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Nicht nur Energie und Benzin Welche Produkte wegen des Ukraine-Krieges in Deutschland teurer werden

Der Krieg in der Ukraine hat weitreichende Folgen – auch für Verbraucher in Deutschland. Der Bremer Wirtschaftsexperte Rudolf Hickel erklärt, was auf uns zukommt, und fordert die Politik zum Handeln auf.
03.03.2022, 11:36 Uhr
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Welche Produkte wegen des Ukraine-Krieges in Deutschland teurer werden
Von Sebastian Oldenborg

Der Krieg in der Ukraine sorgt nicht nur in dem osteuropäischen Land für Leid und Zerstörung, er bringt auch die Weltwirtschaft ins Wanken. Dass wegen des Konflikts und der damit verbundenen Sanktionen gegen Russland die Preise für Energie und Benzin noch weiter steigen dürften, ist längst bekannt – doch der Krieg hat auch Auswirkungen auf viele andere Produkte. Heißt: Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland müssen bei ihrem Einkauf zukünftig wohl tiefer in die Tasche greifen – und zwar bei einer ganzen Reihe von Waren.

Dabei ist der aktuelle Blick auf die Preistafeln schon ernüchternd genug. Die Inflation liegt seit geraumer Zeit über fünf Prozent, Haushaltsenergie und Sprit verteuerten sich innerhalb eines Jahres bis Februar um 22,5 Prozent, der Besuch an der Tankstelle war nach ADAC-Angaben Ende Februar so teuer wie nie zuvor – und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die Preise dort nochmals angezogen. Genau wie die Preise an der europäischen Gasbörse, die nach Angaben des Vergleichsportals Check24 nach Ausbruch des Krieges um 70 Prozent gestiegen sind. Dabei spielen direkte Kriegs- und Sanktionsfolgen noch nicht mal eine Rolle.

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Preisanstieg bei Industriemetallen kann weitreichende Folgen für Verbraucher haben

„Zwar sind bereits gegen Ende des vergangenen Jahres die Energiepreise massiv gestiegen – vor allem Gas, Öl und Kohle. Es war zu erwarten, dass sich diese Preise auf hohem Niveau stabilisieren. Doch das ohnehin schon hohe Preisniveau wird jetzt noch mal durch den Krieg in der Ukraine nach oben getrieben“, erläutert der Bremer Wirtschaftsexperte Rudolf Hickel im Gespräch mit dem WESER-KURIER. Der frühere Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen rechnet in Zukunft mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um über sechs Prozent – „wenn der Gaspreis gegenüber Ende des letzten Jahres erneut um 50 Prozent steigt“, so Hickel.

Die Energiepreise sind und bleiben maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung. Dennoch werden Krieg und Sanktionen auch in ganz anderen Bereichen des Lebens die Preise in die Höhe treiben. „Vor allem steigen die für Deutschland wichtigen Preise für Industriemetalle wie Nickel für Edelstahl, Aluminium für Leichtbaumaterialien und Palladium für Abgaskatalysatoren“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Hier sei nicht nur mit steigenden Preisen, sondern auch mit Lieferstopps zu rechnen, nachdem russische Banken aus dem weltweit anerkannten Überweisungssystem Swift ausgeschlossen wurden.

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Besonders das Beispiel Aluminium zeigt, wie weitreichend die Auswirkungen der Preissteigerung sein können. Es steckt in vielen Werkstoffen der Bauwirtschaft und wird unter anderem für den Fahrzeugbau oder als Verpackungsmaterial gebraucht. Darüber hinaus findet sich Aluminium in Lebensmitteln, Kosmetika – wie etwa Deos – und einigen Arzneimitteln.

Ukraine-Krieg: Preise für Brot oder Speiseöle könnten steigen

Doch auch andere Produkte sind vom Krieg betroffen – nicht nur durch die Sanktionen gegen Russland, sondern auch durch Produktions- und Lieferengpässe in der Ukraine. Experte Hickel sagt: „Die Ukraine ist einer der wichtigsten Lieferanten von Weizen, Mais und Sonnenblumenkernen. Dabei liegen die wichtigen agrarischen Produktionsregionen bereits in Kriegsgebieten. Das werden wir zu spüren bekommen. Das Brot wird teurer, es fehlt an der Zulieferung und es muss deshalb auf andere Märkte ausgewichen werden.“

Der europäische Bauernverband Copa Cogeca teilt dazu mit: „Die Ukraine ist der viertgrößte externe Lebensmittellieferant der EU und beliefert die EU mit einem Viertel ihrer Getreide- und Pflanzenölimporte.“ Deshalb schließt auch das Bundeslandwirtschaftsministerium eine „weitere Verteuerung von Lebensmitteln“ nicht aus.

