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Warenhaus vor dem Aus Karstadt in Bremen: Wie ein Experte die Zukunftschancen einschätzt

Sollte Karstadt Bremen gerettet werden, wäre aus Sicht eines Handelsexperten allenfalls Zeit für die Entwicklung neuer Nutzungskonzepte gewonnen. Warum Warenhäuser aus seiner Sicht keine Zukunft haben.
16.03.2023, 05:00 Uhr
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Karstadt in Bremen: Wie ein Experte die Zukunftschancen einschätzt
Von Timo Thalmann
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Experten bezweifeln, dass die Auswahl der 52 Karstadt-Standorte, die nun vom Aus bedroht sind, sachgerechten Kriterien folgt. "Verständlich wird das erst, wenn man die Logik des Eigners René Benko zugrunde legt, der vor allem an der Wertentwicklung seiner eigenen Immobilien interessiert ist", sagt Gerrit Heinemann. Heinemann ist Professor für Betriebswirtschaft und Handelsexperte der Hochschule Niederrhein, davor hat er eine Zeit lang Geschäftsführer eines Kaufhof-Warenhauses gearbeitet.

Ihm zufolge ist Benko der Warenhausbetrieb "völlig egal". Bei den angekündigten Schließungen dominieren deswegen nach seiner Einschätzung Standorte ohne eigenen Immobilienbesitz und darunter vor allem diejenigen, bei denen die Vermieter im Zuge des seit Februar laufenden Insolvenzverfahrens bislang nur wenig Zugeständnisse gemacht haben. "Die Häuser mit hohen Kosten sollen geschlossen werden, auch wenn sie unterm Strich schwarze Zahlen schreiben." Heinemann bezweifelt, ob ein solches Handeln des Insolvenzverwalters rechtens ist, weil er damit nicht im Sinne des Warenhausbetriebs agiert, sondern vor allem die Interessen der Holding wahrt, die gar nicht in der Insolvenz sei.

Laut „Handelsblatt“ bezeichnete ein Mitarbeiter aus der Galeria-Führungsriege die Auswahl als „irrationale Li­ste“. Niemand könne verstehen, warum ein erfolgreicher Standort wie Bremen geschlossen werden solle, während schwächere und kleine Standorte erhalten blieben.

Wie realistisch ist ein Erhalt von Karstadt in Bremen?

Schon während des vorherigen Schutzschirmverfahrens in der Pandemie hatte das Unternehmen 40 Filialen geschlossen und gut 4000 Stellen gestrichen. Es wurden aber nicht alle ursprünglich ausgewählten Standorte dichtgemacht. Auch jetzt gab es im Vorfeld durch Zugeständnisse von Vermietern interne Änderungen: Laut dem Galeria-Gesamtbetriebsrat standen ursprünglich 81 statt 52 Standorte auf der Kippe. Änderungen sind weiter möglich. „Sollten sich an der aktuellen Fortführungsperspektive der Filialen signifikante Änderungen ergeben, kann es durchaus zu einer Neubewertung kommen“, sagte ein Unternehmenssprecher. Für Bremen setzen Betriebsrat und Senat darauf, dass sich Karstadt und die Zech-Stiftung als Eigentümer und Vermieter des Gebäudes auf neue Mietbedingungen einigen. 

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Hat das Warenhaus noch eine Perspektive?

Sollte eine solche Einigung gelingen, bedeutet das laut Heinemann keine dauerhafte Garantie für den Fortbestand von Karstadt in Bremen. „Das ist seit 2004 das fünfte Insolvenzverfahren, und der Konzern ist immer weiter geschrumpft.“ Er rechne in wenigen Jahren mit einem weiteren Insolvenzverfahren. Für den Handelsexperten hat das Konzept Warenhaus ausgedient: „Vor rund 20 Jahren hatten alle Kaufhäuser zusammen noch 15 Prozent Anteil am Einzelhandel, heute liegt er bei 0,5 Prozent.“ Der Niedergang vollziehe sich unabhängig von Entscheidungen bei Karstadt, die Heinemann als eine zwei Jahrzehnte währende „Plünderung“ des Konzerns bezeichnet. Sollte Karstadt Bremen jetzt gerettet werden und noch eine Weile Gewinn abwerfen, wäre nach seiner Einschätzung Zeit gewonnen, um Alternativen für den Standort ohne bestehenden Leerstand in Angriff zu nehmen.

Was wird aus den Karstadt-Standorten?

Für Heinemann könnten einzelne Häuser als „Dinosaurier im Jurassic Park“ überleben. Er bezweifelt aber, dass dies für Bremen zutrifft. „Wir reden über das Kadewe in Berlin oder das Alsterhaus in Hamburg mit hochwertigen Sortimenten und überregionaler Anziehungskraft.“ An anderen Standorten solle man sich mittel- und langfristig auf Nutzungen mit deutlich weniger stationärem Handel einstellen. Er verweist auf Recklinghausen, wo Karstadt 2016 geschlossen wurde und bis dahin in einem historischen Gebäude residierte. Seitdem ist hinter der alten Fassade eine Mischung aus Büroflächen, Gastronomie, Seniorenwohnen, Kita und Hotel zu weiten Teilen realisiert worden. „Das bedeutet auch, dass sich die Immobilieneigentümer von der Höhe der bisherigen Mieteinnahmen verabschieden müssen.“ Sonst rechneten sich solche Umnutzungen nicht.

Was folgt daraus für die Innenstadtentwicklung?

Laut Heinemann trägt der stationäre Einzelhandel im Schnitt 20 Prozent zur Wertschöpfung in den Innenstädten bei. Die Vorstellung von Warenhäusern als zentrale Publikumsmagneten sei „reine Nostalgie“. Funktionierende Innenstädte setzten künftig hohe Wohnanteile und ein breites Freizeit- und Kulturangebot voraus, gepaart mit mehr und höherwertiger Gastronomie. Für erfolgreichen stationären Einzelhandel brauche es zudem gute Mobilitätskonzepte. „Die Autos aus den Städten zu verbannen und gleichzeitig den Nahverkehr nicht auszubauen, wird nicht funktionieren.

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