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Stolberg-Prozess „Schauen Sie ihn sich doch an“

Ein großer Teil der Anklage gegen Niels Stolberg fußt auf den Aussagen und Hinweisen eines der drei anderen Angeklagten. Wenn es nach der Anklage geht, soll Stolberg bis zu fünf Jahre Haftstrafe erhalten.
31.05.2017, 20:25 Uhr
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„Schauen Sie ihn sich doch an“
Von Jürgen Hinrichs

Ein großer Teil der Anklage gegen Niels Stolberg fußt auf den Aussagen und Hinweisen eines der drei anderen Angeklagten. Wenn es nach der Anklage geht, soll Stolberg bis zu fünf Jahre Haftstrafe erhalten.

Niels Stolberg hat den Blick gesenkt, keine Regung in seinem Gesicht, er wirkt apathisch und schaut auch dann nicht auf, als die Staatsanwältin den Stab über ihn bricht. Bis zu fünf Jahre Gefängnis, das soll die Strafe sein, wenn es nach der Anklage geht.

Die Strafe für insgesamt 35 Vorwürfe, die dem Ex-Reeder gemacht werden, darunter Betrug, Untreue, Kreditbetrug und Bilanzfälschung. Stolberg scheint das nicht mehr zu interessieren, er bleibt teilnahmslos, ist gegenüber früher kaum wieder­zuerkennen. Kein Kämpfer mehr, der auf der Anklagebank sitzt. Eher ein Geschlagener.

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Der 56-Jährige ist schwer an Krebs erkrankt, er musste mehrmals operiert werden. Fraglich, ob er überhaupt noch verhandlungsfähig ist. Seine Ärzte hatten ihn bis Ende Juni krankgeschrieben. Der Prozess gegen den Hauptangeklagten wäre in dem Fall zu Ende gewesen und hätte irgendwann, wenn überhaupt, völlig neu aufgerollt werden müssen.

Er läuft nur deshalb noch weiter, weil ein Amtsarzt zu dem Schluss gekommen ist, dass Stolberg das Verfahren zuzumuten ist, allerdings unter starken Einschränkungen. Die Forderung von Staatsanwältin Silke Noltensmeier entspringt noch keinem Plädoyer, das gibt es erst später.

Ungewöhnlicher Schritt zur Beschleunigung

Das Gericht hatte alle Prozessbeteiligten darum gebeten, nach fast anderthalb Jahren Verfahrensdauer und Würdigung aller Beweise eine Einschätzung darüber abzugeben, in welchem Maße die Angeklagten, neben Stolberg sind das drei weitere Verantwortliche der früheren Beluga-Reederei, bestraft werden sollten. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, wohl um das Verfahren zu beschleunigen.

Die Kammer will die Vorträge der Anklage und der Rechtsanwälte in eine sogenannte Zwischenberatung einfließen lassen, um in wenigen Wochen schließlich selbst zu erklären, wie hoch die Strafen ausfallen könnten. Erst danach werden die eigentlichen Plädoyers abgehalten und die Urteile gesprochen.

Größenwahn, Ehrgeiz, Geltungsdrang – das, sagt Noltensmeier in ihrer Erklärung, habe Stolberg angetrieben. „Er wollte in seinem Geschäft den Weltmarkt anführen.“ Getrickst und getäuscht habe er dafür schon früh, ab dem Jahr 2006.

Gefälschte Bilanzen, fingierte Aufträge

„Ohne Not“, so die Staatsanwältin, „damals gab es in der ­Schifffahrt noch keine Krise.“ Eines der Manöver sei gewesen, mit Eigenkapital zu operieren, das gar nicht vorhanden war. Den Banken sollten so weitere Kredite entlockt werden. Später, als die Not tatsächlich groß war, habe er mit gefälschten Bilanzen gearbeitet, mit fingierten Aufträgen vor allem, um einen Investor zu ködern, der das dringend benötigte Geld mitbringt.

