Herr Salmen, viele Menschen warten – mehr oder weniger sehnsüchtig – auf den Renteneintritt. Stattdessen haben Sie den Posten bei Wesernetz übernommen. Was hat Sie motiviert?
Hans-Ulrich Salmen: Die Netzbetreiber sind derzeit der Motor der Energiewende. Wesernetz treibt die Transformation für Bremen und Bremerhaven voran. Und dabei sind alle Netze betroffen: Wärme, Strom und Wasser. Das macht die Aufgabe enorm spannend. Ich möchte mein Wissen zur Verfügung stellen. Der Zeitplan ist ambitioniert. Bremen will 2038 klimaneutral sein. Wir müssen also noch eine Schippe drauflegen. 65 ist ein Alter – aber man gehört nicht zum alten Eisen.
Sie sind jetzt 100 Tage im Amt. Hand auf Herz: Gab es schon einen Moment, wo Sie den Schritt bereut haben?
Nein. Im Gegenteil. Es macht mir viel Spaß. Ich sehe, dass wir in diesen Zeiten etwas zusammen bewegen können – auch mit der Stadt, der BSAG oder Hansewasser. Es tut sich unheimlich viel.
Ich habe Ihnen die Frage auch deshalb gestellt, weil Wesernetz schon länger in schwierigem Fahrwasser ist. Es gibt viel Kritik am Unternehmen. Einigen dürfte bei Wesernetz der Puls steigen. Viele warten etwa extrem lange auf den Anschluss ihrer Fotovoltaikanlage.
Das kann ich dann auch verstehen. Oft liegt es nicht an einem allein. Wir müssen da aber natürlich besser werden – auch in der Kommunikation mit den Kunden. Schwere Fahrwasser? Ich bin von Hause aus Skipper.
Uns haben immer wieder Fälle erreicht. Woran liegt es? Vor allem am Fachkräftemangel?
Das ist ein Grund. Wir sind nicht allein auf der Welt. In jeder Branche gibt es den Mangel – auch an Arbeitskräften. Hinzukommt die Regulatorik. In Deutschland war zum Beispiel lange nicht bekannt, welche Zähler überhaupt eingesetzt werden sollen.
Wie sieht Ihr Plan aus?
Wir wollen stärker zeigen, dass wir ein attraktiver Arbeitgeber sind. Wir müssen auch die Ausbildung hochfahren. Viele aus der Generation der Babyboomer werden in den nächsten Jahren in Rente gehen. Wir wollen ihnen flexible Angebote machen, damit sie noch weiter für Wesernetz arbeiten möchten. Ich muss aber auch sagen: Es wird manchmal eine falsche Erwartungshaltung geweckt. Die Transformation geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein Marathon. Wir müssen alle einen langen Atem haben.
Das gilt auch für die Kunden?
Ja. Wir haben in Bremen obendrauf ein spezielles Problem: Wir haben hier noch sehr viel die alte Bremer Zählertafel. Da passen die neuen Zähler nicht einfach drauf. Die Wohnungseigentümer müssen sich darum kümmern. Es ist also ein Zusammenspiel.
Gibt es bei anderen Stadtwerken auch solche Wartezeiten?
Ja. Es hängt aber auch von den Kunden ab. In Bremen sind Fotovoltaikanlagen sehr stark gefragt. In anderen Regionen ist es die Wärmepumpe oder Wallbox. Wir sind allerdings schon besser geworden bei der Wartezeit.
Die Versorgung mit Energie und Wärme steckt mitten im Wandel – und damit auch bei Wesernetz. Was steht in den nächsten Jahren alles an?
Ganz klar der Ausbau des Wärmenetzes. Das ist ein Riesenbrocken, der da vor uns liegt – aber es ist richtig. Wenn wir es ernst meinen mit der Dekarbonisierung, dann müssen wir dort vorankommen. Wir müssen dabei auch überlegen, was wir mit dem Gasnetz machen, wenn es immer weniger genutzt wird. Eine weitere Herausforderung ist: Wie können wir unsere Stromnetze in die Zukunft bringen?
Was ist dafür nötig?
In Bremen stehen wir vor einem Paradigmenwechsel. Bremen hat bisher immer Strom nach außen transportiert. Wir hatten Kohlekraftwerke mit viel Kapazität. Die sind alle nicht mehr da – aus guten Gründen. Jetzt muss der Strom nach Bremen reintransportiert werden. Dafür sind aber die Übertragungsnetze überhaupt nicht ausgelegt. Das ist vielen gar nicht bewusst. Wir müssen in den Ausbau investieren.
