Bremen. Eigentlich wollte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz bis Pfingsten einen Investor für Schlecker präsentieren. Doch daraus wird erst mal nichts.Unterdessen sind Tausende ehemaliger Mitarbeiterinnen noch auf der Suche nach einer neuen Stelle.
Nach zwölfeinhalb Jahren ist das Kapitel Schlecker für Tanja Geißler beendet. Ob das Foto vom alten Firmenchef noch an der Wand "ihrer" Schlecker-Filiale hängt, weiß sie nicht. "Vielleicht haben es die Kolleginnen ja inzwischen schon abgenommen." Anton Schlecker hatte großen Wert darauf gelegt, dass im Sozialraum jeder Filiale sein Konterfei zu sehen ist. Aus und vorbei.
1999 hatte Geißler als ungelernte Verkäuferin bei der Drogeriekette angefangen. "Es war meine erste Arbeitsstelle überhaupt", sagt sie. Mit den Jahren machte sie Karriere und übernahm schließlich sogar die Leitung einer größeren Filiale mit fünf Mitarbeiterinnen. Bis Ende März. Dann war von einem Tag auf den anderen Schluss. Tanja Geißler gehört zu den bundesweit rund 11000 Schlecker-Frauen, die mit der Schließung von 2200 Filialen ihre Kündigung bekamen.
"Dass ich auf der Streichliste stehe, wusste ich schon, als ich die Einladung zu einer Informationsveranstaltung über die geplante Transfergesellschaft bekam. Wer so ein Schreiben bekommen hatte, der konnte davon ausgehen, dass es dann auch die Kündigung gibt." Für die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern war es dennoch ein Schock.
Dass es dem Konzern nicht rosig geht, das habe man natürlich schon Monate vorher gemerkt, berichtet sie. "Die Warendecke wurde nach und nach dünner." In den Regalen mussten die Artikel immer luftiger verstaut werden, damit die Lücken nicht so auffielen. "Aber dass das Ganze in der Insolvenz endet, damit hat von uns keiner gerechnet. Keiner."
Anders als die meisten anderen Filialleiterinnen in Bremen gehörte Geißler nicht dem Betriebsrat an. Sie genoss deshalb auch keinen besonderen Kündigungsschutz. "Weil fast alle Positionen dieser Art zumindest in Bremen mit Betriebsrätinnen besetzt sind, kam es bei der Frage, wem zuerst gekündigt wird, kaum zu der vorgeschriebenen Sozialauswahl. Das war der entscheidende Grund, warum ich trotz meiner langen Betriebszugehörigkeit letztendlich hinten runtergefallen bin", meint Geißler.
Sie sei anfangs richtig sauer gewesen und enttäuscht. "Man hat ja schließlich jahrelang alles gemacht für die Firma und dann wird einem plötzlich der Boden unter den Füßen weggerissen." Aber sie verspürte auch die Erleichterung, "endlich zu wissen, wo man steht". Die wochenlange Unsicherheit, wie es weitergeht, das habe mürbe gemacht. "Dieses ewige Gebange, bin ich noch oder bin ich nicht mehr dabei." Tanja Geißler bedauert inzwischen ihre Kolleginnen, die noch bei Schlecker bleiben durften. "Die wissen ja immer noch nicht, was mit ihnen passieren wird. Für die geht der Nervenkrieg weiter, den ich jetzt schon hinter mir habe."
Noch will Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz keine Namen von Investoren nennen, die die verbliebenen 3200 Filialen der Drogeriekette eventuell weiterführen. Um eine Übernahme für die Kaufinteressenten attraktiver zu machen, sollen auch die 13000 noch bei Schlecker verbliebenen Arbeitnehmerinnen Verzicht leisten. Die Gespräche über einen Sanierungsvertrag gerieten zuletzt ins Stocken. Die Gewerkschaft Verdi lehnte den Vorschlag des Insolvenzverwalters ab, die Personalkosten drei Jahre lang um 15 Prozent zu senken.
Tanja Geißler ist froh, dass sie das alles heute nichts mehr angeht. Noch am Tag ihrer Kündigung hatte sie sich bei der Bremer Arbeitsagentur gemeldet; auf der Suche nach einer neuen Stelle als Verkäuferin. "In welchem Bereich, habe ich offen gelassen. Ob ich Drogerieartikel oder Lebensmittel oder Mode verkaufe, war mir eigentlich egal. Ich denke, da kann man bei der Arbeitsmarktlage ohnehin nicht so wählerisch sein."
Insgesamt 18 Bewerbungen hat die 34-Jährige geschrieben. Zehn Angebote kamen von der Arbeitsagentur. Zwei davon hat sie gleich aussortiert. "Das waren Teilzeitstellen, damit wäre ich finanziell nicht über die Runden gekommen." Eine Adresse erwies sich als Volltreffer: Ein neues Brillengeschäft in der Bremer Innenstadt suchte eine Verkäuferin. Dass Geißler keine einschlägigen Branchenkenntnisse hat, war für den Arbeitgeber kein Hindernis. Auch nicht für sie selbst: "Das Fachwissen werde ich mir schon noch aneignen. Wichtig ist für mich, dass ich weiter Kontakt zu Kunden habe."
Statt 37,5 Stunden ist Geißler jetzt 42 Stunden in der Woche im Geschäft. Obwohl sie länger arbeitet, verdient sie weniger als in ihrem alten Job. Bei Schlecker bekam sie zuletzt monatlich 2473 Euro brutto. "Aber da war ich ja auch Filialleiterin und nicht einfache Verkäuferin wie jetzt." Trotzdem ist sie zufrieden. "Für mich ist es reizvoll, mal was anderes zu machen." Etwas, das sie eigentlich nie vorhatte. "Ich wollte immer bis zur Rente bei Schlecker bleiben." Im Nachhinein sieht die ehemalige Schlecker-Frau in ihrer Kündigung den Start für einen Neuanfang.
Andere hatten bislang weniger Glück. Von den insgesamt 1108 in Bremen und Niedersachsen arbeitslos gemeldeten Schlecker-Mitarbeiterinnen hatten Ende April erst 102 wieder einen neuen Job gefunden. Derzeit kommen auf 27400 Arbeitslose, die im Verkauf arbeiten wollen rund 1400 offene Stellen, heißt es bei der für Bremen und Niedersachsen zuständigen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. Auch anderswo geht die Arbeitssuche für die Ende März entlassenen Schlecker-Frauen nur schleppend voran. Deutschlandweit hätten von den 11200 Schlecker-Beschäftigten, die gekündigt oder freigestellt wurden, bis Ende April erst knapp 800 einen neuen Arbeitsplatz gefunden, berichtete die Gewerkschaft Verdi.
Die Zukunft der Überbleibsel des Schlecker-Imperiums könnte sich bei der nächsten Gläubigerversammlung am 5. Juni entscheiden. Der Insolvenzverwalter ist guter Hoffnung, zu dem Termin endlich den ersehnten Investor vorstellen zu können, sagt auf Nachfrage ein Sprecher seines Büros. Ob und wie es mit Schlecker weitergeht, liege in der Hand der Gläubiger.