Sammelklagen sind in Deutschland nicht erlaubt – doch das könnte sich bald ändern. Nach der Diesel-Abgasaffäre will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nun die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage ins deutsche Recht einführen. Ein entsprechender Vorschlag liege eigentlich schon länger auf dem Tisch. Diese Möglichkeit „könnte den Autokäufern in Deutschland bereits offen stehen, wenn CDU/CSU sie nicht in der laufenden Wahlperiode blockiert hätten“, warf der Minister der Union vor. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte entsprechende Vorschläge bisher abgelehnt. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer zeigte sich jetzt offener für den Vorschlag.
Die Abgasaffäre hat sich in den vergangenen Wochen immer weiter ausgebreitet: Nach der Verwicklung in den Skandal von Volkswagen-Konzerntochter Audi wurde erst vor wenigen Tagen die Verwendung einer illegalen Abgassoftware auch beim Modell Cayenne 3 Liter TDI der VW-Firmentochter Porsche bestätigt. Während betroffene Verbraucher in den USA vom Volkswagen-Konzern pauschal entschädigt wurden, haben die Autohersteller auf eine freiwillige Entschädigung in Europa verzichtet.
Sammelklagen bisher nicht möglich
Der deutsche Kunde, der ein mit Manipulationssoftware ausgestattetes Fahrzeug gekauft hat, kann zwar gegen die Autokonzerne eigenständig klagen, eine Sammelklage wie es nach amerikanischem Recht zulässig ist, ist jedoch hierzulande nicht möglich. Das macht es für Verbraucher schwieriger, Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Die gerichtlichen Kosten und Expertisen, die notwendig sind, um gegen einen Großkonzern zu klagen, würden viele Verbraucher davon abhalten.
Bei einer Sammel- oder Musterklage könnten sich mehrere Betroffene zusammenschließen und mit niedrigeren Kosten den Rechtsweg beschreiten. „Es gibt mehrere Formen einer Sammelklage“, erklärt der Fachanwalt Jan-Henning Ahrens von der Bremer Kanzlei KWAG. „Um Vor- und Nachteile genau einschätzen zu können, muss man zuerst wissen, wie der Gesetzentwurf aussehen wird.“ Allgemein gelte, dass eine solche Art von Klagen den Klägern finanzielle Vorteile bringe. Auch sei die Rechtsprechung dann einheitlicher – es gäbe ein Urteil anstelle mehrerer.
Entsprechend werden solche Sammelklagen von Großkonzernen gefürchtet. „Für die Industrie könnten die Nachteile immens sein – bisher haben sie eher gelassen reagiert, weil sie wussten, dass der Einzelne selten die Mittel hat, um solche Verfahren durchzuführen“, sagt Ahrens. Über sonstige mögliche Nachteile könne man nur spekulieren, bis die Gesetzesänderung verabschiedet wird. Er führt jedoch fort, man müsse vor allem klären, ob die Verbände, die die Klage dann führen würden, auch in der Lage sind, die Fälle zu beurteilen und es mit solchen „hochkarätigen Gegnern“ aufzunehmen.
Volkswagen Abgastests
Nachdem 2015 bekannt geworden war, dass Volkswagen Abgastests von Dieselmotoren in den USA mittels einer Abschaltsoftware manipuliert hatte, mussten mehrere Millionen Wagen weltweit zurückgerufen werden. Die Fahrzeuge würden den höchstzulässigen Emissionswert sogar bis um das 40-fache überschreiten.
Nach und nach wurden auch andere deutsche Autohersteller in den Skandal involviert: Audi, Porsche. Auch gegen Daimler wird ermittelt. Bei Class Actions – Sammelklagen im angelsächsischen Raum – übernimmt ein Kläger das Verfahren für eine gesamte Gruppe. Die einzelnen Kläger müssen nicht vor Gericht erscheinen, das Urteil ist für alle in gleichem Maße gültig. In Europa sehen die nationale Rechte oft unterschiedliche Formen der kollektiven Klage vor.
In Deutschland bestehe die Möglichkeit einer Streitgenossenschaft, erklärt Fachanwalt Ahrens. In diesem Fall werden die Klagen in einem einzelnen Verfahren zusammengefasst. Die Kosten seien in solchen Fällen etwas niedriger, erklärt der Anwalt, aber jeder Kläger müsse trotzdem für sich klagen. Eine weitere Option wird von der Firma „Myright“ angeboten. Hier würden die Beschädigten ihre Ansprüche der Firma abtreten und im eigenen Namen geltend machen. Gegen eine Provision bei positivem Ausgang der Fälle vertritt die Firma die Rechte der Betroffenen außergerichtlich.
Fristen im Auge behalten
Ein früherer Entwurf von Justizminister Maas sah vor, dass ein Verband die zentralen Fragen einer Klage kläre; auf die Ergebnisse hätten die einzelnen Kläger sich dann berufen. Diese Art der Musterklage würde sich also von den amerikanischen Sammelklagen unterscheiden. Ob ein neuer, eventueller Entwurf dem alten ähnlich sein könnte, ist noch nicht klar.
Doch nicht alle wollen solange warten: Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer in Lahr meldete, bereits mehr als 3300 Klagen gegen VW und Händler im Abgas-Skandal eingereicht zu haben. Nach Angaben des Anwaltsbüros sind bereits mehrere Urteile zugunsten der Geschädigten gefällt worden. Ahrens mahnt, wer seine Ansprüche geltend machen lasse, müsse die Fristen im Blick behalten. Zwei Jahre Zeit haben Käufer ab Kenntnisnahme, um ihre Ansprüche gegenüber dem Händler geltend zu machen; drei gegenüber dem Automobilhersteller.
Am Mittwoch wollen sich nun Bundespolitiker, Länderminister und Vertreter der Automobilkonzerne zu einem „Diesel-Gipfel“ in Berlin treffen, um mögliche Lösungen der Krise zu diskutieren. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat schon angekündigt, das Treffen werde kein „gemütliches Kaffeekränzchen“. Den Autoherstellern will die SPD-Politikerin einen Forderungskatalog vorlegen.