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Wir haben momentan noch Kapazitäten, aber wir müssen da schnell ran, denn die Elektrifizierung schlägt in allen Bereichen durch: von der Elektromobilität bis zur Wärmepumpe. Es geht um die Versorgungssicherheit.
Gibt es schon jetzt ein Risiko?
Nein. Wir hätten nur ein Problem, wenn wir nichts machen würden. Wir haben noch Zeit. Aktuell beobachten wir auch, dass bei der Elektromobilität und den Fotovoltaikanlagen die Nachfrage ins Stocken geraten ist.
Eine positive Entwicklung gibt es bei den Balkonkraftwerken. Wie schauen Sie darauf?
Ich finde die Entwicklung gut. Heute gibt es dazu auch Speichersysteme. In anderen Ländern in Europa läuft es seit Jahren. Deutschland hat sich keinen Gefallen getan, die Balkonanlagen am Anfang zu verteufeln und mit Regularien zu verhindern. Ich war in Delmenhorst einer der Ersten mit einer Balkonanlage.
Was kommt – um aufs Gesamtbild zu schauen – auf die Bremer in den nächsten Jahren zu?
Eine ganze Menge Baustellen kommen auf die Bremer zu – auch seitens Hansewasser und BSAG. Wir müssen den Ausbau von Leitungen für Fernwärme und Strom beschleunigen. Es geht außerdem um ein Umdenken: Gasheizungen werden nicht mehr wie bisher funktionieren. Die Hausbesitzer werden etwas tun müssen. Unsere Wärmeplanung wird zeigen, in welchen Bezirken mit einer Wärmelösung zu rechnen ist und wo es auf die Wärmepumpe geht. Das sind für eine Stadt wie Bremen die beiden einzigen Optionen. Das müssen die Bürgerinnen und Bürger erkennen.
Wie schnell wird der Bremer Fernwärmeplan vorliegen?
Wir stimmen den großen Wurf gerade mit Bremen ab. Es geht dabei nicht nur um die Netze. Die Wärme muss auch irgendwie erzeugt werden – und das grün. Wir reden also über neue Großwärmepumpen und Blockheizkraftwerke.
Um wie viele geht es?
Das hängt davon ab, wie viel Wärme wir am Ende absetzen müssen. In der Stadt gibt es Unternehmen, die derzeit eine Ölheizung nutzen. Da wissen wir gar nicht, wie groß der Bedarf eigentlich ist.
Das alles bedacht: Wann rechnen Sie mit dem großen Wurf?
Wir haben seit Längerem eine Wärmeplanung mit der Stadt. Bremen ist da richtig gut. Wir sind einen Tacken schneller unterwegs als andere Kommunen. Bis Ende 2025 sollten die Pläne vorliegen. Dann sind wir schlauer.
Es entsteht durch den von der Bundesregierung vorgegebenen Weg eine Übergangszeit, in der sich einige die Frage stellen dürften: Soll ich eine Wärmepumpe installieren? Oder gibt es für mein Haus später doch einen Wärmeanschluss?
Die Unsicherheit ist da. Das war mit dem Gebäudeenergiegesetz anders geplant. Das ist aber Historie. Aus der Versorgungswirtschaft haben wir immer darauf hingewiesen: Leute, wir drehen mit der kommunalen Wärmeplanung eine Schleife und die Verbraucher werden verunsichert.
Wofür hätten Sie plädiert? Für das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck?
Für das Gebäudeenergiegesetz wie es anfangs geplant war. Da hätten die Leute Klarheit gehabt. Durch die Abkehr davon haben viele sich aus Unsicherheit noch eine Gasheizung gekauft. Das ist fatal. Die Preise für Gas werden in den nächsten Jahren rasant steigen. Bremen ist schnell unterwegs mit der Wärmeplanung. In Niedersachsen wissen einige erst viel später, was Tango ist. Da ist die Unsicherheit sehr viel größer.
Was ist mit dem Bremer Süden? Dort gibt es heute keine Fernwärme.
Da wird es um Wärmeinseln gehen – also Quartierslösungen. Das wird für das Gelände von Hachez bereits überlegt. Im Süden haben wir viel Abwärme aus der Industrie – etwa von Beck's oder Melitta. Diese Wärme ließe sich nutzen. Wir sind dazu mit den Unternehmen im Austausch.