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Agiles Arbeiten in Bremen Wenn Teams selbst entscheiden können

Beim agilen Arbeiten sollen die Beschäftigten mehr Eigenverantwortung bekommen. Diesen Weg gehen inzwischen in Bremen die AOK und die Sparkasse. Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus.
17.07.2023, 05:00 Uhr
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Wenn Teams selbst entscheiden können
Von Florian Schwiegershausen

"Du, Olaf, ich habe da mal eine Idee." Mit Olaf ist Olaf Woggan gemeint, der Vorstandsvorsitzende der AOK Bremen/Bremerhaven. Und die Idee stammt von einem Auszubildenden. Bei der Krankenkasse duzen die Beschäftigten den Chef und umgekehrt. Das ist Teil des agilen Arbeitens, das das Unternehmen im vergangenen Dezember eingeführt hat. Agiles Arbeiten bedeutet unter anderem: Statt in den Abläufen und der Bürokratie eines Betriebs festzustecken, will die Firma das vorausschauende Handeln der Beschäftigten fördern. Auf diese Weise soll das Unternehmen dynamischer werden und sich auf mögliche Veränderungen schneller anpassen können. Die Angestellten sollen in Teams mehr Eigenverantwortung übernehmen, statt dass der Chef von oben alles vorschreibt.

Woggan sagt: "Das Duzen zwischen den Azubis und mir ist völlig problemlos." Die größere Herausforderung sei für ein Unternehmen wie die AOK gewesen, sich an diese agilen Arbeitsprinzipien zu gewöhnen: "Die haben wir selbst entwickelt, ohne externe Berater ins Boot zu holen. Es ist völlig anders, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr ihre direkten Vorgesetzten haben und in Teams mit mehr Eigenverantwortung arbeiten." Die Umstellungsphase sei nicht einfach gewesen, aber jetzt, nach mehr als einem halben Jahr, sei die AOK Bremen/Bremerhaven an einem Punkt, an dem die Arbeitsprozesse besser laufen als zuvor.

Beschäftigte zufriedener

Der Volkswirt Matthias Sutter beschäftigt sich schon länger auch auf diesem Feld. Der Experte für experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik sieht im agilen Arbeiten den Vorteil, dass sich Teams autonom Ziele setzen und flexible Strukturen schaffen können, um diese Ziele umzusetzen: "Aus der Arbeitsplatzzufriedenheitsforschung wissen wir, dass Menschen dann am Arbeitsplatz zufrieden sind, wenn sie Entscheidungsspielräume haben und etwas gestalten können. Agiles Arbeiten fördert genau diese Art der Autonomie." Sutter und sein Team beschäftigen sich seit Jahren damit. Laut dem Wissenschaftler hängt der Erfolg der Arbeit auch davon ab, ob die Mitglieder eines Teams auch "miteinander können". Es müsse sich gut abstimmen und Kompromisse finden können.

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"Agiles Arbeiten hat meiner Meinung nach auch mit einem Vertrauensvorschuss von Unternehmen gegenüber den Mitarbeitern zu tun. Man vertraut den Mitarbeitern, die Ziele und die Wege zur Zielerreichung selbst gestalten zu können", stellt Sutter fest. Das wirke sich positiv auf die Arbeitsmotivation aus. Das agile Arbeiten müsse aber nicht unbedingt mit dem "Du" einhergehen, sagt der Wissenschaftler: "Das „Sie“ kann manchen Menschen unter Umständen helfen, Respekt und die nötige Distanz zu wahren, wenn es einmal heiß her geht und man sich nicht einig ist."

Diskussion ums Duzen

Handelskammer-Präses Eduard Dubbers-Albrecht steht dem agilen Arbeiten offen gegenüber, sagt jedoch: "Ob man mit dem 'Du' so viel erreicht, wage ich zu bezweifeln. Viel wichtiger ist es, den Beschäftigten, und damit auch die Azubis eingeschlossen, auf Augenhöhe zu begegnen, das Gespräch mit ihnen zu suchen und sich weiterzuentwickeln. Es geht auch darum, die Beschäftigten in gemeinsame Projekte einzubinden." Man brauche ein Klima im Unternehmen, bei dem die Beschäftigten spüren, dass sie ernst genommen werden und dazugehören. Das könne auch helfen bei der Suche nach weiteren Mitarbeitern in Zeiten des Fachkräftemangels.

Die Sparkasse Bremen hat sich bereits vor fast vier Jahren für ein Arbeiten ohne Hierarchien entschieden – und dazu gehört auch das "Du". "Ein Grund dafür ist die dezentrale, kundennahe Entscheidungsmöglichkeit", sagt Digitalvorstand Pranjal Kothari. "Eine hierarchische Organisation ist darauf ausgerichtet, relativ standardisierte Produkte und Prozesse immer produktiver zu machen. Das erfolgt zentral und top down", also von oben nach unten. Kothari ist sich sicher, dass die Sparkasse dadurch innovationsstärker geworden sei und Ideen schneller umsetze – auch bei Leistungen, die über das klassische Bankgeschäft hinausgehen wie eben Change-Prozesse oder die Suche nach Fachkräften.

Unterschiedliche Reaktionen

Dieser Weg habe bereits zu so manchen Besuchen von Sparkassen-Vorständen aus anderen Teilen Deutschlands geführt. Dabei stellt Kothari fest: "Die Reaktionen waren sehr vielseitig und sehr unterschiedlich – vom Kopfschütteln bis hin zu Bewunderung. Aber wir merken, das Thema bewegt und berührt jeden, ob positiv oder negativ." Auf alle Fälle sei es der richtige Weg.

Diese moderne Ausrichtung sei auch für die neue Privatkundenvorständin Frauke Hegemann ein wesentlicher Faktor gewesen, beim Geldinstitut an Bord zu gehen: "Ich empfinde dies als sehr relevant für die Zukunft der Sparkasse und vertrete diesen Weg konsequent." Das "Du" falle ihr relativ einfach, da sie bereits in anderen Unternehmen agil gearbeitet habe. Es führe oftmals auch zum Abbau kulturell verankerter Denkmodelle, die in dieser Unternehmenskultur eher hinderlich seien.

Zurück zur AOK Bremen/Bremerhaven: Sie will im September auf einem Symposium der AOK in Berlin ihre Erfahrungen weitergeben. "Dann werden wir mal schauen, wer diesen Schritt auch gehen wird", sagt der Bremer AOK-Chef Olaf Woggan.

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Wie Chefs und Angestellte ticken sollten

In dem Buch "Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt" schreibt der österreichische Verhaltensökonom Matthias Sutter, wie Beschäftigte im Unternehmen zufriedener arbeiten und wie Chefs vielleicht besser agieren sollten, damit es allen im Betrieb besser geht. Dazu hat er weltweit Studien ausgewertet und die gerade neu erschienene zweite Auflage um einige Kapitel erweitert. Wann sind Mitarbeiterprämien sinnstiftend, und wann verpufft der Effekt? Was macht die Entscheidungsfreude eines Chefs mit den Beschäftigten? Mit diesen und anderen Aspekten hat sich Sutter, der gleichzeitig Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn ist, auseinandergesetzt.

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