Der Arbeitstag in der Produktion der Firma Straschu beginnt auf einem Messgerät. Am Eingang der Produktionshalle schlüpfen die Mitarbeiter in einen Kittel sowie in Überzieher für ihre Schuhe und stellen sich danach auf eine Art Waage: Das Gerät misst dann ihre Spannung. Wenn dessen Lampe grün aufleuchtet, dürfen die Mitarbeiter die Schranke passieren.
Das Prozedere ist eine Sicherheitsvorkehrung. Denn wenn die Angestellten durch ihre Kleidung statisch aufgeladen wären und einen kleinen Schlag bekämen, erklärt der technische Leiter des Fertigungszentrums, Gerald Nitsch, könnten die kleinen elektronischen Bauteile einen Schaden nehmen, mit denen hier in der Produktion gearbeitet wird.
Nitsch führt an diesem Nachmittag gemeinsam mit drei weiteren Geschäftsführern durch die Produktion des niedersächsischen Elektronikunternehmens. Der Reihe nach treten die vier auf das Messgerät. Nur einmal zeigt das Licht rot, ein Schuhüberzieher muss nachjustiert werden. Dann geht es zusammen in die großen Hallen.
Die Produktion des Unternehmens erstreckt sich über eine Fläche von 6000 Quadratmetern. Hier in Groß Mackenstedt befindet sich einer der sieben Standorte des Unternehmens, das in Norddeutschland, Danzig und Shanghai insgesamt 370 Mitarbeiter beschäftigt. Straschu berät und rüstet den Industrie- und Anlagenbau aus, stellt Leiterplatten her und bestückt sie.
Die meist grünen Platten, auch Platinen genannt, leiten Strom und sind in fast jedem elektronischen Gerät zu finden – etwa in Fernsehern, Computern und Handys. Die Technik wird immer kleiner. „Wir haben schon oft gedacht, kleiner kann es nicht mehr werden“, sagt Nitsch. Der Geschäftsführer nimmt ein klitzekleines quadratisches Bauteil in die Hand.
Es ist nur ein paar Millimeter groß. „Das hier ist Technik von vor zwei Jahrzehnten. Ein Riesenbrocken.“ Und tatsächlich, es geht noch winziger: Das kleinste Bauteil auf dem Tisch vor Nitsch hat die Größe eines groben Sandkorns. Wer es nicht besser wüsste, könnte es für Staub halten. „0,4 mal 0,2 Millimeter groß“, sagt Nitsch. Diese Bauteile löten Mitarbeiter und Maschinen in der Produktion auf die Leiterplatten.
Keine Konsumentenelektronik
Überall stehen und liegen die grünen Platinen, die das 110 Jahre alte Unternehmen an Kunden in ganz Deutschland liefert. Im Alltag finden sich Straschu-Leiterplatten eher selten. „Wir stellen keine Konsumentenelektronik her“, sagt Nitsch. Die Kunden des Unternehmens sind Industriefirmen im Bereich Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik, Maschinenbauer – „die gesamte Industrie“, so Nitsch.
Die Vielfalt ist groß: Die Leiterplatten kommen beispielsweise in Flugzeugen zum Einsatz, um die Wasserversorgung zu regulieren, wie die Toilettenspülung. In Rettungswagen finden sich Straschu-Bauteile in Beatmungsgeräten für Säuglinge. Außerdem sind die Leiterplatten in Kränen sowie in Maschinen verbaut, die Taschentücher und Windeln verpacken.
Gerade sind die Platten laut Geschäftsführer Jürgen Stitz auch in einem sehr sensiblen Bereich im Einsatz: In Lasergeräten, die den Reaktor im Atomkraftwerk Fukushima nach dem Unfall schneiden. In der Stuhrer Produktion geht es vorbei an Hochregalen voller Kartons mit Leiterplatten und Bauteilen, weiter zu meterlangen Lötöfen und Arbeitsstationen, an denen Fertigungsmitarbeiter noch selbst Hand anlegen.
Die Geschäftsführer scherzen und grüßen die Mitarbeiter. Die Stimmung in der Produktion unter Hochspannung ist locker. Eins der wichtigsten Werkzeuge hier: die Lupe und das Mikroskop. Damit sucht eine Mitarbeiterin nach winzigen Verarbeitungsfehlern auf einer Leiterplatte. Für Laien ist es unmöglich, die Mängel zu erkennen.
Weil sie mit Kleinstteilen arbeiten, müssen Bewerber bei Straschu einen Sehtest absolvieren. Wichtig ist außerdem eine ruhige Hand – manche Mitarbeiter sind ehemalige Zahntechniker. Während die Technik immer kleiner wird, wächst das Unternehmen weiter. Straschu zeigt, dass Modernisierung und Automatisierung nicht Stelleneinsparungen nach sich ziehen müssen: 2017 erhielt die Firma 42 Prozent mehr Aufträge als im Vorjahr und musste dafür einen neuen Lötofen kaufen, der automatisch Bauteile auf den Leiterplatten anbringt.
Gleichzeitig stellte die Führung 30 neue Mitarbeiter ein; derzeit sind wieder genauso viele Stellen offen. Die Bewerber müssen zwar ihre Augen untersuchen lassen, sollten aber ein leichteres Spiel haben als Lothar Dreher. Als der heutige Chef der Elektronikfirmen der Gruppe sich 1977 bei Straschu bewarb, kündigten die damaligen Geschäftsführer einen Besuch bei ihm zu Hause an, um sich ein besseres Bild von dem jungen Bewerber zu machen.
Lange Firmenzugehörigkeit hat Tradition
Gesagt, getan: „Einen Tag nach dem Gespräch kamen sie vorbei. Ich habe damals noch bei meinen Eltern gewohnt. Meine Mutter hat vorher schnell durchgesaugt.“ Nach zehn Minuten war der Besuch wieder weg. Lange Firmenzugehörigkeit wie bei Dreher hat Tradition bei Straschu: Den Rekord hält eine ehemalige Angestellte und Prokuristin, die 60 Jahre im Unternehmen beschäftigt war. 1918 begann sie ihre Ausbildung im Elektronikunternehmen und arbeitete dort bis zu ihrem Ruhestand.
Der währte allerdings nicht lange: Mit 73 Jahren trat sie noch einmal an, um den erkrankten Inhaber zu vertreten, erzählt Jürgen Stitz. Für ihren Einsatz erhielt sie laut Stitz sogar das Bundesverdienstkreuz. Er selbst arbeitet wie sein Kollege Lothar Dreher seit mehr als 40 Jahren bei Straschu, kurz nach seiner Einstellung hat er der Frau vor ihrem endgültigen Ruhestand noch die Hand geschüttelt.
Die Rekordhalterin arbeitete sogar noch mit dem Gründer des Unternehmens zusammen. 1908 gründete Georg Straßburger die Firma und verdiente sein Geld zunächst mit elektrischen Lampen, denn auf den Straßen der Stadt brannten damals noch viele Gaslaternen. Der Name des Unternehmens setzt sich aus dem Nachnamen des Gründers und dem des späteren Inhabers Hermann Schumacher zusammen.