Die Traktoren rollen wieder nach Berlin: Wenn an diesem Freitag die Grüne Woche beginnt, werden Tausende demonstrieren. Hier die Messehallen als Schlemmermeile, Forum und Schaufenster der Ernährungsbranche – da die Straßen als Ort des Protests für Kritiker und Unterstützer moderner Landwirtschaft. Die Klimadebatte lässt die Diskussion noch grundsätzlicher werden, auch auf der Grünen Woche, zu der die Veranstalter bis zum 26. Januar 400 000 Besucher erwarten.
„Da bricht sich etwas Bahn“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner (CDU) mit Blick auf Klima-Proteste und Bauerndemonstrationen der vergangenen Monate. Und stellt vor Beginn der weltgrößten Agrarmesse klar: „Wir werden nicht mit romantisierenden Bullerbü-Vorstellungen zurück zu einer vormodernen Landwirtschaft kehren.“ Damit seien die Menschen nicht zu ernähren. In „Wir Kinder aus Bullerbü“ hatte die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren das Bild eines weitgehend technikfreien Landlebens gezeichnet.
Bis 2050 müsse die weltweite landwirtschaftliche Produktion um 70 Prozent erhöht werden, um die wachsende Weltbevölkerung satt zu machen, sagt Klöckner. Sie zeichnet das Bild des Großstädters, der vom Bauernhof-Idyll träumt, weil sein Alltag zu hektisch ist. Der aber nicht bereit ist, beim Lebensmitteleinkauf im Supermarkt mehr zu bezahlen für einen größeren Schutz von Tieren, Klima und Umwelt. Ähnlich sieht es auch das Deutsche Milchkontor (DMK) mit Verwaltungssitz in Bremen.
„Landwirte fühlen sich von der Politik nicht wertgeschätzt, sondern sehen sich oft als Buhmänner der Nation“, sagt Oliver Bartelt, Sprecher von Deutschlands größter Molkereigenossenschaft. Die Branche habe sich zuletzt aber auch selbst in eine Wagenburgmentalität manövriert und verpasst, zu zeigen, wie es auf modernen Höfen ablaufe. Um hier Abhilfe zu schaffen, werde dieses Jahr auf der Grünen Woche auch die Sektorstrategie Milch vorgestellt, an deren Entstehung auch das DMK beteiligt war. Dabei gehe es um eine einheitliche Position zu Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Tierwohl oder Kommunikation.
Verbraucher, Politik – es gibt noch mehr Akteure. Etwa den Handel. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warf den Lebensmittelketten vor, Wettbewerb auf Kosten von Bauern in ärmeren Ländern zu machen. „Geizhandel führt zu Verarmung, weil den Entwicklungsländern so Milliarden an Wertschöpfung entzogen werden“, sagte Müller der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Am Freitag will er mit großen Lebensmittelhändlern eine Erklärung zu existenzsichernden Einkommen und Löhnen in Agrarlieferketten unterzeichnen. Angesichts von „Kampfpreisen“ machte er vorab klar: „Für eine Schauveranstaltung bin ich nicht zu haben.“
Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels betonte, die Betriebe engagierten sich seit Jahren für mehr Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten. Sie prüften Ansätze, wie existenzsichere Einkommen und Löhne noch stärker berücksichtigt werden können. Die Branche verwies zugleich auf den starken Wettbewerb im Lebensmittelmarkt. „Verbraucher profitieren davon – zum Beispiel in Form von günstigen Preisen.“ Das sei nicht verwerflich, weil auch sozial Schwächere sich vieles leisten könnten. Das würdigte auch Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Deshalb ist der Appell an die Verbraucher gerichtet, die es sich leisten können, mehr zu bezahlen.“ Die Einkommen der Bauern waren zuletzt zurückgegangen.
Jemand, der sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzt, ist Heiko Gerken, der zusammen mit seiner Familie die Firma Lebensmittelpunkt in Hepstedt betreibt. Dahinter verbirgt sich ein Onlineshop, in dem Kunden nachhaltig und biologisch erzeugtes Fleisch kaufen können. Er wurde zu einem Stand eingeladen, auf dem sich niedersächsische Start-ups präsentieren.
Eine Chance, über die er sich freut: „Wir hoffen, von Leuten gesehen zu werden, die Interesse an einem Unternehmen haben, das im Bio-Segment Fuß gefasst hat“, sagt Gerken. Auch wenn seine Firma noch jung sei, sei er zufrieden. „Das erste Jahr war zum Lernen. Im zweiten Jahr haben wir aber unsere Ziele erreicht.“ Das Geschäft mit dem Versand von Biofleisch wachse, zudem gebe es in der Region mehrere Stellen, an denen sich Verbraucher die Ware abholen könnten – auch in Bremen.
Unklarheiten bei EU-Förderung
Das Stimmungstief der Bauern hat auch damit zu tun, dass unklar ist, wie es mit der EU-Förderung von nächstem Jahr an weitergeht. „Ein Stall kostet Millionen. Da brauchen sie 20 bis 30 Jahre, bis der amortisiert ist“, erklärt Rukwied. Klar sei, dass die EU-Agrarpolitik grüner werde. Subventionen sollen stärker Umweltleistungen belohnen und weniger den Besitz großer Flächen. Doch wie es genau weitergeht, ist offen. Die Bauern hoffen, dass das Budget zumindest stabil bleibt.
In Berlin wollen am Sonnabend Tausende Landwirte, Klima- und Tierschützer für eine umweltfreundlichere Agrarpolitik protestieren, gegen „Massentierhaltung“ und „Agrarfabriken“. Schlagwort: „Wir haben es satt!“ Um das Brandenburger Tor werden Tausende Teilnehmer erwartet. Die Initiative „Land schafft Verbindung“ will dagegen schon an diesem Freitag auf die Straße gehen, etwa in Bremen.