Bei Stephan Kill klingelt das Telefon beinahe pausenlos. Seit der Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland die Märkte in Aufruhr versetzt haben, muss der Chef der Bremer Getreidemühle Roland Mills United sein Geschäft neu organisieren: Die Beschaffung von plötzlich knapp und teuer gewordenem Weizen, Preisverhandlungen für das Mehl, die Umorganisation von Transporten, um die hohe Nachfrage zu bedienen – "es ist der perfekte Sturm", seufzt Kill. Sichtbares Zeichen der Misere sind die leeren Regale in den Supermärkten – und hohe Preise für das, was noch da ist. Auch Brot und Brötchen werden bald teurer werden.
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"Die weltweite Getreideversorgung ist furchtbar unter Druck", räumt Kill ein. Was eigentlich kein Wunder ist, wenn Krieg in einer der großen Kornkammern der Erde herrscht und Panzer statt Trecker über die Weizenfelder walzen: Normalerweise decken Russland und die Ukraine mit ihrer Weizenernte 30 Prozent der globalen Nachfrage ab – wenn die ausfallen, hat die Welt ein Problem. Und zurzeit droht genau das: Die Häfen am Schwarzen Meer sind geschlossen, die Transportwege unterbrochen. Es kommt kein Getreide mehr durch.
Konsequenz: Die Preise explodieren. "Bei Weizen sind es seit Kriegsbeginn im Schnitt 40 bis 50 Prozent", rechnet Kill vor; statt 250 Euro pro Tonne zahlt er jetzt bis zu 450. Und weil Mehl nichts anderes ist als gemahlenes Getreide, schlägt der hohe Weizenpreis voll aufs Endprodukt der Rolandmühle durch: "Mehl wird auch 40 bis 50 Prozent teurer", kündigt Kill an.
Das wird sich für die Verbraucher bald auch beim Bäcker bemerkbar machen. "Die Preise werden steigen", kündigt Günter Schmieder an, stellvertretender Obermeister der Bremer Bäckerinnung. Wie teuer Brot und Brötchen demnächst werden, lasse sich allerdings noch nicht sagen. "Wir müssen erst mal sehen, wie wir mit dieser Situation umgehen", so Schmieder.
Kein Getreide aus Russland
Trotz der explodierenden Preise: Für die Rolandmühle in Walle gibt es noch genug zu mahlen. "Wir beziehen unser Getreide nicht aus Russland und der Ukraine, sondern überwiegend aus der Region", sagt Mühlenchef Kill. 350.000 Tonnen Getreide werden am Holz- und Fabrikenhafen jährlich gemahlen, und dabei soll es auch bleiben; die 100 Arbeitsplätze seien nicht in Gefahr, versichert der Mühlenchef. Aber weil der Weizenpreis ein Weltmarktpreis ist, wird eben auch in Bremen-Walle alles teurer. "Und es ist ja nicht nur der Weizen", gibt Kill zu bedenken. "Es ist auch die Energie, das Papier, die Paletten, die Logistik." Vor allem Letzteres bereitet ihm Sorgen: Schon lange fehlt es an Frachtraum und jetzt auch an Fahrern, die vielfach aus der Ukraine kommen und plötzlich ihr Land verteidigen müssen statt Mehl auszuliefern.
Trotz allem ist Kill davon überzeugt: "Wir werden in Europa keine Hungersnot erleben. Es kann mal ruckeln und stottern und das eine oder andere Regal leer bleiben, aber es gibt keine Versorgungskrise beim Mehl." Die deutschen Bauern ernten jedes Jahr 20 bis 25 Millionen Tonnen Weizen – weitaus mehr Getreide, als im Land gegessen oder verfüttert wird. Dass auch in Bremer Supermärkten die ersten Lücken in den Regalen klaffen, ist nach Überzeugung der Hersteller und Händler allein auf Hamsterkäufe zurückzuführen. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) appelliert deshalb an die Kunden, keine Riesenvorräte anzulegen. "Wie bereits zu Beginn der Corona-Krise sollten sich die Kunden untereinander solidarisch verhalten und Produkte nur in haushaltsüblichen Mengen einkaufen", sagt Verbandssprecher Christian Böttcher.
Während deutsche Verbraucher mit steigenden Preisen, aber nicht mit einer Versorgungskrise rechnen müssen, sieht die Lage in den Entwicklungsländern schlechter aus. UN-Generalsekretär António Guterres warnt bereits vor einem "Hurricane des Hungers". Mehr als die Hälfte der Weizenlieferungen des Welternährungsprogramms (WFP) komme aus der Ukraine. Die meisten Entwicklungsländer seien auf Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine angewiesen.
Wie lange es knirschen und klappern wird im Mahlwerk des Getreidehandels, weiß im Moment niemand. "Es wird davon abhängen, ob die ukrainischen Bauern trotz des Krieges eine Ernte einfahren können und die Transportwege frei sind", sagt Mühlenchef Kill. "Dann könnte sich die Lage entspannen. Aber höhere Preise werden noch für einige Zeit bleiben."