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Interview mit Kieler Volkswirt "Ein Schweinezyklus bei Containerschiffen"

Laut Vincent Stamer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft sind die Containerreedereien gerade in einem Schweinezyklus. Wie Stamer auf die Lieferketten blickt, und wie Deutschland mit China umgehen sollte.
21.04.2023, 05:00 Uhr
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Von Florian Schwiegershausen

Wenn Sie als Volkswirt auf den deutschen Außenhandel blicken, in welcher Branche und wo entlang der Lieferkette würden Sie am liebsten arbeiten wollen?

Vincent Stamer: Das wäre bei den Autobauern, weil sie ein Rückgrat des deutschen Exports sind und im Ausland immer noch ein sehr gutes Ansehen haben. Gleichzeitig haben sie eine unheimlich verzweigte Lieferkette, wie wir im vergangenen Jahr wegen der fehlenden Computerchips sehen konnten.

Von außen ist das Ansehen also größer, als es die Deutschen vielleicht selbst wahrnehmen?

Ich habe großes Verständnis dafür, dass wir bei uns die großen Probleme ansprechen. Das sind zum einen die zuletzt durch die Corona-Pandemie durcheinander geratenen Lieferketten sowie die Energiekrise im Zuge des Ukraine-Kriegs – und zum anderen die fehlenden Fachkräfte. Grundsätzlich ist Deutschland aber in der Position, die Situation positiv zu gestalten. Unserer Wirtschaft geht es besser als der vieler anderer Länder und wir haben auch noch die Mittel, um das Ruder herumzureißen.

Wie kann man das Ruder herumreißen?

Was die fehlenden Fachkräfte angeht, braucht es einfach eine bessere Einwanderungspolitik. Das geht nicht so schnell, aber vielleicht kann man das überdecken, indem in europäischen Nationen wie zum Beispiel Kroatien Werke aufbaut, die eng mit den deutschen Mutterwerken zusammenarbeiten. So kann man Synergien schaffen. Oder schauen wir nach Spanien, wo das Thema Jugendarbeitslosigkeit lange ein Thema war. Da müsste doch eine Win-Win-Situation entstehen. Das Thema Energie ist allerdings problematischer.

Und was macht man da?

Wir sind da auf einem positiven Weg, da wir alternative Energiequellen heben, um fossile Energieträger einzusparen. Einzelne Windräder helfen, ein Gaskraftwerk einzusparen, und das Gas kann dann in der Industrie verwendet werden – nicht als Energieträger, sondern als Grundrohstoff für Düngemittel und Plastikerzeugnisse.

Was der Privathaushalt an Gas und Öl einspart soll also den Industrien zur Verfügung stehen, die am längsten für die Umstellung auf alternative Energien brauchen?

Das wäre ein Weg, weil ich als Volkswirt Preisbremsen für problematischer halte. Deutschland hat da mit seiner 80-Prozent-Preisdeckelung einen guten Kompromiss gefunden und eine bessere Lösung als andere Länder hinbekommen, um so einen Anreiz zum Energiesparen zu schaffen. Ansonsten führen Preisbremsen nicht zum Energiesparen. Das eingesparte Gas können dann die Hersteller verwenden, die Güter produzieren, die die Privathaushalte dringend benötigen.

Wo sehen Sie momentan die Sonnenseite im deutschen Außenhandel?

Das sind die Autobranche und der Maschinenbau, auch wenn bei Letzterem die neuen Auftragseingänge aus dem Ausland zurückgegangen sind. Da ist aber immer noch ein großes Auftragspolster vorhanden.

Wo wird es im laufenden Jahr eher problematisch?

Es wird wohl weiterhin die Chemieindustrie große Probleme haben aufgrund der Verwerfung durch die Energiepreise. Zum Jahresende gingen die deutschen Exporte preisbereinigt deutlich zurück. Das lag an den hohen Rohstoffpreisen. Die Gefahr, dass es da zu neuen Verwerfungen kommt, ist noch nicht gebannt.

Was haben denn die Unternehmen aus den drei Jahren Pandemie und dem einen Jahr Ukraine-Krieg bezüglich der Lieferketten gelernt?

Die Fracht, die durch Corona ausgefallen ist, hat die Lieferketten vor Probleme gestellt. Denn durch die Pandemie wollte auf einmal jeder ein Fahrrad kaufen oder die eigene Wohnung umbauen. Dadurch haben sich diese Konsumschwankungen ergeben. Die Unternehmen haben aber verstanden, das Lagerhaltung wichtiger wird und dass die Lieferketten diversifiziert werden müssen.

