Die Wirtschaft in Deutschland schrumpft, immer häufiger ist von „De-Industrialisierung“ die Rede – manchmal mit einem Fragezeichen, immer häufiger als Feststellung. Die Energiekosten, schleppende Genehmigungsverfahren, der Zustand der Infrastruktur, die demografische Entwicklung, hohe Arbeitskosten und eine hohe Abgabenlast machen den Standort unattraktiv und ziehen Unternehmen fort.
Auch in Bremen ist das relevant. Dienstleister, Häfen und Handelshäuser werden sich nicht wegducken können, wenn die De-Industrialisierung voranschreitet. Aber auch Marketingagenturen, deren Mitarbeiter glauben, ihre Wertschöpfung beginnt, wenn sie beim Barista den Laptop aufklappen, werden feststellen, wie bedeutsam der Mittelstand ist. Ein Industriearbeitsplatz sichert etwa drei weitere Arbeitsplätze bei Dienstleistern, Logistikern, im Handwerk und in Zulieferbetrieben.
Ein Treiber der Unattraktivität des Standortes ist die Regulatorik. Es ist verstörend, wenn in der letzten Legislatur die grüne Senatorin für Bremen eigene Bauvorschriften erlässt, Projektentwickler in Bremen also andere Vorschriften zu beachten haben als in Lilienthal oder Schwanewede. Die wesentlichen Macher von Regulatorik bewegen sich aber auf EU- und Bundesebene. Die Vielzahl an Vorschriften, die Mittelständler bewältigen müssen, wirkt wie ein lähmendes Netz und bindet Ressourcen. Beispiele waren zuletzt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die Whistle-Blower-Richtlinie. Besonders weit von unternehmerischen Realitäten entfernt mutet an, was unter dem Schlagwort Nachhaltigkeitsberichterstattung umzusetzen sein wird. Und auch die Cyber-Security-Richtlinie und die EU-Entwaldungsverordnung sind in Sicht.

Timm Grotheer
Statt sich auf Produktentwicklung oder Markterschließung zu konzentrieren, müssen Mittelständler immer mehr Aufwand in die Erfüllung staatlicher Vorgaben investieren. Das macht deutsche und europäische Produkte im Weltmaßstab teuer und weniger wettbewerbsfähig. Zugleich hat die Tendenz zum Vorschriftenmachen Auswirkungen auf das mentale Grundgerüst unserer Gesellschaft. Eigenverantwortung steht nicht mehr im Vordergrund – im Zweifel regelt und rettet der Staat.
Die Politik muss den produzierenden Mittelstand durch bessere Standortbedingungen und eine entschlackte Regulatorik stärken. Eine De-Industrialisierung wird sich kaum zurückdrehen lassen. Unternehmen investieren mit Blick auf Jahrzehnte. Die Gesellschaft wird keine zweite Chance bekommen, den industriellen mittelständischen Wirtschaftsstandort zu erhalten.