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Cinemaxx-Chef Carsten Horn im Interview "Unser größter Wettbewerber ist die Zeit"

Im Interview mit dem WESER-KURIER spricht Cinemaxx-Chef Carsten Horn, über die Zukunft der Kinobranche und die Konkurrenz durch Streamingangebote von Netflix und Co.
01.07.2018, 22:05 Uhr
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Von Lisa Schröder

In der Vergangenheit gab es für Kinopreise nur eine Richtung – aufwärts. Nun experimentieren Sie auch in Bremen mit einem Preis von 5,99 Euro. Wie kam es zu dem Schritt?

Carsten Horn: Kino ist in Deutschland immer noch ein ganz relevantes Thema. Am meisten gehen die Menschen zwischen 16 und 29 Jahren in unsere Häuser – doch weniger. Da machen wir uns natürlich Gedanken. Sind Besucherreichweite und -frequenz nachhaltig durch deutliche Preisimpulse zu steigern? Das ist die Frage, die wir uns als Kinokette stellen. Wir wollen den Markt und seine Dynamiken in Deutschland besser verstehen und uns nicht auf Hypothesen und Meinungen stützen. Denn nur so gelingt es, aktiv Kino der Zukunft zu gestalten. Um eine Antwort zu finden, haben wir Anfang März in ausgewählten Standorten das Preismodell eingeführt. Wir wollen die Menschen auf dem Sofa aktivieren und nachhaltig verstärkt für das Medium Kino begeistern.

Geht es nicht vor allem darum, sich im Wettbewerb durchzusetzen?

Die Kernfrage ist – und das wird auch in Bremen spannend sein – was passiert: Können wir Kino als Medium weiter nach vorne bringen? In den Teststandorten unserer englischen Muttergesellschaft sind die Besucherzahlen jedenfalls signifikant gestiegen. Vor allem wächst der Markt: Leute gehen wieder ins Kino, die das vorher nicht getan haben. Dieser Hintergrund und die Beobachtungen, die wir seit dem Start unseres Preismodells machen konnten, haben uns bekräftigt, ihn auch im Cinemaxx Bremen anzubieten.

Wie groß ist denn der Anteil der Cineasten in Deutschland?

Er liegt nach den neuesten Zahlen bei 37 Prozent. Es gehen also 63 Prozent der Deutschen nicht ins Kino.

Sollen die neuen Preise dauerhaft bleiben?

Wir sehen dieses Angebot in Bremen als mittelfristigen Schritt. Cinemaxx wird nachhaltig an diesem Standort in das Kino investieren und das Angebot auf ein nächstes Level bringen. Sie dürfen gespannt sein.

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„Cinemaxx will´s wissen“ – klingt aber doch schon nach einer Ansage an Wettbewerber.

Wenn man den Satz aus dem Kontext zieht, kann man das so lesen. Wir sagen aber deutlich, dass wir Hypothesen zum Kinomarkt überprüfen wollen. Wir haben in unserer Gruppe einen Grundsatz der Unternehmenskultur, dass wir nicht emotional entscheiden, sondern faktenbasiert.

Ist der Niedrigpreis ein Abschied von der Premiumklasse?

Überhaupt nicht. Cinemaxx ist und wird eine Premium-Marke bleiben. Wir wollen eine Besucherbasis aufbauen und im Gegenteil mehr Aufenthaltsqualität schaffen. Die Kunden erwarten, dass der Screen und Sound das Beste sind, was man kriegen kann –und das bekommen sie auch jetzt schon. Außerdem wollen wir hier massiv in die Sitze investieren, damit sie größer und deutlich komfortabler sind. Kinos sind soziale Plätze und ein Gruppenerlebnis. Die Leute gehen gerne zusammen hin.

Was soll in Bremen passieren?

Das Cinemaxx Bremen wird sich voraussichtlich in den nächsten zwölf Monaten total verändern. Wir wollen einen siebenstelligen Betrag investieren. Wenn unsere Gäste das Kino betreten, werden sie im Kinofoyer ein völlig neues Designkonzept vorfinden. Es wird zudem ein ausgefeiltes Angebot an Essen und Getränken geben. Zum Beispiel Wein – und nicht nur in der Differenzierung Rot- oder Weißwein. Alle Altersgruppen sollen dort im Anschluss an die Vorführung einen Drink nehmen und den Film besprechen können.

