Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Pioniere des Online-Shoppings Wie aus Bildschirmtext auch eine Bremer Geschichte wurde

Der erste deutsche Onlinedienst namens Bildschirmtext wird 40 Jahre alt. Alles war sehr klobig und langsam, doch die Otto-Gruppe erkannte die Chancen. Und eine Bremer Firma half auf dem Weg zum Online-Shopping.
02.09.2023, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Wie aus Bildschirmtext auch eine Bremer Geschichte wurde
Von Florian Schwiegershausen

Dank Smartphone ist es nur eine Sache von wenigen Sekunden, eine neue Hose oder eine Bohrmaschine im Internet zu bestellen. Aus heutiger Sicht ist es kaum noch vorstellbar, wie die Zeiten ohne Internet waren. Doch in Deutschland war es eine zeitlang auch ohne World Wide Web möglich, etwas elektronisch zu bestellen. Das Zauberwort dafür hieß Bildschirmtext, kurz Btx. Und die Bremer Firma Hanke Multimediahaus, heute Hmmh, entwickelte damals für den Otto-Versand eine Software, mit der die Kunden auch mit langsamer Übertragungsgeschwindigkeit Artikel bestellen konnten. Im September vor 40 Jahren ging Btx zum ersten Mal an den Start.

Eigentlich hätte Btx noch früher eingeführt werden sollen, wie das Verbraucherportal Teltarif.de im Rückblick berichtet. Die Deutsche Bundespost, zu der Zeit eine staatliche Behörde, stellte 1977 erste Geräte auf der Berliner Funkausstellung vor. Bundespostminister Kurt Gescheide (SPD) demonstrierte an klobigen, kleinen Kisten mit Monitor, Tastatur und Telefon, wie der Dienst funktionierte.

Beim Herunterladen von Daten waren über die analoge Telefonleitung bis zu 1200 Bits pro Sekunde möglich, beim Hochladen bis zu 75 Bits pro Sekunde. Bei einer Auflösung von 640 mal 480 Bildpunkten sahen die Seiten eher rustikal anmutend aus. Es lässt sich mit dem bis heute noch klobigen Design der TV-Teletext-Seiten vergleichen. Firmen und Behörden mussten für ihre Btx-Präsenz entsprechende Summen an die Bundespost zahlen. Vertreten waren neben dem Arbeitsamt beispielsweise auch zahlreiche Erotikseiten von Beate Uhse.

Otto-Gruppe setzte online auf Bremer Firma Hmmh

Michael Otto, der in dieser Woche beim Bremer Unternehmerforum zu Gast war, erkannte in den 1980er-Jahren die Chancen des Btx, auch wenn die Nutzerzahlen 1986 bei 60.000 statt der erhofften Million lagen. Zu hoch waren die Abokosten der Btx-Geräte. Otto erinnerte in seiner Festrede am Dienstag in der Hansestadt daran, wie sein Konzern beim Bildschirmtext mit einem Angebot vertreten war – ohne ein schönes Kleid oder die Stereoanlage auf den Seiten in voller Schönheit präsentieren zu können. Der Hamburger Unternehmer war im Gegensatz zu seiner Konkurrenz absolut davon überzeugt, dass das die Zukunft sein wird.

Lesen Sie auch

Damit Btx laufen konnte, brauchte es eine entsprechende Software. Da kam der Bremer Detlef Hanke ins Spiel, der mit seiner Agentur vor allem auf Werbedesign spezialisiert war. Zum Firmenalltag im Medienhaus an der Schwachhauser Heerstraße gehörte zu jener Zeit die Entwicklung von Katalogen, Werbemitteln, Werbefilmen und ersten Computeranimationen, wie sich die heutigen Vorstandsvorsitzenden Stefan Messerknecht, Björn Portillo und Gerd Güldenast erinnern. Das ganze Team arbeitete an der Entwicklung des ersten Online-Shops für den Otto-Versand mit. Diesen bezeichnen die Mitarbeiter heute als ersten Online-Shop Deutschlands.

Ab 1997 verkaufte Otto die gesamte Produktpalette online

Für das Telefon gab es damals Modems, in die der Hörer zur Datenübertragung eingeklemmt werden konnte. Dieses abgeschottete System diente zu dem Zeitpunkt auch dazu, um ins Internet zu kommen. Kritiker glaubten nicht, dass das Internet eine Chance haben werde. Michael Otto und Detlef Hanke waren anderer Meinung – und verkauften bereits eine Auswahl an Artikeln. 1996 ging der erste Otto.de-Shop ans Netz. "Wir wussten bis kurz vorher nicht, ob die Seiten funktionieren werden", erinnert sich Portillo. Es funktionierte. Ein Jahr später entwickelten die Bremer vom Hanke Multimediahaus mit Shopping24 das erste Dachportal für die Otto-Gruppe, unter der alle Unternehmenstöchter und Otto.de zusammenliefen. Von da an war das gesamte Warenangebot online bestellbar.

Während Btx 2007 endgültig eingestellt wurde, hält die Geschäftsbeziehung zwischen der Otto Group und Hmmh bis heute. "Eine so lange gemeinsame Zeit ist in dieser Branche eigentlich eher eine Ausnahme", sagt Hmmh-Vorstandssprecher Stefan Messerknecht. Aus einem kleinen Team von Kreativen im Medienhaus an der Schwachhauser Heerstraße ist inzwischen eine mittelständische Firma mit 380 Beschäftigten an sieben Standorten geworden, darunter 340 im Bremer Wesertower. Fünf Beschäftigte arbeiten vom jüngsten Büro in Dubai aus. Und längst gehören namhafte Vertreter aus den verschiedensten Branchen zum Kundenstamm des E-Commerce-Pioniers, der heute Teil von Europas größter inhabergeführten Werbeagenturengruppe Europas ist.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)