Wenn ARD-Wettermann Sven Plöger Abend für Abend mit ausladenden Gesten die Warm- und Kaltfronten eines Islandtiefs erklärt, bekommt er Hilfe von ganz oben. Wettersatelliten gehören längst zur Grundausstattung des Weltalls; seit 45 Jahren liefern die himmlischen Wetterbeobachter der Meteosat-Reihe unablässig Bilder von Wolkenwirbeln, -schleiern oder -tupfern. Jetzt geht die dritte Generation der Meteosat-Wettersatelliten an den Start. Und natürlich steckt wieder viel Technik aus Bremen drin.
Horst Wiegmann öffnet die Tür zum Reinraum. Während draußen der Metronom nach Hamburg vorbeistiebt, ist es in der Integrationshalle des Satellitenbauers OHB so ruhig und sauber wie in einem Operationssaal. Auch Wiegmann, ein 61 Jahre alter Elektrotechnikingenieur, erinnert im weißen Kittel und mit Kopfhaube auf den ersten Blick an einen Krankenhausarzt. Seine infektionsanfälligen "Patienten" liegen in der Mitte der Halle auf stabilen Stahlrahmen. Sie heißen MTG-I4 und MTG-S1 und sollen in den kommenden Jahren die Bilder und Daten für Plögers Tanz mit dem Islandtief liefern. "Satellitenfotos gibt es zwar jetzt schon jeden Abend in der ,Tagesschau', aber die Vorhersagen sollen mit den neuen Messinstrumenten noch besser werden", erklärt Wiegmann. Sein Job ist es, die Plattformen dafür zu bauen – einen fast garagengroßen Kasten aus Kohlefasern, voller Kabel und Elektronik, mit eigener Antriebstechnik, Steuerung und Energieversorgung. Wiegmanns Plattform soll die hochpräzisen Messinstrumente der Meteorologen durchs All tragen, mindestens zehn Jahre lang.
MTG – das steht für "Meteosat Third Generation". Die dritte Generation der europäischen Wettersatelliten soll die zweite ablösen, die zurzeit das Wettergeschehen auf der Erde aus 36.000 Kilometern Höhe fest im Blick hat. Wenn alles nach Plan läuft, startet der erste MTG-Satellit am 13. Dezember – nächste Woche Dienstag – an der Spitze einer Ariane 5 vom Weltraumzentrum Kourou in Französisch-Guayana ins All.
Das Besondere an der dritten Meteosat-Generation ist: Sie liefert nicht nur Wolkenbilder, sondern darüber hinaus jede Menge Daten, die sowohl kurzfristige Unwetterwarnungen als auch langfristige Wetterprognosen verbessern sollen. Deshalb besteht die MTG-Baureihe aus zwei verschiedenen Satellitentypen: MTG-I1, der nächste Woche startet, ist ein Imager-Satellit: Er liefert die Wolkenbilder, alle zehn Minuten ein neues, so dass etwa Sturmtiefs fast in Echtzeit verfolgt werden können. Ein zweites Bordinstrument zeichnet Blitze auf – auch das soll helfen, Unwetter früher entdecken zu können.
Besser als die Bauernregeln
Der zweite und bislang einzigartige Bautyp der MTG-Reihe ist ein Sounder-Satellit. Der erste – MTG-S1 – steht noch in Wiegmanns Reinraumhalle und unterscheidet sich vom Imager-Satelliten äußerlich kaum – jedenfalls was die Plattform betrifft. "Die sind zu 95 Prozent identisch", erklärt der Projektleiter. Der Clou sind die Instrumente, die später auf die Plattform geschraubt werden: Mit seinem Infrared Sounder (IRS) kann MTG-S1 alle 30 Minuten die Atmosphäre über Europa sondieren und die Verteilung von Temperatur und Wasserdampf in verschiedenen Höhen ermitteln. Die Meteorologen erhoffen sich davon eine Verbesserung langfristiger Wettervorhersagen, die bislang nicht viel genauer sind als die alten Bauernregeln. Wenn sie ihre Computer künftig mit Daten aus der gesamten Atmosphäre füttern können, könnte doch noch eine seriöse Wissenschaft daraus werden, so die Hoffnung.
Der Bau der MTG-Satelliten ist – wie so oft in der europäischen Raumfahrt – ein Gemeinschaftswerk. In Auftrag gegeben haben die Europäische Weltraumbehörde Esa und der Betreiber Eumetsat sechs Satelliten: vier Imager- und zwei Sounder-Satelliten. Gebraucht wird davon zunächst nur die Hälfte; der Rest wird eingelagert und erst in zehn Jahren wieder hervorgeholt, wenn die ersten drei Satelliten das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. "Dem Betreiber war ein kontinuierlicher Service über 20 Jahre wichtiger als die Chance, in zehn Jahren vielleicht die neueste und beste Technik einsetzen zu können", erklärt Projektleiter Wiegmann und fügt mit einem leichten Lächeln hinzu: "Meteorologen gucken ja heute auch immer noch aufs Barometer, obwohl sie im All ihre Satelliten haben."
Die Arbeitsaufteilung beim Bau der sechs Satelliten folgt den Anteilen der Finanzierung aus den Partnerländern des Projekts: OHB baut in Bremen alle sechs Plattformen der MTG-Satelliten; die französisch-italienische Thales Alenia Space (TAS) installiert in Cannes die Instrumente der vier Imager-Satelliten; OHB liefert aus seinem Werk in Oberpfaffenhofen die Ausstattung der beiden Sounder-Satelliten nach Bremen. Wiegmanns Team nähert sich beim Bau der Plattformen dem Ende der Arbeiten: MTG-I1 steht startklar in Kourou, eine weitere Plattform wurde letzte Woche per Schwertransport nach Cannes geliefert; zwei sind in Bremen bereits eingelagert. In der Reinraumhalle laufen jetzt im Dreischichtbetrieb die aufwendigen Funktionstests am ersten Sounder-Satelliten, dessen Instrumente im April in Bremen erwartet werden. Geplanter Starttermin: August 2024.
Wenn MTG-I1 am Dienstag in Kourou startet, will Wiegmann auf jeden Fall dabei sein. Zehn Jahre lang waren Planung und Bau der MTG-Plattformen sein Projekt. "Ich war noch nie bei einem Raketenstart dabei, das wird sicherlich was ganz Besonderes", freut sich der Ingenieur. "Aber es ist auch ganz gut, wenn man nach zehn Jahren so nach und nach an alles mal einen Haken machen kann."