Der Neustädter Hafen und auch Bremerhaven gelten als eine der großen Drehscheiben in Europa – zumindest, wenn es darum geht, Industrieanlagen, Maschinenteile oder andere sperrige und auch tonnenschwere Güter zu transportieren, die nicht in einen Container passen. Diese Spezialtransporte werden in der Projektlogistik abgewickelt. Und das vergangene Jahr verlief bei drei Viertel der Unternehmen besser als 2021 – trotz der vielen Herausforderungen.
Und im laufenden Geschäftsjahr soll es noch besser werden. Das geht aus einer Umfrage hervor, die die BHV, die Bremische Hafen- und Logistikvertretung, bei Unternehmen gemacht hat, die in der Projektlogistik tätig sind. In Sachen Umschlag von Projektladung gibt es im benachbarten Belgien einen neuen Hafen als Nummer eins in Europa.
Trotz der massiven Konkurrenz erwartet fast die Hälfte der Unternehmen für das laufende Jahr 2023, dass der Markt gegenüber 2022 noch weiter zulegt. Diese positive Markteinschätzung sei eines der zentralen Ergebnisse des „BHV-Projektlogistik-Monitors 2023“, heißt es.
Dass in Belgien ein neuer Marktführer entstanden ist, liegt an dem Zusammenschluss der beiden Häfen Antwerpen und Zeebrügge, der vor zwei Jahren auf den Weg gebracht wurde und heute unter den Namen Port of Antwerp-Bruges firmiert. Dieser Hafen wird im Rahmen des BHV-Monitors von den eigenen
Akteuren als der wichtigste Wettbewerber der Bremischen Häfen
bewertet. Das war auch schon im Prinzip bei der letzten Umfrage 2021 der Fall, damals ging es aber um Antwerpen allein.
Die Größe lässt sich auch an den Umschlagszahlen im Bereich Projektlogistik ablesen: 2020 hatten die bremischen Häfen nach den Zahlen der BHV mit 6,8 Millionen Tonnen die Nase vorn, Antwerpen hatte 6,6 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Im niederländischen Hafen Rotterdam waren es sechs Millionen Tonnen; Hamburg spielt in diesem Segment mit 1,2 Millionen eine untergeordnete Rolle. Ein Jahr später hat der Port of Antwerp-Bruges die bremischen Häfen deutlich auf Platz zwei verdrängt: Der neue Hafen-Zusammenschluss brachte es auf 13,1 Millionen Tonnen, in Bremen und Bremerhaven waren es zusammen 8,4 Millionen Tonnen (Rotterdam: 6,9 Millionen Tonnen, Hamburg: 1,3 Millionen Tonnen).
Die BHV verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es keine exakte Statistik gibt, die Anzahl und Umfang der weltweiten Verschiffungen von Großprojekten aufführen. Für den Monitor Projektlogistik hat die BHV die Jahresberichte der jeweiligen Häfen mit Blick auf den konventionellen, nicht containerisierten
Stückgutumschlag ausgewertet – ohne Fahrzeuge und ohne RoRo-Verkehre.
Und der Port of Antwerp-Bruges hat große Ziele – auch wenn er sich über alle Bereiche gesehen mit 147 Millionen Tonnen pro Jahr bereits zum größten europäischen Exporthafen entwickelt hat: Der fusionierte Hafenbetrieb „soll eine stärkere Stellung im internationalen Wettbewerb erreichen und in der Energiewende als ‚Green Port‘ führend in Europa werden“, heißt es in einer Presseerklärung zur Fusion. Bei dem Zusammenschluss gehe es um mehr als nur Tonnen und Volumen.
Entstehen soll der erste Welthafen, der Wirtschaft, Mensch und Klima miteinander vereine. Das Fusionsprojekt basiere darauf, sowohl für die Umgebung von Antwerpen und Zeebrugge, Kunden und Stakeholder, aber auch für das übrige Flandern einen Mehrwert zu schaffen. In einem gemeinsamen Plan definierten beide Häfen drei strategische Prioritäten: nachhaltiges Wachstum, Widerstandsfähigkeit und Führungsrolle beim Energie- und digitalen Wandel.
Die Kombination aus beiden Häfenstandorten gebe zudem die Möglichkeit, auf Störungen vorbereitet zu sein, sagte Wim Dillen, International
Development Manager des Antwerpener Hafens, in einem Gespräch mit
der "Deutschen Verkehrszeitung" (DVZ). Im Falle von Störungen könne ein Teil der Ladung flexibel auf den jeweils anderen Hafen verlagert werden. Dillen geht davon aus, dass es auch künftig immer mal wieder gestörte Lieferketten geben werde, auf die sich Häfen einstellen müssten. Der „neue“ Hafen unternehme derzeit große Anstrengungen, sich im Hinterland bekannter zu machen, so die DVZ. Sein Haupteinzugsgebiet definiere der Port of Antwerp-Bruges „zwischen Antwerpen und Berlin und allen südlichen Regionen". Dazu gehört Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern, Österreich, Tschechien und die Schweiz.
Trotz der geringen Umschlagsmengen sehen die Unternehmen in der BHV-Umfrage Hamburg (24 Prozent) hinter den Port of Antwerp-Bruges (60 Prozent) als zweitstärksten Wettbewerber der bremischen Häfen. Nur 13
Prozent der Unternehmen nennen den Hafen Rotterdam an erster Stelle bei
den Wettbewerbern. Brake, Nordenham oder Mittelmeerhäfen
spielen so gut wie keine beziehungsweise gar keine Rolle.
Um als Hafen nicht den Anschluss zu verlieren, sprechen sich über 80 Prozent der Umfrageteilnehmer für eine schleunige Umsetzung der nationalen Hafenstrategie aus. Die nationale Hafenstrategie ist aus Sicht der BHV ein politisches Instrument, das von der Bundesregierung zu entwickeln wäre, um die Entwicklung und Effizienz vor allem der deutschen Nordseehäfen im Wettbewerb zu den Rheinmündungshäfen zu fördern und die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile zu maximieren. Eine solche nationale Hafenstrategie könne beispielsweise darauf abzielen, Investitionen in die Infrastruktur der Häfen zu fördern, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Als mittelfristiges Ziel einer Hafenstrategie sieht die BHV eine weitgehende Kooperation der deutschen Nordseehäfen.
Am besten auf der Skala von eins bis fünf schneiden die Faktoren „Bandbreite“
und „Qualität der logistischen Dienstleistungen“ mit einem Durchschnittswert
von 3,8 und 3,7 ab. Am unteren Ende der Bewertung liegen
die Luftfrachtanbindung (2,4) und die Zusammenarbeit mit den Behörden
(2,5).