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Sharing Economy Von der Ökonomie des Teilens: Warum ein Bremer einen Leihklub aufbaut

Alles nutzen, aber wenig besitzen? Der Bremer Fabian Oestreicher will einen Leihklub aufbauen, um Dinge besser zu nutzen. Warum er von der Idee des Teilens überzeugt ist.
25.12.2021, 16:44 Uhr
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Von der Ökonomie des Teilens: Warum ein Bremer einen Leihklub aufbaut
Von Lisa Schröder

Jedes Jahr stapeln sich an Heiligabend unter geschmückten Tannenbäumen die Pakete. Legosteine, Kameras und Parfums warten darauf, endlich ausgepackt zu werden. Vielleicht steckt in einem der Kartons sogar die neue Playstation? Weihnachten ist die Zeit der Geschenke, Weihnachten ist die Zeit des Konsums. Doch ist es überhaupt sinnvoll, so viel selbst zu besitzen? Welche Dinge werden nach dem Fest selten bis nie genutzt?

Es geht auch anders. In vielen Lebensbereichen setzen Menschen auf die Ökonomie des Teilens – auf Sharing Economy. Autos, Waschmaschinen, Wohnungen, Fahrräder, Büros, Bücher: Für all diese Dinge gibt es Angebote auf Zeit.

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Der Bremer Fabian Oestreicher wünscht sich, dass die Reihe der Dinge noch ein Stück weiter wächst, auch um Beamer, Nudelmaschinen oder Luftmessgeräte. "Teilen ergibt auf sozialer und ökologischer Ebene einfach Sinn", sagt er. Im Moment arbeitet er darum daran, den "Leihklub Bremen" zu initiieren. Ganz wichtig ist ihm dabei der Gemeinschaftsgedanke: Die Bremerinnen und Bremer sollen das Angebot zusammen auf die Beine stellen.

Eigentum um jeden Preis? "Wir müssen uns überlegen, ob es da nicht Alternativen gibt", findet Oestreicher und erinnert an den alten Werbespot der Sparkasse. Zwei Männer treffen im Restaurant aufeinander. "Mensch! Ewig nicht gesehen!", heißt es da. Und dann folgt die berühmte Kette: "Mein Haus, mein Auto, mein Boot." Im Moment, sieht es Oestreicher, sei das immer noch das erstrebenswerte Modell. Haben. Der Spot ist aus dem Jahr 1995.

Den 32-Jährigen begeistert dagegen das Bild einer Bibliothek, in der nicht Bücher, sondern lauter Dinge Menschen zur Verfügung stehen – eben zum Teilen und nicht zum Haben. In Bremen gebe es noch kein solches Leihangebot. Darauf habe er jahrelang gewartet. Jetzt will Oestreicher die Sache selbst in die Hand nehmen.

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Eine Homepage für den Leihklub mit dem Slogan "Dinge besser nutzen" gibt es schon. Über eine 100-Tage-Challenge will Oestreicher dort herausfinden, ob genug Menschen in der Stadt theoretisch bereit sind, Gegenstände als Dauerleihgabe oder Spende zur Verfügung zu stellen. Bolzenschneider, Discokugel, Waffeleisen, Zelt: Eine Liste schlägt vor, um was es gehen könnte. Die Dinge sollen schließlich, so die Idee, gegen eine Gebühr ausgeliehen werden können.

Um die Nutzer zu sensibilisieren, die Gegenstände später bei der Ausleihe achtsam zu verwenden, soll ein wenig die Geschichte der Dinge erzählt werden. "Dann ist es nicht einfach nur irgendein Wok, sondern Lisas Wok", erklärt Oestreicher den Ansatz. Für Reparaturen soll es zudem einen Finanztopf geben. Vielleicht könnten auch Bastler sich beim Projekt einbringen. Das Unternehmen soll sich am Ende über die Einnahmen selbst tragen können.

Ganz im Sinne des Konzepts soll auch die Macht im Klub geteilt werden: Oestreicher möchte die Mitglieder mitgestalten lassen. An seinem Arbeitsplatz hat er bereits mit neuen Formen des Wirtschaftens zu tun. Oestreicher ist bei der Hilfswerft beschäftigt, die sich für soziales Unternehmertum einsetzt. Verhaltensänderungen, neue Organisationsmodelle und Beteiligung spielen dort eine Rolle.

Der Klimaschutz ist eine Motivation für den Bremer, den Leihklub in der Stadt aufzubauen. "Ressourcen müssen einfach eingespart werden", sagt Oestreicher und verweist auf den ökologischen Fußabdruck des Konsums. Zugleich umgäben die Menschen viele Dinge, die sie gar nicht oder nur ganz selten nutzten, die Platz raubten. "Und wenn wir ehrlich sind: Die Dinge sind ja auch nur dadurch relativ günstig zu kaufen, weil die ökologischen Nachfolgekosten nicht enthalten sind." Das könne sich aber ändern. Teilen könne dann auch wegen des Preises noch interessanter werden.

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Daneben ist ihm beim Vorhaben der soziale Faktor wichtig. "Ich finde, das ist einfach eine schöne Sache, darüber mit Menschen in Kontakt zu kommen, die gleiche Interessen haben", sagt Oestreicher. Der Leihklub könne Menschen zusammenbringen, ob über die Leidenschaft fürs Kochen, Gärtnern oder für die Kunst: "Es soll nicht nur um die Dinge gehen, sondern auch darum, was damit gemacht wird."

Im Moment ist noch viel im Fluss. Der Bremer sammelt auf der Homepage Leihklub.de weitere Resonanz zu seiner Idee. Einige Kontakte gibt es schon zu potenziellen Mitstreitern. Vielleicht seien Kooperationen mit der Stadtbibliothek denkbar oder mit Lastenradanbietern zum Transport der Woks, Beamer und Zelte.

Oestreicher ist überzeugt, dass die Sharing Economy sich stärker durchsetzen wird. Es müsse aber auch genau hingeschaut werden, welche Auswirkungen Angebote haben. Der Leihklub-Initiator denkt zum Beispiel daran, dass wegen der Übernachtungsplattform Airbnb Wohnraum in Städten knapp wurde. Solche Auswüchse seien natürlich ein Problem.

Haus, Auto, Boot – Fabian Oestreicher hofft auf neue Statussymbole in der Zukunft. Statt der Fotos im Portemonnaie von Villen und Schiffen könne doch zum Beispiel die Mitgliedskarte im Leihklub Bremen ein Statussymbol werden. Nutzen statt Haben.

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Vom Auto bis zum Anzug

Der Grundgedanke der Sharing Economy ist das Teilen, Tauschen und Leihen von Gegenständen – zum Beispiel über Plattformen. Das Prinzip ist nicht neu. Bibliotheken, der Skiverleih oder Waschsalon beruhen ebenfalls auf der gemeinsamen Nutzung von Gegenständen. Im Zuge der Digitalisierung ergeben sich allerdings neue Formen des Teilens und damit neue Geschäftsmodelle. Darunter fällt zum Beispiel das Carsharing, wie es unter anderem das Bremer Unternehmen Cambio betreibt.

An verschiedenen Standorten in Deutschland gibt es heute auch Leihläden: In Lüneburg gibt es eine „Bibliothek der Dinge“. Dort können E-Book-Reader, Spielkonsolen, eine Virtual-Reality-Brille oder Wildkamera ausgeliehen werden. In Köln und Freiburg setzt das Unternehmen Kleiderei aufs Teilen von Kleidung. "Stil hast du, Kleider leihst du" wirbt der Laden für die Idee.

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