Herr Felbermayr, Ende Januar hat Großbritannien nach langen Verhandlungen die Europäische Union verlassen. Kann die deutsche Wirtschaft nun erleichtert sein?
Gabriel Felbermayr: Auf keinen Fall! Das ist eine Tragödie. Der zweitgrößte Mitgliedstaat mit einem Sechstel der Wirtschaftskraft hat die EU verlassen – immerhin mit einem Scheidungsvertrag. Jetzt geht es darum, bis Ende des Jahres ein Abkommen hinzubekommen. Sonst passiert doch noch das, wovor wir uns dreieinhalb Jahre lang gefürchtet haben.
Wer leidet am Ende mehr unter dem Brexit: die britische Wirtschaft oder die europäische?Für die Briten ist Europa ein größerer Markt als umgekehrt. Man muss sich jedoch fragen, was die Briten wohl machen, wenn es kein Abkommen mit Europa gibt. Anders, als die meisten Studien es unterstellen, halte ich es für unwahrscheinlich, dass sie alles mit Zöllen belegen. So würde Boris Johnson nicht wiedergewählt werden. Daher dürfte das Gegenteil der Fall sein: Wenn er manche Zölle senkt, werden einige Produkte spürbar günstiger. Beim Rindfleisch etwa liegen die Importzölle derzeit bei bis zu 70 Prozent. Die könnten auf null sinken. Großbritannien hat durch den Austritt Freiheiten gewonnen. Wenn Boris Johnson die klug nutzt, ist gar nicht so klar, für welche Wirtschaft die Folgen schlimmer sind.
Die britische Verhandlungsposition ist also ganz gut?Auf jeden Fall. Die Briten sind nicht auf ein gutes Angebot aus Brüssel angewiesen, sondern können sich auch anderweitig umschauen und Freihandelsabkommen abschließen. Rund die Hälfte der britischen Nahrungsmittelimporte kommt noch aus Europa. Davon könnten viele im Zweifelsfall aber ganz einfach durch Produkte aus den USA ersetzt werden.
Was ist Ihre Prognose: Wird es ein Abkommen geben?Ich wünsche mir eine Art Zollverein, in dem die Briten bei bestimmten Themen, zum Beispiel gemeinsamen Zöllen, auch mitbestimmen können und ihnen nicht die europäischen Regeln und Bestimmungen aufoktroyiert werden. Sonst suchen sie sich einfach andere Handelspartner. Wir sollten mehr Flexibilität gegenüber Großbritannien zeigen. Immerhin geht die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU – da sollte Brüssel weniger dogmatisch sein. In der Schuldenkrise und beim Fiskalpakt hat die EU ihre Regeln ja auch sehr flexibel ausgelegt.
Steigt dadurch nun die Gefahr, dass auch andere Staaten die EU verlassen wollen?Welche denn? Großbritannien ist eine große Volkswirtschaft und hat neben Deutschland unter allen EU-Staaten die wohl kleinsten ökonomischen Kosten durch einen Austritt. Die realistischen Exit-Kandidaten – etwa Dänemark, Tschechien oder Polen – sind viel kleiner. Sie träfe ein Austritt deutlich härter als Großbritannien jetzt.
Die Größe unseres Binnenmarktes ist das Pfund, mit dem wir wuchern können. Wäre Großbritannien ohne ein Abkommen nicht mehr zumindest teilweise dabei, schrumpft die Verhandlungsmacht der Europäer deutlich.
Wie könnte es im Handelsstreit weitergehen?Donald Trump hat mit den Ländern, die er auf dem Kieker hatte – also China, Japan, Kanada, Mexiko und Korea – Abkommen geschlossen und seine Vorstellungen durchgesetzt. Übrig ist nur noch Europa. Ich glaube, dass uns Trump in diesem Jahr daher noch irgendeinen Streich spielen wird. Ein Abkommen zwischen den USA und Großbritannien wäre da noch das Beste, was passieren könnte. Möglich wären auch Autozölle; im Airbus-Boeing-Streit kann auch noch einiges passieren.