Also weg vom amerikanischen Multiplex hin zu mehr Arthouse?

Multiplexe der heutigen Generation werden immer funktionieren, aber perspektivisch an Relevanz verlieren, wenn wir nicht etwas tun. Das haben wir schon lange verstanden. Ja, wir haben große Kinos, aber das schließt Ästhetik nicht aus. Große Kinos können genauso Plätze sein, an denen man sich gerne aufhält. In London am Leicester Square, einem großen Kino unserer Muttergesellschaft, können Sie einen Eindruck bekommen, in welche Richtung das geht. Das Vue London West End ist eine ganz neue Generation Kino, mit einer puristischen Farbwelt, die ein modernes Lounge-Feeling erzeugt, mit einer Bar, mit digitalen Foyerflächen, die fantastischen Film-Flair bringen.

Wollen Sie das Programm ebenfalls anpacken?

Wir haben insgesamt 7000 Shows die Woche. Da stellt sich natürlich die große Frage, wie wir das Programm je Kino kuratieren. Wir versuchen, immer besser zu verstehen, welche Shows, in welcher Zeit, an welchem Ort funktionieren, um noch differenzierter darauf einzugehen. In Bremen haben wir ein Publikum, das Action-Filme liebt. Wir haben an dem Standort weniger Familienbesucher als zum Beispiel in unserem Kino in Hamburg-Wandsbek.

Die Bremer wollen Action?

Ja, Action und Science-Fiction stehen ganz hoch im Kurs. In der Oscar-Saison im Februar laufen hier aber auch Filme wie „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“. Als Multiplex-Betreiber müssen wir schauen, ob wir solche Perlen überhaupt ins Programm aufnehmen können, da wir Filme ja nur vom Verleih mieten. Bestimmte Filme wie Independent- oder Arthouse-Filme werden im Release kleiner gehalten und nicht an alle Kinos verliehen. Blockbuster werden bei uns immer eine Riesenbedeutung haben. Denn letztlich steht Cinemaxx für große Leinwände, hochwertige Projektionstechnik und einen bombastischen Sound.

Um welche Kunden wollen Sie sich besonders bemühen?

Grundlegend wollen wir verschiedene Altersgruppen ansprechen. Meine Generation um die 50 und die Gruppe über 60 Jahre sind im Moment die einzigen wachsenden in der Frequenz. Traditionelle Kinos haben bei dieser Altersgruppe einen Anteil von 50 Prozent, die Multiplexe nur 25 Prozent. Aber auch die jungen Zuschauer gilt es zu mobilisieren und beispielsweise durch innovative Preismodelle zu motivieren.

In Bremen gehen die älteren Zuschauer zum Beispiel öfter in die Schauburg oder Gondel.

Letztlich ist es eine Frage der verfügbaren Inhalte, die eine Zielgruppe interessiert. Wir haben bei uns bereits seit Jahren einen Bereich, der alternative Inhalte wie Konzert- oder Opernübertragungen in unsere Kinos bringt. Seit mehr als zehn Jahren bieten wir beispielsweise die Live-Übertragungen aus der New Yorker Metropolitan Opera an. Es ist Wahnsinn, wie das angenommen wird.

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Wie haben sich die Zuschauerzahlen in Deutschland und Bremen entwickelt?

Wir bewegen uns als Multiplexkinos nach wie vor in einer konstant hohen Umsatzregion in Deutschland. Das entwickelt sich insgesamt positiv, aber mehr preis- als besuchergetrieben. Wir sehen eben, dass gerade jüngere Zielgruppen weniger ins Kino gehen.

Das Jahr 2016 war aber doch ein besonders schwieriges Jahr für die Branche.

Für die Traditionalisten waren 2016 und 2017 gut, für die Multiplexe war es in Ordnung, weil es weniger Blockbuster mit Millionenpublikum gab. Jedoch sind die Kinos nach wie vor hoch profitabel und der Branche geht es gut. Die Besucherzahlen sind nach wie vor stark. In Bremen haben wir eine sehr stetige Entwicklung und eine Besucherbasis über unserem Durchschnitt. Das Haus ist groß.

An der Sitzqualität des Kinos gab es ja durchaus auch Kritik eines Mitbewerbers hier in Bremen.

