In der Regel kommen Güter, Rohstoffe oder Projektladungen unbeschadet beim Kunden an. Mit der Ausnahme von dieser Regel beschäftigt sich das Bremer Unternehmen Reck & Co. Die Sachverständigen führen unter anderem die Begutachtung von Schäden für Transport- und Haftungsversicherer sowie die verladende Wirtschaft weltweit durch – so beispielsweise nach der Havarie der "MSC Zoe" im Januar 2019, als das Schiff mehr als 400 Container in der stürmischen Nordsee verlor. In besonderen Fällen werden auch Forensiker oder auch Labore hinzugezogen.
"Nach der Bergung von über 450 Containern der ,MSC Zoe', dem Abladen weiterer beschädigter Container am Eurogate-Terminal in Bremerhaven und der Freigabe durch die Behörden haben wir unmittelbar unsere Arbeit aufgenommen", so Franz Kasten, einer von drei geschäftsführenden Gesellschaftern bei Reck und Co. "Wir haben für verschiedene Auftraggeber etwa 250 der Container in einem abgesperrten Bereich des Terminals, dem sogenannten ,Zoeland', untersucht und Waren begutachtet." Das habe Wochen in Anspruch genommen, es hätten auch umfangreiche Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltschutzmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.
Ein Großteil der Container sei extrem beschädigt und für den normalen Umschlag ungeeignet gewesen. "Die Weiterbeförderung war in vielen Fällen unmöglich, die entsprechende Ladung musste in Ersatzcontainer umgestaut werden. In vielen Fällen konnten wir auch erfolgreich die unangemessene Entsorgung und Vernichtung von intakter Ladung verhindern." Neben dieser praktischen Arbeit vor Ort gehe es parallel auch immer um die Haftungsfrage.
Reck und Co. ist bei der Schadensbegutachtung und -abwicklung weltweit tätig. Das Besondere an der Arbeit sei die Vielfältigkeit, so Kasten. Ob es nun um verschimmelten Kakao gehe, um den Lastwagen, der auf der Autobahn von der Fahrbahn abgekommen und in den Graben gerutscht ist, oder die Projektladung, die bei der Verladung von dem einen auf den anderen Verkehrsträger beschädigt wurde: Das seien immer individuelle Schadensverläufe. Dennoch gebe es trotz der Unterschiede auch häufig bestimmte Muster oder ähnliche Auffälligkeiten. "Diese Erkenntnisse nutzen wir für uns, wenn wir für die Schadensprävention beauftragt werden." Das komme vor allem bei der Projektladung vor, die von den Maßen her nicht mehr in den Container passe und oft tonnenschwer sei. Die Erfahrung zeige, wie sich Fehler vermeiden ließen. So werde beispielsweise überwacht, dass auch die vom Versender markierten Anschlagspunkte an einem Packstück bei Umschlagvorgängen richtig genutzt werden. Entsprechend erstelle Reck und Co. Sicherungskonzepte und überwache den Ladevorgang – auch im Empfangshafen.
Das eigentliche Kapital des Unternehmens sei die Erfahrung. Gutachter sei kein Lehrberuf und die Berufsbezeichnung nicht geschützt. "Unsere Gutachterkollegen haben vorher zum Beispiel als Supercargo, Nautiker oder Logistikspezialisten langjährige Erfahrung gesammelt, bevor sie zu uns gekommen sind. Bei uns haben sie dann das noch fehlende gutachterliche Rüstzeug gelernt. Als Schadenagent für den Versicherungsmarkt Lloyd’s of London unterliegen wir regelmäßigen Auditierungen, und unsere Mitarbeiter müssen Fachprüfungen bei Lloyd’s absolvieren."
Die Geschichte von Reck und Co. reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück: 1848 gründet Friedrich Reck in Bremen die Firma F. Reck & Co – ein Ausrüstungs- und Verproviantierungsunternehmen für Schiffe und Auswanderer. Als der Auswandererstrom abnimmt, steigt Reck ein paar Jahre später ins Reedereigeschäft ein und wird zugleich als Privat-Assekuradeur tätig. Das war quasi der Einstieg ins spätere Gutachtergeschäft, das 1863 mit dem Eintritt Franz Heinrich Kastens, der das Havarie- und Versicherungsgeschäft von der Pike auf lernt, mehr und mehr zum Hauptbetätigungsfeld wird. 1878 erfolgt die erste offizielle Ernennung als Havarie-Kommissar durch das American Institute of Marine Underwriters. 1891 wird die Firma zum „Lloyd’s Agent“ ernannt. Beide Ernennungen der weltweit führenden Netzwerke bestehen bis heute und gelten als Gütesiegel in der Branche.
Franz Heinrich Kasten macht Karriere im Unternehmen: 1885 wird er als Partner aufgenommen. Und in den 1930er-Jahren geht die Firma Reck & Co., nach Ausscheiden des letzten Mitglieds der Familie Reck, in den alleinigen Besitz der Familie Kasten über. Mit Franz Kasten tritt 2004 die fünfte Generation der Familie Kasten in das Unternehmen Reck & Co. ein.
"Neben der Erfahrung spielt der Mix an Experten die entscheidende Rolle für ein Begutachtungsunternehmen", so Kasten. "Ich habe Spediteur gelernt, danach an der DAV in Bremen und anschließend in Oxford studiert und über 14 Jahre in der Logistik gearbeitet." Im Team von Reck und Co. – das Unternehmen hat mehr als 60 Beschäftigte – arbeiten Juristen, Ingenieure, Nautiker, Hafenspezialisten und Kaufleute aus den verschiedensten logistischen Bereichen. Und diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Geschäftsführung wider: Harald von Seydlitz-Kurzbach ist Diplom-Nautiker, und Marc Friedrich ist Jurist mit dem Schwerpunkt internationales See- und Transport-Recht. "Nicht jeder kann alles wissen, aber zusammen haben wir eben das notwendige Know-how."
Neben dem Hauptstandort in Bremen (Am Weser-Terminal 1) hat Reck und Co. Büros in Bremerhaven, Hamburg, Duisburg, Frankfurt, München und Rheinfelden sowie in Basel, Marseille, Paris und Antwerpen. Um die weltweite Schadensabwicklung abdecken zu können, "arbeiten wir mit etwa 250 Partnern zusammen", so Kasten. "Wir sind also nicht bei jedem Schadensfall weltweit direkt vor Ort, aber es kommt schon häufiger vor, dass ein Team von uns auf die Philippinen fliegt oder an einen anderen entlegenen Ort, weil der Auftraggeber eben unbedingt unsere Expertise haben möchte."