Dass es also eine Alternative zur bisherigen Importlösung gibt?

Ja, da sehe ich erste Anzeichen, aber keine dramatische Kursänderung.

Aber gerade die Autobranche hat ja bisher auf Just-in-time-Produktion gesetzt.

Mein Eindruck ist, dass man da auf einen Kompromiss zusteuert. Lagerhaltung kostet eben, und man hat auch seine Gründe, weshalb man sich auf bestimmte Zulieferer beschränkt.  Aber da liegt eine große Chance für Spediteure, denn die profitieren von den Vorsorgemaßnahmen.

Und zwar?

Wenn ein Hersteller seine Zwischenprodukte aus China bezogen hat, können die Spediteure als Alternative dafür sorgen, dass er sie dann zum Beispiel aus Indien bezieht.

Also statt Plan A dann Plan B mit einer Alternative zum bisherigen Lieferanten?

Man kann leichte Anzeichen dafür erkennen, aber ein großes Umschwenken gab es da bisher nicht.

Die hohen Frachtraten der Reedereien und deren Gewinne wird es ja wohl so erst mal nicht mehr geben.

Die Reedereien gehen da eine Runde mehr durch den Schweinezyklus, denn durch die neuen Schiffe, die sie bestellt haben, machen sie sich so viel Wettbewerb, dass wir nun wieder in das andere Extrem kommen.

Schweinezyklus bei Containerschiffen – ein interessantes Bild.

Die Schweine brauchen ja eine Zeit, um schlachtreif zu sein, und genauso ist es mit den Containerschiffen. Die werden drei Jahre lang gebaut, und wenn die fertig sind, sieht die Welt schon wieder anders aus.

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Auf welche Länder sollte sich Deutschland in Zukunft stärker als Handelspartner konzentrieren?

Ich bin der Ansicht, dass Handel mit China auf Augenhöhe grundsätzlich etwas Positives ist. Das klingt einerseits naiv, andererseits konservativ. Deutschland wird wirtschaftlich gut daran tun, von der Leistung von China zu profitieren. Und Handel könnte auch stabilisierend wirken. Ja, Handel mit Russland konnte den Ukraine-Krieg nicht verhindern. Aber was würde China tun, wenn die chinesische Wirtschaft gar nicht mehr mit dem Westen verbunden wäre? Mit dem Handel erhalten wir uns Handlungsoptionen wie Sanktionen.

Das ist nachvollziehbar.

Die andere Seite der Medaille ist, dass wir uns natürlich nicht abhängig machen sollten von China. Aber in der Elektronik sind wir das längst. Ohne Handel mit China hätte Deutschland in den kommenden zwei Jahren mehr Probleme als durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf den Handel. Da geht es dann auch nicht mehr um fehlendes Toilettenpapier, sondern um Laptops und Smartphones.

Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für einen neuen Versuch für ein  Handelsabkommen mit den USA?

Das ist überfällig und wäre genau jetzt der richtige Schritt – auch angesichts der Investitionsprogramme in den USA und der EU. Wir nehmen als Europäer immer China als unseren größten Handelspartner wahr. Zwar importiert Europa die größte Menge an Gütern aus China, Europa selbst aber exportiert die meisten Güter in die USA. Auch beim Dienstleistungshandel und bei den Kapitalflüssen spielen die USA eine viel größere Rolle als China.

Die Investitionsprogramme der USA nehmen viele ja als Konkurrenz zu Europa wahr.

Ziel sollte sein, statt der Investitionsprogramme den Freihandel zu fördern.

Wo sehen Sie generell gute Chancen für den deutschen Außenhandel in diesem Jahr?

Gute Chancen sehe ich da in der Eurozone. China ist zwar der wichtige Lieferant, aber wenn man zwei Länder aus dem Euroraum kombiniert, zum Beispiel die Niederlande und Frankreich, oder Spanien und Italien, kommt man auf ähnliche Handelswerte wie mit China. Wenn sich der Euroraum jetzt von der Abkühlung und der Energiekrise erholt, wäre Deutschland davon der größte Profiteur.

Sollten die Deutschen also weniger Pessimismus an den Tag legen als sie es immer gern schnell tun?

Es ist immer genauso viel Pessimismus angebracht, wie benötigt wird, um die großen Probleme anzugehen – aber mehr dann auch nicht.

Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.

Zur Person

Dr. Vincent Stamer (31)

ist Wissenschaftler am Kiel Institut für Weltwirtschaft rund forscht zu Themen des internationalen Handels. Er ist verantwortlich für die Prognose des deutschen Außenhandels und leitet das Projekt des Kiel Trade Indicators.

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