Volle Häfen, Container, die sich stapeln, ruhende Fabriken: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen sind auch für internationale Lieferketten eine Herausforderung. Jede Störung zeigt, wie leicht sich der Rhythmus der Warenströme aus dem Takt bringen lässt – und was das für Unternehmen und Verbraucher bedeutet.
Vor allem Firmen, die Lieferung und Produktion genauestens aufeinander abgestimmt haben, bereiten solche Verzögerungen große Probleme. Steht die globale Lieferkette, wie wir sie kennen, also vor dem Aus?
Nein, glaubt Aseem Kinra, Professor für Global Supply Chain Management an der Uni Bremen. So weitergehen wie bisher, wird es seiner Ansicht nach aber auch nicht. Kinra erwartet, dass Unternehmen ihre Lieferketten neu aufstellen werden. „Das heißt aber nicht, dass Werke aus Asien nach Bulgarien oder Rumänien verlagert werden.“ Stattdessen geht der Logistikexperte davon aus, dass Firmen ihr Risiko minimieren werden. Konkret könnte das heißen: Fertigungen in Asien belassen, aber auch neue in Europa aufbauen.
Zwar sei Corona eine Ausnahmesituation und kein wirkliches Problem der Lieferketten, sondern eine globale Herausforderung, von der sowohl Zulieferer und Abnehmer gleichermaßen betroffen seien. Dennoch geht Kinra davon aus, dass solche Ereignisse immer wieder passieren werden und sich Unternehmen daher darauf einstellen müssten: „Wenn es nicht Corona ist, ist es ein Vulkan auf Island oder ein Tsunami in Japan oder die Vogelgrippe. Das ist das neue Normal.“
Um auf solche Störungen vorbereitet zu sein, überprüft beispielsweise Autobauer Mercedes ständig seine Lieferprozesse. „Bereits seit vielen Jahren verfolgen wir außerdem die Strategie, dort einzukaufen, wo wir produzieren“, teilt eine Sprecherin mit. „Neben der lokalen Unabhängigkeit reduzieren wir damit Kosten und Risiken und leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit.“ An einer Logistik und Produktion, die just in time geplant werde, halte man aber fest. Sie sei eine „wichtige Säule“ in der Lieferkette.
Stau in den Häfen und eine verlangsamte Produktion sind aber nicht die einzigen Flaschenhälse, die Waren verknappen und teurer machen. Ein Problem liegt auch in der Schifffahrt. „Einige Routen werden infolge der Corona-Krise nicht mehr so befahren wie früher, da sich Anbieter auf die Hauptrouten konzentrieren“, sagte Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft und VWL-Professorin an der LMU München, kürzlich dem Wirtschaftsmagazin „Capital“. Sie sieht noch einen weiteren Grund: Containerschiffe seien zuletzt immer größer geworden, wodurch man Flexibilität verliere. „Das heißt, es werden nicht alle Häfen bedient, weil die Riesenfrachter nur an wenigen Häfen ihre Container laden oder entladen können.“
Wie teuer solche Verzögerungen in der Lieferkette sein können, zeigt eine aktuelle Studie der IT-Logistikfirma Interos. Bei einer Umfrage unter 900 Unternehmen kam heraus, dass Unterbrechungen im Schnitt zu einem Schaden von 184 Millionen Dollar (154 Millionen Euro) geführt haben. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft erwartet für die deutsche Volkswirtschaft einen Schaden von rund 25 Milliarden Euro für das laufende Jahr. Allein im zweiten Quartal dürfte die deutsche Wirtschaftsleistung durch die Zuspitzung der Liefersituation um etwa ein Prozent gedrückt worden sein.
Lieferketten dürften für Firmen daher immer wichtiger werden. Laut der Interos-Untersuchung will die Hälfte der befragten Unternehmen die Ausfallsicherheit ihrer Lieferketten zur obersten Priorität machen. Derzeit handhaben das nur zwei Fünftel so.
Kinra von der Uni Bremen hält das für den richtigen Weg: „Produktqualität hängt heute von mehr als nur den physischen Eigenschaften des Produkts ab.“ Wer Erfolg haben will, der müsse den Kunden mit einer Erlebniswelt überzeugen. Dazu gehöre auch, dass der Bestellprozess einfach ist, und vor allem die Lieferung schnell und reibungslos. „Unternehmen müssen ihre Produkte von Anfang bis Ende denken“, sagt Kinra.
Dafür müsse ein Unternehmen seine Lieferkette aber genau kennen. Je zeitkritischer eine Produktion sei, desto wichtiger sei es, alles im Blick zu haben und eine enge Beziehung zum Lieferanten zu haben. Wenn der aber in Asien sitze, sei das nicht immer einfach. Kinra geht daher davon aus, dass die Digitalisierung der Lieferkette weiter zunehmen wird. Sie ermögliche, einen genauen Überblick über die Produktion des Zulieferers zu bekommen – selbst wenn der am anderen Ende der Welt sitze.