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Spritpreise auf Rekordniveau Fahrgemeinschaften gesucht: Willst du mit mir pendeln?

Die Spritpreise sind auf Rekordniveau. Pendler aus der Region suchen deshalb jetzt Fahrgemeinschaften. Wo sich Angebote finden lassen und wo Experten noch Nachholbedarf sehen.
09.03.2022, 18:26 Uhr
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Fahrgemeinschaften gesucht: Willst du mit mir pendeln?
Von Lisa Schröder

Es sind jeden Tag mehr als 120 Kilometer – zum Arbeitsplatz hin und wieder zurück. Roland Druss nimmt den Weg seit zwei Jahren auf sich. Nur der Durst seines Volvos kommt ihm immer teurer zu stehen. 2020 habe er noch günstig Diesel tanken können: für 98 Cent. "Die Spritpreise haben sich fast verdoppelt. Das ist immens", sagt der Pendler aus Kirchweyhe. Jetzt seien die Fahrtkosten für ihn im Monat auf rund 450 Euro gestiegen.

Der Niedersachse will nicht mehr allein unterwegs sein, sondern sich die Kosten künftig teilen. Auf dem Schwarzen Brett von Bremen.de hat Druss eine Anzeige geschaltet: "Biete Mitfahrgelegenheit Richtung Zeven". Der ÖPNV sei für ihn keine Alternative. "Es ist leider nicht möglich, auf Bus oder Bahn zu wechseln."

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Für Emma Lüße ist der Druck noch ein bisschen größer. Aus Osterholz-Scharmbeck fährt die Pendlerin zur Arbeit in die Bremer Überseestadt. Lüße ist Auszubildende im ersten Lehrjahr. Der Sprit sei teuer, das Auto müsse teils noch abbezahlt werden: "Da ist mein Gehalt komplett weg." Am Dienstagabend habe sie für 2,22 Euro Diesel tanken müssen. "Das ist schon krass", sagt Lüße zur Entwicklung.

Das Schwarze Brett Bremens im Netz führt die Rubrik Mitfahrgelegenheiten. "Die Spritpreise explodieren, und ich kann es mir nicht leisten, jeden Tag alleine den Weg zur Arbeit und zurückzufahren", schreibt die angehende Schilder- und Lichtreklameherstellerin Lüße dort zu ihrer Suche nach Mitfahrern. Die Fahrt mit Bus und Bahn in die Überseestadt dauere deutlich länger. "Dann hätte ich keine zwei Stunden Freizeit am Tag."

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Wie viele trifft es?

Die Spritpreise spüren Berufspendler wie Druss und Lüße besonders. Ihre Zahl ist nicht klein: 2020 fuhren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes fast 70 Prozent der Erwerbstätigen mit dem Auto zur Arbeit. Aus Niedersachsen pendeln besonders viele Menschen nach Bremen zur Arbeit: Fast 120.000 Beschäftigte waren es laut Bundesarbeitsagentur im vergangenen Juni.

Einer Beschäftigungsbefragung der Arbeitnehmerkammer Bremen zufolge nutzte im Jahr 2019 nur ein Prozent der Einpendler nach Bremen eine private Fahrgemeinschaft. In Bremerhaven waren es drei Prozent. In beiden Städten setzten die Pendler zum Großteil auf Privatauto oder Firmenwagen: Zum Arbeitsort Bremen fuhren damit 72 Prozent, in die Seestadt 86 Prozent.

Warum fahren viele Menschen allein?

Uta Bauer ist am Deutschen Institut für Urbanistik für den Bereich Stadt- und Regionalverkehr verantwortlich. Warum viele allein im Auto sitzen? Aus ihrer Sicht geht es oft um Bequemlichkeit. Viele Arbeitnehmer seien an größtmöglicher Individualität interessiert, wollten sich etwa nicht fest verabreden oder einfach während der Fahrt ihre Ruhe haben. "Es gibt viele Hindernisse zu überwinden", sagt Bauer zum Konzept Fahrgemeinschaft. Die Preise könnten jetzt aber eine Motivation sein: "Ich denke, wenn es im Portemonnaie eng wird, ist das auf jeden Fall ein Treiber."

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Wo hapert es noch?

