Fünf Tage die Woche ins Büro oder ins Werk – für mehr als die Hälfte der Mitarbeiter bei Siemens könnte das bald der Vergangenheit angehören. Der Konzern will nach den positiven Erfahrungen mit mobilem Arbeiten in der Corona-Pandemie auch in Zukunft stark darauf setzen und schlägt dafür konkrete Pflöcke ein. Ein aktueller Vorstandsbeschluss soll es im Konzern zum weltweiten Standard machen, dass rund 140 000 Mitarbeiter künftig an zwei bis drei Tagen pro Woche mobil arbeiten können, davon gut 45 000 in Deutschland.
Die zusätzliche Freiheit – Siemens nennt sie „New Normal Working Model“ – ist eine Folge der Corona-Pandemie: „Wir haben gesehen, wie produktiv und effektiv das mobile Arbeiten sein kann. Da haben sich einige Vorurteile in Luft aufgelöst“, sagt Jochen Wallisch, ein führender Manager im globalen Personalbereich von Siemens.
Einen harten Anspruch auf das Homeoffice gibt es laut Siemens allerdings nicht. Sowohl der Mitarbeiter als auch sein Vorgesetzter müssen zustimmen. Das Management will den Kulturwandel aber unterstützen. So betont der designierte Siemens-Chef Roland Busch, die Basis des Modells sei „eine Weiterentwicklung unserer Unternehmenskultur. Damit verbunden ist auch ein anderer Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro.“ Man vertraue den Mitarbeitern.
Für die 530 Mitarbeiter in der Siemens-Niederlassung in Bremen ist die Regelung zur mobilen Arbeit nichts Neues, erklärt Siemens-Sprecher Lars Kläschen. „Bereits vor der Corona-Krise hat der Großteil unserer Mitarbeiter am Standort Bremen flexibel gearbeitet“, sagt der Sprecher. In Bremen sei keine Fertigung angesiedelt, sondern überwiegend der Vertrieb und der Service. „Da, wo das mobile Arbeiten bisher noch nicht etabliert war, ist es jetzt ein Aufruf zu mehr Flexibilität“, betont Kläschen.
„Wir gehen davon aus, dass das Angebot auf breite Akzeptanz und Nutzung treffen wird“, sagt Jochen Wallisch. Insgesamt hat der neue Siemens-Konzern – ohne das abgespaltene Siemens Energy gerechnet – rund 240 000 Mitarbeiter. Doch die Arbeitsplätze müssten geeignet sein, erklärt Wallisch die Differenz. „In der Produktion sind viele Tätigkeiten ortsgebunden, daher ist das neue Arbeitsmodell hier nicht ohne Einschränkung anwendbar.“
Bei der Umsetzung hat allerdings auch noch die Arbeitnehmerseite mitzureden, wie sie betont. „Wir stehen dem Konzept grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber“, heißt es von dort. „Aber es gibt viele Aspekte, über die wir noch intensiv sprechen müssen. Wir haben beispielsweise jahrelang über ergonomische Arbeitsplätze gesprochen, da kann es nicht sein, dass man künftig auf dem Küchentisch an einem kleinen Laptop arbeitet.“ Außerdem habe ein solches Modell auch massive Auswirkungen auf die Mitbestimmung, wenn die Beschäftigten nicht mehr vor Ort im Betrieb seien, heißt es. „Das macht es auch schwierig, zu kontrollieren, wie der Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern umgeht.“
Auch in Bremen müsse mit den Arbeitnehmervertretungen vor Ort über die Regelungen des mobilen Arbeitens gesprochen werden, sagt Peter Anders von der IG Metall Bremen. „Es ist dabei wichtig zu betonen: Mobiles Arbeiten bedeutet nicht dasselbe wie Homeoffice“, so Anders. Im Homeoffice gebe es einen festen Arbeitsplatz zu Hause. Die technischen und ergonomischen Mittel müssen somit vom Arbeitgeber finanziert werden. Beim mobilen Arbeiten sei das hingegen nicht genau geregelt. „Das müssen wir mit Siemens klären. Noch gibt es da viele offene Fragen, wie das mobile Arbeiten genau umgesetzt werden soll und was sie genau damit meinen.“
Siemens verspricht sich von der neuen Arbeitskultur motiviertere Mitarbeiter und zusätzliche Attraktivität im Kampf um Talente. Viele Beschäftigte schätzten das höhere Maß an Selbstbestimmung. Zudem könne man im neuen Modell „effektiver und produktiver“ arbeiten, „weil man beispielsweise nicht pendeln muss und sich die eine oder andere Dienstreise erspart“, sagt Manager Wallisch. Auch eine Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation kam jüngst zum Ergebnis, dass die große Mehrheit der Unternehmen gute Erfahrungen mit dem Homeoffice in der Corona-Zeit gemacht habe. Und in einer Umfrage des Ifo-Instituts sagten 54 Prozent der Betriebe, dass sie eine dauerhafte Zunahme des Homeoffice erwarten. Eine komplette Verlagerung vom Büro nach Hause sieht man beim Ifo allerdings nur in seltenen Fällen.