Sie sind Zwillinge und begeben sich gemeinsam auf eine Mission, die sie weit hinter den Mond bringen wird - allerdings wird ihr dem Menschen nachempfundener Körper unterschiedliche Messwerte bei der Rückkehr aufzeigen: Denn Helga fliegt ungeschützt, Zohar trägt eine neue Strahlenschutzweste, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt wurde. Beteiligt war daran unter anderem der Bremer DLR-Standort. Helga und Zohar sind Teil der Mission Artemis I der US-Weltraumbehörde Nasa. Die Messpuppen sitzen im Cockpit der Orion-Kapsel, die ebenfalls mit Bremer Beteiligung entwickelt wurde: Das Antriebs- und Versorgungsmodul des Raumschiffs wurde von Airbus Defence and Space als Hauptauftragnehmer eines Industriekonsortiums aus zehn europäischen Ländern gefertigt.
Mission bis weit hinter den Mond
Wann genau die Zwillinge vom Kennedy Space Center in Florida in den USA starten und 70.000 Kilometer über den Mond hinaus fliegen werden - eine bislang nie erreichte Distanz eines Raumschiffs -, steht derzeit nicht genau fest: Nach fehlgeschlagenen Betankungstests an der Trägerrakete SLS Anfang April hatte die Nasa den für Juni geplanten unbemannten Erstflug verschoben. Der Start von Artemis I ist nun für den Sommer geplant.
Helga und Zohar sollen hinsichtlich der Strahlenbelastung und des -schutzes quasi den Weg für spätere bemannte Missionen ebnen: Bei der bemannten Artemis-2-Mission sollen Menschen 2023 um den Mond fliegen. Die Rückkehr von Astronauten auf die Mondoberfläche ist bislang für 2024 geplant, wobei das gesamte Programm schon mehrfach verschoben wurde. So waren der erste Flug ursprünglich für 2017 und der erste bemannte Flug für 2021 vorgesehen.
Strahlung ist laut DLR eine der größten Herausforderungen für längere astronautische Missionen ins tiefere Weltall, wo es kein schützendes Erdmagnetfeld gibt. Das vom DLR geleitete Mare-Experiment untersucht mit zwei baugleichen Phantomen die Strahlenbelastung während des gesamten bis zu sechswöchigen Fluges, speziell zugeschnitten auf den weiblichen Körper. Denn die Nasa plant, mit den Artemis-Flügen die erste Frau zum Mond zu schicken. Der weibliche Körper reagiere darauf wegen strahlungsempfindlicher Organe wie der weiblichen Brust noch empfindlicher als der männliche Körper, so das DLR. Die „Messpuppen-Zwillinge“ wurden deshalb weiblichen Körpern nachempfunden. "Frauen haben ein allgemein höheres Krebsrisiko und darum gelten für Astronautinnen stets andere Strahlungsgrenzwerte als für ihre männlichen Kollegen."
Tests am Bremer DLR-Standort
„Mit Mare, dem größten je außerhalb der Erdumlaufbahn geflogenen Strahlungsexperiment, wollen wir herausfinden, wie genau sich die Strahlungswerte während eines vollständigen Mondfluges für Astronautinnen verhalten und welche Strahlenschutzmaßnahmen dagegen hilfreich sein können“, sagt Thomas Berger, Leiter der Arbeitsgruppe Biophysik in der Abteilung Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. „In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir Helga und Zohar an den DLR-Standorten in Köln und Bremen vollständig durchgecheckt unter anderem mit Tests zu Auswirkungen der Vibrationen beim Start der Mission Artemis I."
Geschlechtsspezifische Messungen mit Phantomen im All gab es bislang nicht. „Genauer sind beide Puppen aus Materialien hergestellt, die die menschlichen Knochen, Weichteile und Organe einer erwachsenen Frau nachahmen", so Berger. Mehr als 10.000 passive Sensoren und 34 aktive Strahlungsdetektoren sind laut DLR in die 38 Scheiben integriert, aus denen die Puppen zusammengesetzt sind. Beide Phantome sind 95 Zentimeter groß und 36 Kilogramm schwer. Da nur Zohar eine Strahlenschutzweste trage, lasse sich im Vergleich der beiden Datensätze dann ermitteln, in welchem Ausmaß die von israelischen Partnern entwickelte Weste eine Astronautin vor schädlicher Strahlenbelastung schützen würde.
700-mal höhere Strahlenbelastung
Helga und Zohar sind sogenannte anthropomorphe Phantome, dem menschlichen Torso nachempfundene Messkörper. Mit ihnen hat das DLR bereits viel Erfahrung: Zuletzt war ein Phantom, genannt Matroshka, des Kölner DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin zwischen 2004 und 2011 auf der ISS im Einsatz. Außen auf der ISS angebracht, sammelte das Phantom Strahlungswerte eines Astronauten, der einen Weltraumspaziergang absolviert. Außerdem hielt sich das Phantom in verschiedenen Teilen der Raumstation auf, um die Strahlenbelastung zu messen. „Die Astronautinnen und Astronauten auf der Station sind einer Strahlenbelastung ausgesetzt, die etwa 250-mal höher ist als die der Menschen auf der Erde", so Berger. In größerer Entfernung vom Erdmagnetfeld und im interplanetaren Raum könnte die Strahlenbelastung bei Erkundungsmissionen noch viel höher sein – schätzungsweise bis zu 700-mal höher.