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Metall-Tarifrunde „Tarifflucht ist auch Demokratieflucht“

Am Donnerstag findet in Bremen die dritte Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie statt. IG-Metall-Verhandlungsführer Meinhard Geiken sagt, warum er dort nicht mit einer Einigung rechnet.
12.01.2018, 20:00 Uhr
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„Tarifflucht ist auch Demokratieflucht“
Von Florian Schwiegershausen

Herr Geiken, Nordmetall-Präsident Thomas Lambusch sagt, bei der Lohnerhöhung werde man sich schon einig.

Meinhard Geiken: Ich sehe das noch nicht so. Die Arbeitgeber haben in der zweiten Verhandlungsrunde ein Angebot von zwei Prozent gemacht mit einer Einmalzahlung von 200 Euro, verknüpft damit, dass die Quote gekippt werden soll, dass nur 13 Prozent der Belegschaft 40 Stunden arbeiten dürfen. Gleichzeitig sollen wir gemeinsam mit den Arbeitgebern an die neue Bundesregierung herantreten. Da sollen wir dafür werben, dass der Acht-Stunden-Tag gekippt wird und die Ruhezeit von elf Stunden verringert werden soll. Darüber lässt sich mit uns aber nicht diskutieren.

Was Ihre Forderung nach einer vorübergehenden 28-Stunden-Woche angeht: Südwestmetall-Präsident Wolf hat am Donnerstag bei der dritten Verhandlungsrunde gesagt, man könne darüber reden, wenn man dies damit koppelt, dass auch zeitweise vorübergehend eine 42-Stunden-Woche möglich sei. Was sagen Sie dazu?

Da scheint sich zumindest im Kopf etwas zu tun. Ich kann allerdings die Diskussion nach längeren Arbeitszeiten nicht nachvollziehen. Die Kolleginnen und Kollegen machen in vielen Bereichen Überstunden und Sonderschichten ohne Ende. Wir haben kein Problem, dass länger gearbeitet wird. Wir haben das Problem, dass sie hier keine Zeitsouveränität haben, um zu sagen: „Ich möchte jetzt kürzer arbeiten.“ Zuerst müssen wir darüber diskutieren.

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Zur 28-Stunden-Woche: Wäre das nicht etwas, womit sich eine mögliche große Koalition grundsätzlich beschäftigen sollte?

Das zeichnet ja die IG Metall und unsere Tarifpolitik aus: Wir greifen hier Themen auf, die grundsätzlich gesellschaftspolitisch wichtig sind. Da können wir „Leuchttürme“ setzen. Wir sollten hier nicht auf die Politik warten. Es ist gut, dass wir als IG Metall die Stärke haben, diese Themen eigenständig voranzutreiben und mit den Sozialpartnern versuchen, dort Tarifverträge hinzukriegen. Die können dann Grundlage für andere sein. Denn gerade die Frage der Arbeitszeitgestaltung und Arbeitszeitsouveränität wird ein Thema der Zukunft sein.

Im letzten Wahlkampf hat das Thema Industrie 4.0 kaum stattgefunden. Eine vertane Chance der Parteien, Akzente zu setzen?

Ich kann Parteien nicht ihren Wahlkampf vorschreiben. Aber Arbeitszeitgestaltung wird die Frage der Zukunft sein. Denn die Vernetzung der Maschinen wird sich verstärken. Um die Arbeit dann zu organisieren, werden die Arbeitgeber Macht über die Zeit an die Belegschaft abgeben müssen. Die wiederum wird die Arbeitsgestaltung stärker selbst organisieren müssen. Mit dem neuen Tarifvertrag wollen wir entsprechend die Branche fit machen für die Zukunft. Und mit modernen Arbeitszeiten kann man auch Leute ansprechen, die für die Branche bisher schwer zu erreichen sind – vor allem Frauen. Einzelne Unternehmen werben ja schon mit flexiblen Arbeitszeiten für die Beschäftigten, wie auch Nordmetall-Verhandlungsführer Lambusch im eigenen Betrieb. So etwas wollen wir verbindlich im Tarifvertrag für alle regeln.

Herr Lambusch muss für alle Nordmetall-Mitglieder verhandeln, und zwar so, dass kein Mitglied den Verband verlässt und damit auch die Tariftreue.