Wie groß sind die Gefahren für Bremen, die von den Unsicherheiten in der Weltwirtschaft ausgehen?Bremen ist unter den deutschen Bundesländern wohl am stärksten gefährdet. Hier spielt nicht nur die Industrie eine Rolle, auch der Hafen und die Logistik sind wichtig. Ein großer Teil der Autos, die über Bremerhaven verschifft werden, geht in die USA: 25 Prozent Zölle – und die Umsätze würden deutlich zurückgehen. Daimler und die Stahlindustrie können schnell betroffen sein, genauso der Flugzeugbau. Es sieht nicht gut aus für Bremen.
Welche Lehren sollte die Standortpolitik ziehen?Sie muss sich von manchen billigen Hoffnungen lossagen: Die Stahlindustrie und die Hafenwirtschaft werden nicht mehr so stark wachsen wie früher. Die Politik kann bei deren Transformation helfen. Etwa, wenn es darum geht, neue Umwelttechnologien voranzutreiben oder den Hafen so umzurüsten, dass neue Umweltstandards erfüllt werden. Bremen könnte eine Vorreiterrolle übernehmen. Außerdem sollten die Küstenländer gemeinsam stärker beim Bund auftreten und sich für Strompreiszonen einsetzen. Der Strom, der auf der Nordsee produziert wird, sollte auch da am günstigsten sein, wo er an Land kommt. Das würde energieintensive Unternehmen in den Norden locken.
Kann Politik sonst noch etwas tun? Momentan schwächelt die Wirtschaft in ganz Deutschland.Wir haben zwar eine schwache Konjunktur, aber die ist nur ein Symptom und nicht das eigentliche Problem. Das ist das stetig sinkende Trendwachstum. Die Politik sollte daher überlegen, was den Standort Deutschland wirklich attraktiv macht. Ein Beispiel ist die Unternehmensbesteuerung: Deutschland ist mittlerweile Höchststeuerland, während in Österreich gerade die Steuern gesenkt wurden. Wir brauchen Entlastungen, die zu Investitionen führen. Man könnte die Abschreibungsmodelle beispielsweise großzügiger gestalten. Die Liste an Hausaufgaben ist lang. Wer etwa mit dem Zug von Bremen nach Hamburg fährt, kann nicht mit dem Handy telefonieren. Das Problem ist schon fünfzehn Jahre alt! Wie kann das sein? Auch bei der Demografie müssen wir uns fit machen: Wir müssen Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen. Dann muss aber auch klar sein, dass alle die Chancen haben müssen, erfolgreich zu sein. Egal, woher der Mensch kommt oder welche Hautfarbe er hat.
Brexit und Handelsstreit sind nur zwei Sorgenkinder. Wie blicken Sie als Ökonom auf den Klimawandel?Ich nehme das sehr ernst. Die Szenarien sind bedrohlich, die Folgekosten würden Hunderte Milliarden ausmachen. Deswegen brauchen wir eine Lösung, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Aber es muss eine globale Lösung sein. Deutschland alleine kann wenig ausrichten. Selbst wenn die Bundesrepublik kein Kohlenstoffdioxid mehr ausstoßen würde, wäre noch nichts gewonnen. Deutschland muss in die Forschung investieren, sodass schmutzige Energie durch wettbewerbsfähige saubere Energie verdrängt wird, weltweit.
Und wenn das nicht gelingt?Dann wäre ein Schritt, an den europäischen Außengrenzen einen CO2-Grenzausgleich zu verlangen. Dann müsste etwa Stahl, der aus dem Ausland kommt, mit den gleichen CO2-Preisen belastet werden, die bei der Herstellung in Europa anfallen. Gleichzeitig muss europäischer Exportstahl von der CO2-Bepreisung ausgenommen werden, um keinen Wettbewerbsnachteil zu haben. So verlieren wir unseren industriellen Kern wenigstens nicht. Aber wenn man ehrlich ist, reicht das wohl auch nicht aus, um die weltweiten CO2-Emissionen ausreichend zu senken. Ohne eine weltweite Koalition gegen den Klimawandel wird es nicht klappen.
Das Gespräch führten Stefan Lakeband und Philipp Jaklin.Gabriel Felbermayr
ist seit einem Jahr Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IFW). Der Ökonom wurde in Österreich geboren, promovierte in Florenz und war zuletzt am Ifo Institut für Wirtschaftsforschung tätig. In Kiel folgte der 43-Jährige auf Dennis J. Snower.