Oaktree kam, ein US-amerikanischer Hedgefonds, und war im pompösen Firmengebäude auf dem ­Bremer Teerhof schnell Herr im Haus. Stolberg musste im Frühjahr 2011 das Unternehmen verlassen, die Amerikaner waren ihm auf die Schliche gekommen, er wurde ange­zeigt.

Das ist sechs Jahre her, eine lange Zeit, in der die Staatsanwaltschaft bis zur Eröffnung des Verfahrens im Januar 2016 mit riesigem Aufwand ermittelt hat. Die Anklageschrift umfasst mehr als 800 Seiten. Ein großer Teil davon fußt auf den Aussagen und Hinweisen eines der drei Angeklagten neben Stolberg.

Bewährungsstrafe für anderen Angeklagten

„Ihn haben wir sehr gebraucht“, hebt Noltensmeier hervor, „er hat uns durch das Unternehmen geführt und die Unterlagen erklärt.“ 100 Stunden habe die Staatsanwaltschaft mit seinem Mandanten zusammengesessen und darüber gebrütet, wie bei Beluga die Abläufe waren, rechnet der Anwalt des Mannes vor.

Dieser Angeklagte soll nach Vorstellung der Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe bekommen. Gegen ihn wird in der gleichen Sache nun allerdings auch zivilrechtlich vorgegangen, gut möglich, dass er zu Millionenzahlungen verpflichtet wird.

Geld, das er nicht hat. Überhaupt sind ungeheure Summen im Spiel. Allein gegen Stolberg werden im Rahmen seiner Privatinsolvenz Forderungen in Höhe von insgesamt 2,2 Milliarden Euro erhoben. So trägt es die Staatsanwältin vor. „Sie waren der Kapitän auf dem Schiff Beluga“, wendet sich Noltensmeier an den Hauptangeklagten.

"Sie zeichnen ein Zerrbild von unserem Angeklagten"

Seine Mitarbeiter habe der charismatische Stolberg mit Zuckerbrot und Peitsche behandelt und dafür gesorgt, dass sie ihre Bedenken gegen die Straftaten über Bord werfen. „Die Leute wollten Ihnen gefallen.“ Kopfschütteln bei den Anwälten von Stolberg und eine geharnischte Replik, als sie mit ihrem Vortrag dran sind.

„Sie zeichnen ein Zerrbild von unserem Mandanten“, schimpft Bernd Groß von der Kanzlei ­Feigen Graf aus Frankfurt. Stolberg habe Fehler gemacht, ja, zugegeben, aber warum? „Er wollte sich nicht bereichern, sondern sein Unternehmen retten.“

Der Anwalt gestikuliert und schlägt seine Hände aufs Pult. Er ist empört. „Oaktree und die Banken, so doof sind die nicht.“ Und arme Opfer seien sie schon gar nicht. „Oaktree hatte einen Plan B und die Banken haben dankbar die Augen zugedrückt, weil sie hinter dem Geschäft her waren.“

Alles verloren

Vom ersten Tag an habe sich Stolberg zu seinen Fehlern bekannt. „Fehler, die Straftaten sind“, so Groß. Ohne Zweifel seien zum Beispiel die Bilanzen gefälscht worden. „Es ging dabei aber immer nur um Beluga und nicht darum, dass Herr Stolberg sich persönlich bereichern wollte.

Sein Mandant habe alles verloren, sein Lebenswerk sei kaputt, seine Reputation auch, seit Jahren müsse er sich dem Verfahren stellen und leide nun auch noch an einer schlimmen Krankheit. „Herr Stolberg ist bestraft genug, schauen Sie ihn sich doch nur mal an.“ Eine Bewährungsstrafe sei für ihn die einzig richtige und angemessene Strafe.

Der nächste Termin im Beluga-Prozess vor dem Bremer Landgericht ist der 21. Juni, 9.30 Uhr.

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