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Sicherheitstechnik für Lkw Im tödlichen Winkel

Immer häufiger werden Radfahrer von abbiegenden Lkw überrollt. Was leisten elektronische Assistenzsysteme? Und wo versagen sie, wenn sie den Fahrern bessere Sicht ermöglichen sollen?
08.05.2018, 18:58 Uhr
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Im tödlichen Winkel
Von Florian Schwiegershausen

Es ist erst einen guten Monat her, dass am Brill eine Fahrradfahrerin bei einem Unfall getötet wurde. Sie wollte Richtung Hauptbahnhof die Hutfilterstraße überqueren und befand sich dabei im toten Winkel eines Lkw. Der Fahrer wollte nach rechts abbiegen und konnte dabei die Radfahrerin nicht sehen. Am Montag starb im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel eine 33-Jährige Mutter von zwei Kindern bei einem ähnlichen Unfall – wieder übersah ein Lkw-Fahrer die Radfahrerin.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) fordert seit längerem, elektronische Abbiegeassistenten für Lkw verpflichtend einzuführen. Doch mit diesen Systemen, die den sogenannten toten Winkel besser ausleuchten, gebe es ein Problem, sagt Olaf Mittelmann, der Geschäftsführer des Landesverbands Verkehrsgewerbe Bremen (LVB): "Mir ist bisher nur ein Lkw-Hersteller bekannt, bei dem das Abbiegesystem vernünftig funktioniert. Das ist das System von Mercedes. Alle anderen Hersteller sind gerade dabei, eine Lösung zu entwickeln."

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Bei dem System gibt es in der A-Säule rechts eine Warnleuchte – also in der Ecke, in die der Fahrer sowieso beim Abbiegen schaut. Die Leuchte blinkt auf und gibt ein Signal, wenn sich im toten Winkel jemand aufhält. Mittelmann ergänzt: "Solche Abbiegesysteme müssen ja zuverlässig zwischen einem Ampelmasten und einer Person unterscheiden können." Im Internet werden Abbiegeassistenten zum Nachrüsten für etwa 300 Euro angeboten, die mit Kamera und Sensoren ausgerüstet sind.

Das sei aber nicht unbedingt eine Option, wie Mittelmann sagt: "Der Lkw-Fahrer muss ja eh schon sieben bis acht Spiegel im Auge haben. Und dann soll er auch noch einen Monitor im Blick haben. Die Displays sind oft klein, und wenn sie an der Armatur angebracht sind, ist es schwierig, das Display und die Rückspiegel rechts im Auge zu haben."

Auch das Bremssystem arbeitet laut Mittelmann noch lange nicht automatisch. Um die Problematik mit dem toten Winkel zu verdeutlichen, wendet sich der LVB regelmäßig an Schulen. "Das machen wir vor allem mit Schulanfängern: Wir legen dann rechts neben dem Lkw rote dreieckige Planen aus. Die markieren den Bereich, den der Fahrer von oben nicht sehen kann", sagt Mittelmann. "Einige Schüler setzen sich oben ins Fahrerhäuschen und erkennen dann, dass sie ihre Mitschüler, die sich auf der roten Plane befinden, von oben nicht sehen können."

Sensibilisierung für das Thema

Fahrlehrer Helge Nothnagel hat bei seinem ersten MAN-Lkw versucht, ein Assistenzsystem nachzurüsten. "Ich habe da beim Hersteller angefragt. Doch die hatten mir gesagt, dass man dafür die komplette Elektrik ändern muss, was am Ende mehrere tausend Euro bedeuten würde." Für einen Perspektivwechsel hatten er und sein Kollege vor einer Woche den Fahrschul-Lkw vorgefahren – auf Anfrage des Bremer ADFC.

Der Fahrradverband wollte seine sogenannten Tourenleiter für das Thema sensibilisieren, damit sie ihre Erfahrungen als Kommunikatoren an die Tour-Teilnehmer weitergeben. "Jeder durfte sich mal in den Lkw setzen, so dass sie erkennen konnten: man sieht wirklich nichts", so Nothnagel. Auch einen Lkw-Anhänger brachte er mit, um eine weitere große Gefahr beim Linksabbiegen zu demonstrieren.

Denn dabei schwenken Zugmaschine und Anhänger nach rechts aus und können Radfahrer bedrängen. Wenn diese stürzen und vor den Hänger fallen, besteht die Gefahr, dass sie überrollt werden. In diesem Fall kann kein LKW-Fahrer das Unfallopfer sehen und auch nicht reagieren. Zu Demonstrationszwecken hatte Nothnagel auch ein Fahrrad mitgebracht, das er schrottete.

Was der ADFC seinen Tourenleitern mit auf den Weg gegeben hat: Können die Radler den Lkw-Fahrer im Außenspiegel nicht sehen, kann dieser auch den Radfahrer nicht sehen. Einen Appell hat Nothnagel, der in seinen Fahrstunden täglich in Bremen und umzu unterwegs ist, an die Radfahrer: "Einige sollten ihre Geschwindigkeit den Gegebenheiten anpassen. Und an einigen Ecken sollten sie nicht zu vehement ihre Rechte einfordern, sondern manchmal auch Rücksicht nehmen."

Spiegel in der richtigen Höhe

Aus Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen geht hervor, dass Lkw-Fahrer beim Abbiegen häufig damit überfordert sind, alles im Blick zu behalten. Die Zahl der durch abbiegende LKW getöteten Radfahrer steigt laut ADFC seit Jahren an. Im Jahr 2013 waren es bundesweit 28 Tote, 2017 sogar 38 Tote. Seit Januar wurden bereits 15 Todesfälle dieser Art gezählt.

"Jeder Tote von ihnen ist einer zu viel", sagt Robert Völkl, Geschäftsführer vom Verein Bremer Spediteure. Er mutmaßt, dass die meisten Lkw auf den Straßen noch kein Abbiegesystem besitzen. Völkl fordert eine einheitliche europäische gesetzliche Regelung. Doch bisher haben dies vor allem EU-Mitgliedstaaten aus Osteuropa blockiert.

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Bei der letzten Bundesratssitzung Ende April brachten neben Bremen auch Berlin, Brandenburg, Hessen und Thüringen einen Entschließungsantrag ein, damit Lkw-Abbiegeassistenten Pflicht werden. Damit beschäftigt sich nun der zuständige Fachausschuss. Bis es ein europaweites Gesetz und zuverlässige Abbbiegesysteme gibt, wird es also noch dauern.

LVB-Geschäftsführer Mittelmann schlägt daher eine Alternative vor: "Wie wäre es denn, an Kreuzungen für das Rechtsabbiegen Spiegel in der richtigen Höhe anzubringen? Die wären dann in Blickrichtung des Fahrers." In einigen Städten gibt es das laut Mittelmann schon. "Da lassen sich bestimmt auch einige Unternehmen finden, die so etwas sponsern. Schließlich geht es ja um die Verkehrssicherheit."

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