Der Mobilitätsexperte Florian Heinitz sieht im Bündeln von Fahrten mit dem Pkw noch viel ungenutztes Potenzial mit Blick aufs Klima, die Verkehrsentlastung und das Einsparen von Zeit und Geld – gerade bei den regelmäßigen Touren. Auf der Angebotsseite gibt es dem Professor für Transportwirtschaft der Fachhochschule Erfurt zufolge aber noch Nachholbedarf. Die Technologie fürs schnelle und kluge Kombinieren von Fahrtangeboten und Fahrtenwünschen sei zwar da, regional gebe es aber große Unterschiede. "Es fehlt eine übergreifende Plattform. Der Markt ist durch Barrieren sehr zerklüftet", sagt Heinitz. Im Ausland seien Plattformen für kommerzielle Fahrdienste per App selbstverständlich und institutionalisiert. In Deutschland seien diese Angebote jedoch sehr stark reguliert. "Dabei bieten auch sie die Option für das sogenannte Ride-Pooling auf Knopfdruck."

Auch Bauer findet, dass kein Angebot für Berufspendler bisher den richtigen Durchbruch geschafft hat. "Die Angebote sind nie zum Fliegen gekommen", so die Expertin. Dabei seien Fahrgemeinschaften zu begrüßen und müssten gefördert werden. Sie hält Lösungen auf Basis einer App ebenfalls für den vielversprechendsten Ansatz. Mitfahrer könnten darüber zum Beispiel direkt die Fahrt bezahlen.

Wo gibt es heute Angebote?

In einigen Unternehmen gibt es Mitfahrbörsen oder Schwarze Bretter. Letzteres finden sich etwa in den Produktionshallen von Mercedes und im Intranet des Autoherstellers. Auf diversen Vermittlungsplattformen sind im Internet zudem Mitfahrten zu finden, oft aber Angebote für längere Einzeltouren. „Twogo“ richtete sich derweil gezielt an Berufspendler. Auf die ist auch das Pendlerportal.de spezialisiert. Es gibt dabei unter Einbeziehung des ÖPNV Suchen für Bremen, Bremerhaven, Oldenburg sowie die umliegenden Landkreise.

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Und was, wenn keiner mitfährt?

Emma Lüße hofft, dass sie Mitfahrer findet. "Schlimmstenfalls müsste ich mir sonst eine neue Ausbildungsstätte suchen", sagt die 20-Jährige. Ähnliche Gedanken treiben Roland Druss um, der im Raum Bremen und Weyhe Begleitung sucht. Seine Arbeit als Pädagoge beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft macht ihm Spaß. Angesichts der hohen Kosten aber erwägt der 48-Jährige, dass er sich eine Stelle in Bremen sucht, wenn es mit der Fahrgemeinschaft nicht klappt: "Das ist eine wirtschaftliche Rechnung." Schon vor einer Weile habe er sich wegen der Spritkosten Gedanken gemacht, sagt Druss: "Jetzt brennt die Hütte erst Recht. Wir werden uns wohl längerfristig auf das Niveau einstellen müssen."

Wie könnte Unterstützung aussehen?

Florian Heinitz zufolge ist bisher nur ansatzweise erfasst, wie viele Fahrgemeinschaften es in Deutschland gibt. Der Experte hält es für sinnvoll, dass mehr unternommen wird, um Menschen zum Fahrten- und Autoteilen zu bringen sowie Fahrdienstvermittler mit ins Verkehrssystem einzubinden. "Meine These ist, dass man durch wirtschaftliche Anreize für mögliche Anbieter, gerade auf dem flachen Land, viel mehr machen könnte." Bei jeder Transaktion könne abgeglichen werden, ob es eine akzeptable Alternative im ÖPNV gibt. So könne man verhindern, dass es zu einer Doppelförderung komme. Die Politik könnte aus seiner Sicht auch infrastrukturell mehr unterstützen – zum Beispiel in Form von mehr Plätzen fürs Parken und Mitfahren.

In Zukunft soll es auch für die Bremer Belegschaft von Mercedes attraktiver werden, Fahrgemeinschaften zu bilden. "Wir arbeiten gerade an Ideen", sagt Betriebsrat Alexander Stavenhagen, der in einer Arbeitsgruppe für nachhaltige Mobilität mitwirkt. Einige Fahrgemeinschaften gebe es hier schon lange Zeit. So manche von ihnen habe sich sogar ein gemeinsames Fahrzeug fürs Pendeln gekauft.

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