Neben Getreideprodukten wie Brot oder Nudeln und den Waren, die aus Industriemetallen wie Nickel, Aluminium und Palladium bestehen, können Speiseöle stark von der Krise betroffen sein. Sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den größten Sonnenblumenölproduzenten der Welt. Die Speiseöl-Regale in den Läden sind aktuell sowieso schon lückenhaft besetzt. Gründe sind schlechte Ernten und Corona-Folgen. Diese Tendenz könnte sich jetzt verschärfen. Dennoch sehen Experten die Versorgungssicherheit nicht gefährdet.

Ein weiteres Beispiel: Stickstoffdünger. Dieser sei laut Deutschem Bauernverband schon vor dem Krieg sehr teuer und knapp gewesen. Er wird aus Erdgas hergestellt – entsprechend drohen auch hier die Preise für Landwirte in die Höhe zu schießen und die Verbraucherpreise damit zu steigen.

Ukraine-Krieg: Wirtschaftsexperte rechnet mit „gefährlicher Stagflation“ in Deutschland

Ob letztlich für den Verbraucher alle Produkte teurer werden, in denen entsprechende Stoffe stecken, die von steigenden Erzeugerpreisen betroffen sind, hängt laut Wirtschaftsexperte Hickel davon ab, inwieweit die Unternehmen die Preiserhöhungen an die Kunden weitergeben. „Bei den Erzeugerpreisen war es im vergangenen Jahr eher so, dass sie nicht voll überwälzt wurden, also nicht komplett beim Verbraucher landeten“, sagt Hickel. „Da steckt eine weitere Inflationsgefahr drin, weil irgendwann die Unternehmen sagen: Wir geben den Preisdruck jetzt doch weiter.“

Eine doppelte Inflationsgefahr besteht zudem darin, dass nicht nur die Einkaufspreise von Rohstoffen steigen, sondern Betriebe wie der lokale Bäcker oder Supermärkte auch die anziehenden Energiepreise, unter denen sie massiv leiden, an die Kunden weitergeben könnten.

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Der Borgfelder Hickel rechnet im laufenden Jahr in Deutschland mit einer „gefährlichen Stagflation“. Eine hohe Inflation mit über sechs Prozent gehe einher mit wirtschaftlicher Stagnation, die auch in einem absoluten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts umschlagen könne. „Dabei ist die Stagnation vor allem die Folge des deutschen Außenhandels über den Einbruch der Exporte und Importe.“

Krieg lässt russische Produkte aus den Regalen verschwinden 

Doch Produkte werden nicht nur teurer oder knapp – einige verschwinden auch völlig aus den Regalen. Denn immer mehr Lebensmittelhändler in Deutschland verbannen russische Waren aus ihren Läden. Rewe kündigte an, Lebensmittel, die in Russland produziert werden, auszulisten. Edeka will sein Warenangebot ebenfalls überprüfen. Aldi Süd hat seinen bislang einzigen Artikel aus Russland – Wodka in der 0,7-Liter-Flasche – aus dem Sortiment genommen. Und der Discounter Netto hat ebenfalls alle Produkte, die in Russland hergestellt wurden, aus den Regalen genommen. Dies betreffe etwa 15 Artikel, darunter Süßwaren, Fertiggerichte und Spirituosen, hieß es.

Rudolf Hickel fordert Hilfen für Unternehmen und Einkommensschwache

„Die bittere Erkenntnis ist: Es gibt kaum Instrumente, die inflationstreibenden strategischen Preise etwa im Energiebereich zu stoppen“, sagt Rudolf Hickel. Er meint: „Wir müssen mit guter Politik das Tal der Tränen durchschreiten. Dazu haben wir in der Corona-Krise gelernt: Unternehmen, die dadurch unverschuldet in die Insolvenzgefahr geraten, müssen staatlich Hilfe erhalten. Ich plädiere für Sanktionshilfen. Dazu gehört auch eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes. Dieses Rettungsprogramm zahlt sich aus.“

Am Donnerstag hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein Kreditprogramm für betroffene deutsche Firmen angekündigt. Unternehmen könnten dabei von den guten Zinsbedingungen des Staates profitieren, sagte er. Das Konzept werde im Kern aus der Corona-Pandemie übernommen. Ziel sei, dass sich Unternehmen, die durch den Krieg Schaden erlitten, neue Geschäftsfelder aufbauen könnten.

Ökonom Hickel sieht den Staat darüber hinaus in der Sozialpolitik gefragt. „Die aktuelle Inflation verteilt die Lasten sozial ungerecht“, sagt der Bremer. „Einkommensschwache können die steigenden Energiepreise nicht zahlen. Deshalb sind soziale Maßnahmen wie ein allgemeines Heizungsgeld und die Erhöhung der sozialen Grundsicherung erforderlich.“

Zur Person

Rudolf Hickel (80) war Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen. Er schrieb zahlreiche Bücher und lebt in Borgfeld.

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