Der Neustädter Hafen ist auf Projektlogistik spezialisiert und gilt mit seiner 40.000 Quadratmeter Montage-Fläche als größter Terminal für Stück- und Schwergut in Europa. Dass die Verladung der Oberstufe für die neue Trägerrakete Ariane 6 an diesem Mittwochabend dort stattgefunden hat, liegt nahe - gerade auch wegen der Nähe zur Werkshalle der Ariane Group am Bremer Flughafen, die etwa acht Kilometer entfernt ist. Sicher verpackt soll die Reise auf der "Eastern Rock" nun weiter zum französischen Überseedepartement Französisch-Guayana an der Nordostküste Südamerikas gehen. Dort befindet sich der Weltraumbahnhof Kourou, der von den Europäern als Startplatz für die Ariane-Raketen genutzt wird.
Der Schwertransport zum Neustädter Hafen verlief ohne Zwischenfälle. Die PS-starke Zugmaschine von Zech Logistics setzte sich am Mittwochmorgen problemlos in Bewegung hinter ihr die zwölf Tonnen schwere in einem 14 Meter langen und mehr als sechs Meter breiten Spezialbehälter verpackte Oberstufe, der ein Gewicht von über 100 Tonnen hat.
Trotz freier Fahrt, der Sperrung von Straßen, Kreuzungen und teilweise auch der Autobahn dauerte der Transport für die acht Kilometer dreieinhalb Stunden - eine Zeit, die aber einkalkuliert war. Denn so ein Transport findet im Schritttempo statt. Gegen 5.30 Uhr war der Neustädter Hafen erreicht.
Die transportierte Oberstufe für die neue Trägerraketengeneration ist die zweite, die in Bremen gebaut wurde. Die erste Oberstufe befindet sich am Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Lampoldshausen, wo seit ein paar Monaten der Hot Firing Test stattfindet - erstmals wird dort eine komplett funktionsfähige Oberstufe einschließlich Zündung des Vinci-Triebwerks unter „Weltraumbedingungen“ getestet.
Abheben wird die Oberstufe aber nicht
Abheben und den tropischen Regenwald hinter sich lassen in Richtung Weltall wird aber auch Oberstufe Nummer zwei nicht. Sie ist ebenfalls "nur" eine Test-Oberstufe: Am Startplatz wird zum ersten Mal eine komplette Ariane 6 zusammen gebaut - also quasi die Hochzeit von Haupt- und Oberstufe. Deshalb lautet auch der interne Name für die Oberstufe bei der Ariane Group CTM - Combined Test Model. Mit der zum ersten Mal entstandenen Einheit zwischen Haupt- und Oberstufe soll unter anderem die Kommunikation zwischen Bodenanlagen, Launchpad und Rakete getestet werden. Denn in Kourou wurde für die künftige neue europäische Trägerrakete ein komplett neuer Startplatz gebaut.
Der eigentliche Erstflug für das Nachfolgemodell der Ariane 5, die seit 1996 im Dienst ist und Satelliten ins Weltall transportiert, "sei für Mitte nächsten Jahres geplant", sagte Karl-Heinz Servos, Produktionschef bei der Ariane Group, am Dienstagnachmittag, als sich die Ladung schon in eine bessere Startposition für den Nachtransport positionierte: Es ging vom Gelände der Ariane Group geradeaus über eine Straße aufs Airbus-Gelände. Anders hätte der 41 Meter lange Transportzug auch nicht fahren können, weil er wegen der Länge nicht in die Claudius-Dornier-Straße hätte abbiegen können.
Ursprünglich war der Jungfernflug für die Ariane 6 Ende 2020 geplant, auch der dann neue Termin – zweite Jahreshälfte 2021 – konnte nicht eingehalten werden, unter anderem wegen Einschränkungen durch Corona gab es Unterbrechungen in der Produktion. An der Oberstufe, die dann tatsächlich abheben soll, dem sogenannten Flugmodell 1 (FM 1), wird bereits seit Monaten in der Werkshalle am Bremer Flughafen gearbeitet.
Dass die Oberstufe neu entwickelt wurde, liegt vor allem am Wettbewerbsdruck. Denn anders als früher gibt es inzwischen eine größere Anzahl an Unternehmen, die Trägerraketen bauen – darunter Low-Cost-Anbieter wie das Raumfahrtunternehmen Space X des US-Milliardärs Elon Musk. Mit der Ariane 6, die im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur Esa gebaut wird, sollen die Kosten im Vergleich zur Ariane 5 etwa halbiert werden.
Auch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) hat den Auftakttermin wahrgenommen und dafür ihren Urlaub unterbrochen. "Das mache ich für so ein Ereignis sehr gerne", sagte die Senatorin. Der Bau der Oberstufe sei wichtig, weil dadurch Satelliten ins Weltall transportiert werden könnten, die beispielsweise zur Klimabeobachtung eingesetzt werden. Raumfahrt habe insgesamt eine große Bedeutung für Bremen. Die Stadt sei mit ihren verschiedenen Raumfahrtaktivitäten und den daran beteiligten Unternehmen das Herzstück der europäischen Raumfahrt. "Das sollte man häufiger hervorheben und nach außen tragen."
Überfahrt dauert etwa zehn Tage
Am Bau der Oberstufe sind verschiedene Firmen beteiligt – so auch das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB mit seiner Tochter MT Aerospace. Mit einem Anteil von etwa zehn Prozent gehört die OHB-Tochter zu den wichtigsten Zulieferern des Ariane-Programms – sowohl bei der bisherigen als auch bei der neuen Trägerrakete. In Bremen werden die bei MT Aerospace in Augsburg gefertigten Tankböden und Zylinderpanele zu einem Treibstofftank für die Oberstufe zusammengefügt.
Die Überfahrt nach Französisch-Guayana mit dem Schiff, die etwa zehn Tage dauert, werden die Oberstufen immer in gleichbleibender Umgebung "verbringen": Der Spezialbehälter ist unter anderem klimatisiert. Zwar werden die Oberstufen bei ihren Flügen ganz extremen Temperaturunterschieden ausgesetzt sein, aber eine gleichbleibende Umgebung während des Transports wird deshalb hergestellt, um bei etwaigen Fehlermeldungen den Transportweg als Ursache dafür schon einmal ausschließen zu können.