drei Prozent im kommenden Jahr. Angesichts sich stabilisierender Energiepreise sei er wieder etwas hoffnungsfroher, bekannte Fonger: "Es wird kein gutes Jahr, aber wir könnten mit einem blauen Auge davonkommen."
Das muss allerdings nicht für jedes einzelne Unternehmen gelten: "Die große Unsicherheit bei der Energieversorgung hat sich beruhigt", stellt Kämmer-Präses Dubbers-Albrecht fest. "Viel gravierender ist jedoch die Preissituation." Angesichts stark gestiegener Energiekosten hätten die Unternehmen massiv zu kämpfen, manche stünden "am Rande der Existenz". Immerhin habe die Energiepreisbremse der Bundesregierung etwas mehr Planungssicherheit geschaffen.
Vom Drei-Milliarden-Euro-Paket des Bremer Senats gegen die Klimakrise und die Kriegsfolgen hält die Kammerspitze dagegen wenig. "Das Geld muss ja irgendwann zurückgezahlt werden", warnte Dubbers-Albrecht. Schon der 1,2-Milliarden-Euro-Kredit zur Bekämpfung der Coronakrise belaste den Bremer Haushalt jährlich mit 40 Millionen Euro, obwohl er in der Nullzinsphase aufgenommen wurde. Jetzt steigen die Zinsen wieder, ein Kredit über weitere drei Milliarden Euro würde also teurer. "Man mag sich ja gar nicht vorstellen, was das für die künftige Belastung bedeutet", so Dubbers-Albrecht.
Gegen "weniger, aber sinnvolle" Investitionen hätte die Kammer allerdings nichts einzuwenden. Beispiel: Pipelines und Hafenanlagen zur Versorgung mit "blauem" Wasserstoff aus Norwegen. Dieser werde zwar anders als der "grüne" Wasserstoff nicht aus erneuerbaren Energien hergestellt, sondern aus Erdgas. Das anfallende Treibhausgas CO2 fangen die Norweger aber auf und versenken es in alten Erdöllagerstätten in der Nordsee. "Das wäre ein absolut sinnvoller Zwischenschritt, um unser Stahlwerk betreiben zu können", meint Dubbers-Albrecht.