Die Arbeitnehmerkammer hat im abgelaufenen Jahr im Land Bremen so viele Beratungstermine gehabt wie noch nie. So ist allein die Zahl der Arbeitsrechtsberatungen in Bremen-Stadt, Bremen-Nord und Bremerhaven auf rund 47.100 Termine gestiegen. Nach Angaben des Hauptgeschäftsführers der Arbeitnehmerkammer Bremen, Ingo Schierenbeck, habe der Beratungsbedarf bei Personen zugenommen, die ihren Job von sich aus kündigen wollen: „2018 war ein Jahr des Beschäftigungszuwachses. Mit zuletzt mehr als 335.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen im Land Bremen, davon gut 53.000 in Bremerhaven, ist ein bisheriger Höchststand erreicht worden. Mehr offene Stellen ermutigen dazu, beruflich noch einmal neue Herausforderungen zu suchen und den Job zu wechseln.“ Gleichzeitig entschieden sich laut Kammer allerdings auch zunehmend mehr Beschäftigte zu einer Eigenkündigung aufgrund von psychischen Belastungen oder der schlechten Arbeitsbedingungen.
Aus den Fragen in der Beratung lässt sich laut Schierenbeck auch erkennen, dass trotz guter Konjunktur viele Arbeitsverhältnisse befristet seien: „Und das auch oft ohne sachlichen Grund.“ Immer weniger Betriebe unterlägen einem Tarifvertrag, viele Beschäftigte müssten ihre Arbeitsbedingungen selbst aushandeln. „Ohne Tarifvertrag entstehen eher Streitigkeiten um Vergütung, Urlaub oder Gratifikationen“, sagt Schierenbeck. Insgesamt hat die Arbeitnehmerkammer 2018 gut 97.000 Personen beraten. Die Felder der Beratung erstrecken sich neben dem Arbeitsrecht auf steuerrechtlichen Beratung, die öffentliche Rechtsberatung sowie die Beratung zu Berufskrankheiten.
Beim Thema Vergütung sei der Beratungsbedarf jedoch am höchsten gewesen. Das erklärt die Kammer damit, dass sich immer weniger Arbeitgeber nach den in Tarifverträgen klar geregelten Vergütungen und Zulagen etwa für Überstunden oder Nachtarbeit richten würden, weshalb der Streit zunehme. So seien außerdem nach neuesten Zahlen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem Forschungsinstitut der Bundesarbeitsagentur, in Bremen nur noch 20 Prozent der Betriebe tarifgebunden. 2008 waren es noch 39 Prozent. 46 Prozent der Beschäftigten im Land Bremen arbeiten inzwischen nicht mehr auf Grundlage eines Tarifvertrags. 2008 lag der Anteil hier bei 33 Prozent. Deutlich zugenommen haben aber auch Fragen zu Sonderzahlungen und Gratifikationen, also zu Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Boni, Gewinnbeteiligungen oder Prämien.
Fragen gab es auch zur Lage der Arbeitszeit, deren Veränderung und Pausenzeiten sowie zu Überstunden. „Da ging es beispielsweise darum, dass eine Pflegekraft berichtete, dass sie am Sonntag angerufen wird, weil sich am nächsten Tag der Dienstplan verändert habe“, erläuterte Schierenbeck.
Unzufrieden mit Arbeitszeit
Aus den Ergebnissen der Beschäftigtenbefragung geht hervor, dass viele Arbeitnehmer mit ihrer Arbeitszeit nicht zufrieden sind. Während ein Teil der Beschäftigten in Vollzeit lieber weniger Stunden arbeiten würde, streben gerade in Teilzeit arbeitende Frauen eine Aufstockung ihrer Stundenzahl an. Dazu sagte Kaarina Hauer, Leiterin der Rechtsberatung: „Viele Beschäftigte sind verunsichert und kennen ihre Rechte kaum – wenn dann auch kein Betriebsrat vor Ort helfen kann, sind wir der erste Ansprechpartner.“ Dabei gehe es auch darum, ob Umkleidezeiten oder das Aufräumen des Kassenbereichs zur Arbeitszeit mitzuzählen sind.
Die Zahl der Beratungen zu Berufskrankheiten stieg 2018 gegenüber dem Vorjahr um 25 auf 260. Das sei aber auch damit zu erklären, dass die Zahl der anerkannten Berufskrankheiten zunehme. Neben asbestbedingten Erkrankungen und Rückenleiden sei die Zahl der Ratsuchenden mit Lärmschwerhörigkeit gestiegen.
Zum Steuerrecht beantworte die Kammer mehr als 35.700 Fragen und half bei der Steuererklärung. Bei der allgemeinen öffentlichen Rechtsberatung ging es vor allem um Fragen zu Verträgen wie denen für ein Mobiltelefon, gefolgt vom Mietrecht. Wegen der großen Nachfrage will die Kammer ihr Angebot ausbauen. Dazu will sie im März mit der Erweiterung ihres Gebäudes in der Innenstadt beginnen. Wenn die in gut zwei Jahren fertig ist, sollen zu den 45 Rechtsberatern weitere hinzukommen. Die gute Konjunktur mache die Finanzierung in Höhe von 5,4 Millionen Euro einfacher. Denn jeder Arbeitnehmer im Land Bremen finanziert automatisch mit 0,15 Prozent seines Bruttolohns die Arbeitnehmerkammer. Hier rechnet Schierenbeck für 2018 mit Einnahmen in Höhe von knapp 17,5 Millionen Euro – so viel wie im Vorjahr.