Unsere Tarifverträge öffnen nicht die Tür zur Tarifflucht. Wenn Arbeitgeber glauben, dass sie aus dem Tarifvertrag raus müssen, weil das Verhandlungsergebnis ihnen zu viel ist, dann ist das ihre Entscheidung. Aber damit sind sie die IG Metall nicht los. Wir sind gut organisiert und würden am nächsten Tag auf der Matte stehen. Wir schaffen mit dem Tarifvertrag ja auch für Arbeitgeber positive Rahmenbedingungen. Man weiß, was im Betrieb umgesetzt wird, und gute Arbeit wird entsprechend belohnt. Eine Diskussion über Tarifflucht ist auch eine Diskussion über Demokratieflucht. Tarifverträge sind ein Standbein dieser Demokratie und dieser Gesellschaft. Entsprechend sollten die Verbände eher stärker werden. Denn uns als IG Metall nützt es auch nichts, wenn uns ein schwacher Verband gegenüber sitzt.

Bisher wurde kein bisschen über die Laufzeit des neuen Tarifvertrags gesprochen.

Zu den Laufzeiten kommen wir wohl erst zum Ende der Verhandlungen. Die Diskussion über die Arbeitszeitensouveränität steht klar im Vordergrund. Wenn wir da eine gute Regelung finden, kann die länger laufen. Beim Entgelt streben wir eher eine kurze Laufzeit an. Denn in einer guten wirtschaftlichen Situation wie jetzt verhandeln wir gern wieder in einem Jahr.

Bei VW gab es ja in Krisenzeiten die Vier-Tage-Woche.

Das ist ein gutes Beispiel, dass Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze und die Zukunft sichern kann. Der Unterschied zu damals ist aber: Jetzt haben wir Vollauslastung. Und da stellt sich die Frage, wie die Arbeit gemacht werden kann, wenn Kollegen ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Da sagen wir: Leiharbeiter fest einstellen, die Ausbildungsquote erhöhen und arbeitslose Facharbeiter einstellen. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Arbeit dann zu gestalten. Natürlich können wir erst in ein oder zwei Jahren sagen, wie sich die 28-Stunden-Woche entwickelt.

Dann ist da noch das Rechtsgutachten der Arbeitgeber. Das sagt, die 28-Stunden-Woche wäre nicht konform mit dem Tarifeinheitsgesetz. Denn wer jetzt schon Teilzeit arbeitet, würde nicht von dem teilweisen Lohnausgleich profitieren.

Das Rechtsgutachten ist eine Nebelkerze. Ich sage immer: Wenn man keine Argumente hat, zieht man vor Gericht. Unsere Juristen sagen, dass das konform ist. Wir als IG Metall dürfen für die Themen antreten, die die Arbeitswelt gestalten. Wenn wir das am Ende in einen Vertrag fassen, muss es so formuliert sein, dass es da keine Diskriminierung gibt.

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Ein Thema sind die Schichtzulagen, die an der Küste zum Teil um die Hälfte niedriger sind als in Baden-Württemberg. Wie ist es in der Vergangenheit dazu gekommen?

Daran sieht man, dass die Tarifpolitik der IG Metall in den sieben Tarifbezirken zwar gemeinsam koordiniert wird, aber es immer wieder wirtschaftliche Situationen gibt, wo man unterschiedliche Abschlüsse macht. Und an der Küste waren wir in den letzten 20 Jahren nicht gerade in einer Hochkonjunktur – siehe Werftenkrisen und andere Krisen. So konnten wir einiges nicht so übernehmen wie in Baden-Württemberg. Dadurch gibt es hier diesen Unterschied. Aber das finden wir so nicht gerecht, insbesondere nicht innerhalb eines Konzerns wie Daimler. Bislang blockiert das Unternehmen alle Versuche, in den Tarifverhandlungen über eine Angleichung zu reden.

Werden Sie bei der dritten Verhandlungsrunde am Donnerstag in Bremen zu einem Ergebnis kommen?

Es wird auf alle Fälle eine vierte Verhandlungsrunde notwendig sein. Denn das Paket, das wir haben, ist groß. Da werden wir an dem Tag bestimmt nicht zu einem Ergebnis finden.

Die Fragen stellte Florian Schwiegershausen.

Zur Person:

Meinhard Geiken (60) ist Vorsitzender der IG Metall Küste und Verhandlungsführer für die Gewerkschaft im aktuellen Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie.

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