Das möchte ich nicht kommentieren. Wir haben uns die Bewertung bei Google angesehen. Dort haben wir vier von fünf Sternen. Das ist völlig vernünftig.

Klappern gehört zum Handwerk. Gilt das auch für die Kinobranche?

Ich kann das nicht beurteilen. Ich äußere mich nicht über Kollegen, denn ich finde, gerade in Deutschland sind alle Kinobetreiber sehr wichtig. Wir sind gemeinsam verantwortlich, das Medium nach vorne zu bringen. Ich habe ein hohes Interesse, dass wir uns als Branche bewegen und einen gesunden Wettbewerb haben. Wir müssen das Kino zusammen relevant machen – auch in Bremen.

Erwarten Sie hierzulande eine stärkere Konsolidierung?

Das wird so sein. Gucken Sie sich das Silicon Valley an. Google, Amazon, Facebook, Apple und Netflix – das sind starke Player. Nischen funktionieren noch. Wenn man das ansonsten gesund überleben will, ist es gut, wenn man eine Marktposition hat. Digitalisierung ist ein Riesenthema. Wir haben in der Branche deshalb gemeinsam eine Ticketplattform gegründet. Dort können Kunden Karten für jede Vorstellung in Kinos verschiedener Städte kaufen. Es ist wichtig, den Leuten einen schnellen Zugang zu geben. Denn einer unserer größten Wettbewerber, den wir haben, kommt nicht aus der Kinobranche: Das ist Zeit. Gerade in den jungen Zielgruppen steigt das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben.

Zum Feind der Kinos haben Sie auch das heimische Sofa erklärt. Doch viel mehr dürften Sie die Streamingangebote ärgern.

Die ärgern uns überhaupt nicht. Das ist sehr spannend: Die Zahlen der aktuellen Studie „Kinobesucher 2017“ zeigen, dass User von Netflix und Co. im Schnitt öfter ins Kino gehen. Die lieben Film! Die Erfindung der Fertigpizza hat auch nicht das Aus für Pizzerien bedeutet. Es gibt verschiedene Use-Cases: Wenn ich Pizza mag, möchte ich sie vielleicht manchmal in der Jogginghose auf dem Sofa essen. An einem anderen Abend hingegen hat man Lust, mit Freunden auszugehen und sich schick zu machen.

Warum ist der Kinobranche nicht eingefallen, einen Streamingdienst im Netz anzubieten?

Ich kann nicht für andere Unternehmen sprechen. Wir haben in den letzten Jahren mehrfach über das Thema nachgedacht, uns dann aber für andere Prioritäten entschieden. So müssen wir als Unternehmen auf die Anforderungen der Digitalisierung eingestellt sein. Wir haben Anfang des Jahres unsere Website komplett neu gestaltet und bieten schnellere Ticketprozesse. Wir bauen konsequent unsere digitalen Kundenbeziehungen aus. Natürlich reden wir mit Streamingdiensten über Felder möglicher Zusammenarbeit. So werden wir etwa im Oktober voraussichtlich auch wieder ein „The Walking Dead“- Special machen.

Serien sollen also eine größere Rolle spielen?

Als Zusatzangebot zu unserem Kinoprogramm ist das eine spannende Ergänzung, die wir auch schon seit einigen Jahren bieten. Wir können uns gut vorstellen, mehr Serien-Specials bei uns zu zeigen. Ihre Frage stellt sich ja auch grundlegend der Fernsehindustrie: Warum ist euch das nicht vorher eingefallen? Ich habe mich neulich mit dem CEO eines großen Hamburger Produktionsstudios ausgetauscht. Da wurde mir einmal mehr klar, wie fruchtbar Disruption sein kann. Eine Serie wie „Bad Banks“ ist einfach der Hammer. Meine Frau und ich haben die Serie an zwei Tagen hintereinander durchgesehen. Disruption hat auch etwas Gesundes – man muss es nur sportlich annehmen.

Letzte Frage: Popcorn süß oder salzig?

Süß.

Die Fragen stellte Lisa Boekhoff.

Zur Person

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Carsten Horn ist seit 2015 Chef der Kinokette Cinemaxx mit Sitz in Hamburg. Zuvor war er Leiter der Filialen von Tchibo in Deutschland. Der Hamburger hat vier Töchter.

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