Der Jubel war groß im Jupiter-Kontrollzentrum auf dem europäischen Weltraumbahnhof Kourou (Französisch-Guayana): Eine gute Stunde nach dem Start ihrer neuen Rakete traten die Chefs der Europäischen Weltraumbehörde Esa und des Raketenbauers Ariane vor die Kameras und freuten sich über einen bis dahin fehlerfreien Auftritt ihrer Ariane 6. "Europa ist im Weltraum zurück", stellte Esa-Chef Josef Aschbacher erleichtert fest. Dass die Reise dann doch mit einer Panne enden würde, konnten die Raumfahrtmanager da noch nicht wissen.
In Europa war es neun Uhr abends, als Flugdirektor Raymond Boyce im Kontrollzentrum in Kourou den finalen Countdown einleitete. Alles war bis dahin wie am Schnürchen gelaufen: die schrittweise Inbetriebnahme der Systeme, das Betanken der Rakete, das Abarbeiten der Checklisten. "Es war einer der unkompliziertesten Countdowns, die ich erlebt habe", bekannte Stéphane Israel, Chef der Ariane-Vermarktungstochter Arianespace, in der anschließenden Pressekonferenz.
Auch der Start verlief wie im Bilderbuch: Auf einem Feuerstrahl erhob sich die mehr als 500 Tonnen schwere Rakete von Startrampe 4 in den nur leicht bewölkten Himmel über der Küstensavanne von Kourou. Auch das Abwerfen der Booster, die beim Start für den nötigen Extraschub sorgen, war gut zwei Minuten nach dem Abheben in 60 Kilometern Höhe noch von der Erde aus zu sehen. Im Kontrollzentrum brandete Beifall auf. Und in der Bremer Landesvertretung in Berlin, wo die deutschen Projektbeteiligten den Start verfolgten, bekannte Wirtschaftsstaatsrat Kai Stührenberg: "Was heute hier passiert, ist für alle, die daran beteiligt waren, ein großer Moment."
Weiter gekommen als Ariane 5
Die neue Rakete war zu diesem Zeitpunkt schon weiter gekommen als das Vorgängermodell bei seinem Erstflug im Juni 1996: Der Prototyp der Ariane 5 war wegen eines Computerfehlers 40 Sekunden nach dem Start vom Kurs abgekommen und explodiert. "Diese Bilder hatten wahrscheinlich alle so ein bisschen vor Augen", bekannte Bremens Raumfahrtkoordinator Siegfried Monser am Tag nach dem Start. Zehn Jahre Entwicklungsarbeit, die sich in Schall und Rauch auflösen – für das Ariane-Programm, das wegen erheblicher Zeit- und Kostenüberschreitungen ohnehin in der Kritik steht, wäre das ein herber Rückschlag gewesen.
Aber die sonore Stimme von Flugdirektor Boyce verkündete fortwährend: Antrieb und Flugbahn "nominal", alles wie vorgesehen. Im Bremer Ariane-Werk, wo viele Mitarbeiter den Start am Großbildschirm verfolgten, war der Jubel groß, als nach knapp acht Minuten die dort gefertigte Oberstufe zum ersten Mal zündete. Mit 18 Tonnen Schubkraft bugsierte sie ihre Fracht zielsicher durch den luftleeren Raum. Beim ersten Testflug bestand diese vorsichtshalber nur aus einigen Kleinstsatelliten und Kapseln. Zweimal zündete die "Bremer" Oberstufe – dann konnten nach gut einer Stunde Flugzeit die ersten "Passagiere" ausgesetzt werden. Und im Kontrollzentrum in Kourou traten die Chefs erleichtert vor die Kameras.
Doch im All bahnte sich kurz darauf ein Malheur an. Die Hilfsantriebseinheit (APU), die dafür sorgen soll, dass die Oberstufe – anders als beim Vorgängermodell Ariane 5 – mehrfach gezündet werden kann, schaltete sich zwar wie geplant ein weiteres Mal ein, doch kurz darauf wieder ab. "Wir wissen bislang nicht warum", bekannte Ariane-Chef Martin Sion später. Durch den Ausfall der APU, die schon in der Entwicklungsphase ein Sorgenkind der Ingenieure war, konnte auch das Triebwerk der Oberstufe nicht erneut gezündet werden – die Rakete kam vom Kurs ab.
Die letzten beiden Frachtstücke – zwei Testkapseln – blieben an Bord, und auch die Oberstufe selbst beendete ihre Reise anders als geplant: Eigentlich wollte die Esa sie durch den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen lassen, um weiteren Weltraumschrott zu vermeiden. Stattdessen kreist die gut sechs Tonnen schwere Blechbüchse nun doch weiter um die Erde.
Wie gravierend die Panne ist, muss die Auswertung der Flugdaten in den kommenden Tagen erweisen. Esa und Ariane sprechen trotzdem von einer gelungenen Mission. "Unser Hauptaugenmerk lag auf der Startphase, die mit dem Aussetzen der Satelliten endete", sagte Ariane-Chef Sion. "Das ist alles perfekt gelaufen." Der erste kommerzielle Start der Ariane 6 im Dezember mit französischen Militärsatelliten an Bord sei nicht in Gefahr.