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Ariane-Werk In Bremen läuft der Raketenbau wie am Fließband

In wenigen Tagen liefert das Bremer Ariane-Werk die erste flugtaugliche Oberstufe einer Ariane 6 aus. Doch für den neuen Produktionschef Jens Franzeck beginnt die Arbeit damit erst so richtig.
27.01.2024, 05:00 Uhr
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In Bremen läuft der Raketenbau wie am Fließband
Von Christoph Barth

Mit der Kraft von 560.000 Pferdestärken soll die Oberstufe der Ariane-6-Rakete in wenigen Monaten durchs Weltall donnern. Doch ein winziger Staubfussel oder ein Haar könnten alles zunichtemachen – wenn sie etwa die Hochleistungspumpen des Raketenmotors in der Schwerelosigkeit außer Gefecht setzen würden. Wer also dem Weltraumvehikel vor seiner Reise ins All näher kommen will, muss Kittel, Haarnetz und Überschuhe anlegen, bevor sich die Tür zum "Reinraum" öffnet – der klinisch sauberen Produktionshalle im Ariane-Oberstufenzentrum in der Airportstadt.

Das gilt auch für den Chef: Jens Franzeck ist erst seit wenigen Wochen der neue Produktionsleiter bei Ariane – Chief Operating Officer (COO), so nennt er sich. Der promovierte Wirtschaftsingenieur soll die Serienfertigung der Rakete anschieben – in allen europäischen Werken, also auch in Bremen, wo die Oberstufe montiert wird. "Unser Ziel ist es, jeden Monat eine Rakete abzuliefern", sagt er.

18 Stationen hat die Taktstraße, auf der die Oberstufe der Trägerrakete montiert wird. Auf der letzten – P18 – steht das Gerät, das die europäische Weltraumindustrie sehnlichst erwartet: "Flight Model 1", das erste flugtaugliche Exemplar der Raketenoberstufe, ist so gut wie fertig – in wenigen Tagen soll es auf ein Schiff verladen und zum Raketenstartplatz Kourou an der Nordküste Südamerikas transportiert werden.

Triebwerk kann mehrfach zünden

Von außen betrachtet, gleicht das Weltraumgefährt einem einfachen Zylinder, knapp zwölf Meter hoch, gut fünf Meter im Durchmesser. Nur die Düse des Vinci-Triebwerks, die unten herausragt, deutet darauf hin, dass das "Flight Model 1" mehr kann als eine Aluminiumröhre: Die Oberstufe ist dafür da, der kostbaren Weltraumfracht den letzten Kick zu geben, damit sie ihre Umlaufbahn erreicht. Das neueste Modell für die Ariane 6 kann sein Triebwerk sogar ab- und wieder anschalten, um die Fracht weiträumig im Weltraum zu verteilen.

Als Franzeck 2009 seinen ersten Job bei Ariane antrat, war er Produktprogrammleiter für das Vorgängermodell Ariane 5 – und hatte selbst ein paar Bedenken. "Von Raketen verstand ich damals gar nichts", räumt er ein. "Die Antwort, die ich bekam, war: ,Genau so einen brauchen wir!'" Einen, der von außen draufschaut auf die Abläufe, der die Schwächen erkennt. Auch damals sollte die Schlagzahl in der Produktion erhöht werden – Europa brauchte mehr Raketen. Das Gleiche erlebte Franzeck ein paar Jahre später bei der A400M, dem Militärtransporter von Airbus, der zu einem Desaster zu werden drohte. Sein Job war es, die Produktion endlich in Gang zu bringen.

Und nun also die Ariane 6 – auch schon vier Jahre im Verzug und von einer reibungslosen Serienfertigung weit entfernt. "Um die geplanten Stückzahlen zu erreichen, müssen wir vieles noch anders machen", räumt Franzeck ein.

Die Autoindustrie als Vorbild

Sein Vorgänger, der scheidende Operations-Chef Karl-Heinz Servos, war aus der Autoindustrie zu Ariane gekommen. Dort arbeitet man seit Jahrzehnten am Fließband, und so ähnlich wollen es die Raketenbauer jetzt auch machen: Serienfertigung im Takt, mit festen Arbeitsschritten an jeder Station – vom Laserroboter an Position P1, der die angelieferten Tanks bearbeitet, bis zum Check-out des fertigen Raketenteils am anderen Ende der Halle, Position P18. Der grobe Ablauf steht. "Aber es gibt viele kleine und mittlere Stellschrauben, an denen wir noch drehen können", sagt Franzeck. So will er das Ziel ereichen: Wenn sechs Oberstufen gleichzeitig die Taktstraße durchlaufen und sich die Bauzeit auf sechs Monate pro Exemplar einpendelt, könnte jeden Monat ein Raketenteil aus der Halle rollen.

Das "Flight Model 1" soll in den kommenden Tagen in seinen Transportcontainer verpackt werden. Die Verladung aufs Schiff ist für den 5. Februar vorgesehen – falls nichts mehr dazwischenkommt. Zuletzt hatte ein fehlgeschlagener Triebswerkstest für Unruhe gesorgt: Anfang September hatte die Oberstufe zwar ihre Feuerprobe auf dem Teststand im württembergischen Lampoldshausen bestanden. Doch der letzte "Hot Fire Test" Anfang Dezember ging schief: Diesmal sollte die Oberstufe unter verschärften Bedingungen getestet werden – um herauszufinden, was passiert, wenn nicht alles klappt wie geplant. Nach zwei Minuten jedoch schaltete sich das Triebwerk ab, weil ein paar Sensoren Alarm geschlagen hatten. Der Test musste abgebrochen werden.

Produktionschef Franzeck bleibt trotzdem zuversichtlich: "Tests sind dafür da, daraus zu lernen", sagt er. "Wenn sich das auf die Auslieferung unserer Oberstufe auswirken würde, wüsste ich das." Die europäische Raumfahrtagentur Esa will sich nächste Woche zum weiteren Zeitplan äußern. Bis dahin bleibt das Ziel: Irgendwann zwischen dem 15. Juni und dem 31. Juli soll die erste Ariane 6 in der Küstensavanne von Kourou abheben, mit der Bremer Oberstufe an der Spitze.

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