Die Bilder aus dem Kiewer Vorort Butscha und anderen zerstörten Städten in der Ukraine haben den Druck auf westliche Unternehmen erhöht. Die Frage lautet: Kann man mit Russland noch Geschäfte machen? Rund 30 große deutsche Unternehmen haben inzwischen ihr Ost-Engagement beendet oder ausgesetzt. Zu denen, die einstweilen im Geschäft bleiben, gehört die Bremer Molkereigenossenschaft DMK. Und auch die Bremer Logistikunternehmen BLG und Eurogate haben ihre Verbindungen nach Russland noch nicht gekappt.
Das Thema ist hochemotional: Im Internet sehen sich einige der Unternehmen, die an ihren Russland-Geschäften festhalten, Shitstorms und höhnischen Kommentaren ausgesetzt. Von der quadratischen Ritter-Sport-Schokolade kursiert im Netz die neue Geschmacksvariante "Granatsplitter – mit knackigen Schrapnell-Stücken". Die Handelskette Metro sieht ihren Namen auf russische Panzer montiert; von einer Packung Persil aus dem Hause Henkel tropft Blut.
Nach einer Zusammenstellung des US-Wirtschaftswissenschaftlers Jeffrey Sonnenfeld haben sich seit Kriegsbeginn rund 600 Unternehmen aus Russland zurückgezogen. Der Professor von der Yale University und sein Team aktualisieren und verfeinern ihre Liste laufend. Zu den deutschen Unternehmen, die ihr Russland-Geschäft beendet oder zumindest ausgesetzt haben, gehören demnach die Autohersteller BMW, Mercedes und VW, Markenartikler wie Adidas, Puma oder Hugo Boss und die Handelsketten Aldi und Obi.
Zwei Dutzend deutsche Unternehmen jedoch standen am Mittwoch noch auf der Liste in den Kategorien "Verschanzen sich" oder "Spielen auf Zeit". Dazu gehörten Industriegrößen wie Thyssenkrupp, BASF, Bayer oder Siemens, der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker, die Modekette New Yorker und der Kaffeeröster Tchibo.
Käsewerk in Bobrow
Inmitten der prominenten Namen findet sich auch der Milram-Hersteller DMK, eine Molkereigenossenschaft mit Sitz in Bremen. Das Deutsche Milchkontor hatte sich 2016 im russischen Bobrow in ein Käsewerk eingekauft – eine Reaktion auf die erste Sanktionsrunde nach der russischen Krim-Besetzung, als keine westlichen Molkereiprodukte mehr nach Russland eingeführt werden durften. Inzwischen gehört das Werk den Bremern allein und wurde im vergangenen Jahr für 23 Millionen Euro um eine zweite Fabrik erweitert. 500 Mitarbeiter stellen dort unter anderem Blauschimmelkäse, Schnittkäse, Mascarpone und Mozzarella her.
Und daran soll sich einstweilen nichts ändern. "Ein Abbruch der Produktion unserer Tochtergesellschaft in Russland würde niemandem helfen, aber vielen zusätzlich schaden", meint DMK-Sprecher Oliver Bartelt. Die Werke würden nur von russischen Landwirten mit Milch beliefert; die hergestellten Käseprodukte gingen "ausschließlich an Abnehmer des zivilen Marktes und tragen somit zur Versorgung der russischen Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln bei".
Das Russland-Geschäft mache zudem nur ein Prozent des DMK-Gesamtumsatzes aus, so Bartelt. "Mit Beginn des Krieges haben wir beschlossen, alle etwaigen Gewinne aus unserem lokalen Russlandgeschäft bis auf Weiteres für humanitäre Zwecke zu verwenden", versichert der DMK-Sprecher. Es gehe "in keiner Weise um wirtschaftliche Aspekte, sondern um humanitäre Gedanken zu einer Versorgungskrise, die aus diesem schrecklichen Krieg entsteht".
So oder so ähnlich klingen auch die Erklärungen der anderen Unternehmen, die an ihrem Russland-Geschäft festhalten. Die ukrainische Staatsführung fordert dagegen unablässig, die russische Kriegsmaschine nicht auch noch mit Steuerzahlungen westlicher Unternehmen zu unterstützen. Kurzfristig seien diese Einnahmen für den Krieg zwar nicht entscheidend, meinte Janis Kluge, Osteuropa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit". Dennoch hält er den Rückzug der Westunternehmen vom russischen Markt für richtig: "Wenn McDonald's und Ikea ihre Läden schließen oder wenn Volkswagen die Produktion einstellt, zeigt das der Bevölkerung deutlich, wie stark Russland bereits isoliert ist."
Nicht in der Liste der Yale-Ökonomen vertreten sind die Bremer Logistikunternehmen BLG und Eurogate, die ebenfalls seit Jahren enge Geschäftsbeziehungen nach Russland pflegen. Die BLG unterhält dort zwei Büros und eine Flotte von 70 Lkw für den Autotransport. "Wir haben vertragliche Verpflichtungen gegenüber unseren Kunden, denen wir unter Berücksichtigung der Sanktionen nachkommen", erklärt BLG-Sprecherin Vivien Kretschmann auf Nachfrage. "Generell reduziert sich das Volumen aber erheblich, da auch unsere Kunden entsprechend ihre Aktivitäten herunterfahren. Somit sind nicht alle Lkw im Einsatz." Ob die BLG weiter in Russland tätig bleibe, hänge von der weiteren Entwicklung ab.
Eurogate hält eine Minderheitsbeteiligung am Containerterminal Ust-Luga bei St. Petersburg. Der Umschlag sei seit Jahren rückläufig, laufe aber weiter, erklärt Eurogate-Sprecher Steffen Leuthold. "Es gibt im Unternehmen zurzeit keine Diskussion darüber, an der Beteiligung etwas zu ändern."