Der Blick hinauf: Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch Baumkronen. Der Blick hinunter: Ein Schmetterling hebt ab zum Anflug über einen Bach. Und zur Naturidylle erklingt sanfte Klavierbegleitung. "Spür die Natur klimapositiv – mit Vilsa", heißt es im Werbefilm des Mineralwasserherstellers aus Bruchhausen-Vilsen. "Weil wir der Natur mehr zurückgeben, als wir von ihr geschenkt bekommen." So wie Vilsa werben auch andere Unternehmen zunehmend mit Klimaversprechen.
Aktuell kommen dabei noch vielfach Kompensationsprojekte zum Einsatz, um das Ziel der Klimaneutralität in der Bilanz überhaupt zu erreichen. Der Vorsitzende des BUND Bremen Klaus Prietzel beobachtet das ebenfalls. Von Unternehmen erwartet er jedoch, dass diese zugleich hohe Anstrengungen anstellen, um die eigenen CO2-Emissionen zu senken. Zwar gebe es ein paar Vorreiter in Sachen Klima. Zur Einschätzung des Potenzials, das noch bei den Betrieben in Bremen und der Region schlummert, sagt Prietzel aber: "Erheblich. Riesig. Die Unternehmen sind da – genauso wie alle anderen Akteure – eigentlich noch am Anfang der Strecke."
Vilsa beschäftigt sich bereits seit langer Zeit mit Klimafragen. Seit diesem Jahr ist das Gesamtsortiment nach eigenen Angaben klimaneutral. Das Unternehmen setzt auf die Einsparung von CO2 – zum Beispiel durch den Umstieg auf Elektrogabelstapler. In den vergangenen zehn Jahren sei der Ausstoß pro Flaschenabfüllung um knapp 60 Prozent reduziert worden. Ein neues Hochregallager vor Ort soll künftig für weitere Verbesserungen sorgen.
Daneben spielt aber auch hier Kompensation eine Rolle. Vilsa unterstützt seit 2006 ein Aufforstungsprojekt in Uruguay. Wo zuvor Brachland gewesen sei, würden nun vorwiegend Eukalyptusbäume gepflanzt. Gesteuert wird das Projekt über die Organisation Climate Partner. Daneben engagiert sich das Unternehmen bei Umweltprojekten in Deutschland. So ist in Bruchhausen-Vilsen ein Mischwald entstanden. Vilsa schreibt zu diesen Aktivitäten, dass man nach eigenem Verständnis damit mehr als klimaneutral sei, und dies nenne man eben klimapositiv.
Die Verwendung dieses Begriffs würde Climate Partner selbst den Kunden derweil nicht empfehlen, sagt Dieter Niewierra von der Organisation. Das lasse sich schlecht belegen. "Das ist durch unsere Arbeit nicht gedeckt." Dagegen sei der Begriff der Klimaneutralität etabliert. Climate Partner orientiere sich hier unter anderem an den Grundzügen des Kyotoprotokolls und dessen Weiterentwicklungen. Das Label „klimaneutral“ von Climate Partner bestätige, dass die CO2-Emissionen eines Unternehmens oder seiner Produkte berechnet und so weit wie möglich reduziert sowie unvermeidbare Emissionen durch zertifizierte Klimaschutzprojekte ausgeglichen wurden.
Auf einer Karte zeigt Climate Partner, welche Unternehmen sich bei der Organisation engagieren – in Bremen etwa Greenbox oder Henry Lamotte Food, in Bremerhaven die Ecocool GmbH. „Tatsächlich sehen wir, dass viele Unternehmen durch Akteure wie Greta Thunberg oder Fridays for Future wachgerüttelt wurden", so Niewierra von Climate Partner. Außerdem sei gerade in den beiden vergangenen Jahren sichtbar geworden, was Klimawandel bedeutet.
Wie Unternehmen aber mit dem Klima werben? Genau schaute unlängst die Wettbewerbszentrale hin. Aufgrund von Beschwerden mahnte sie mehrere Unternehmen ab, die mit dem Wort "klimaneutral" warben, weil dies für Verbraucher irreführend und intransparent gewesen sei. So suggerierten Aussagen wie „100 Prozent klimaneutrale Produktion“ oder „wir handeln klimaneutral“, dass die Klimaneutralität vom Unternehmen selbst erreicht worden sei. Tatsächlich erzielten die Unternehmen in den beanstandeten Fällen ihre Klimaneutralität aber durch den Kauf von CO2-Ausgleichszertifikaten.
In vier Fällen hat die Wettbewerbszentrale Unterlassungsklage gegen Unternehmen eingereicht und in einem Fall vor dem Landgericht Kiel in erster Instanz einen Erfolg verbucht. "Auch wenn die Kompensation der Restemissionen bis zur vollständigen Umstellung der Prozesse zur Vermeidung von Emissionen zu begrüßen ist, muss darauf klar hingewiesen werden", äußerte sich der zuständige Referent für umweltbezogene Werbung bei der Wettbewerbszentrale Tudor Vlah. "Erst dann kann der Kunde eine informierte Entscheidung treffen."
"Der Begriff 'klimapositiv' ist nicht geschützt. Genauso wenig wie 'klimafreundlich' und ähnlich wie 'nachhaltig', die jeder in seinem Sinne definieren kann", gibt auch Klaus Prietzel zu bedenken. Unternehmen müssten zudem genau hinschauen, um welche Klimaprojekte zum Ausgleich der Emissionen es eigentlich gehe. Im Kompensationsbereich tummelten sich verschiedene Institutionen. "Da gibt es nicht nur weiße Schafe."
Aufforstung hält Prietzel etwa grundsätzlich für einen unbedingt notwendigen Weg, um Klimabilanzen zu verbessern. Bäume binden CO2. Doch darauf dürften Unternehmen sich eben nicht ausruhen: "Wenn man Aufforstung betreibt und sich das gutschreibt, die eigenen Emissionen aber nicht anpackt, dann ist eigentlich fürs Klima nicht viel gewonnen." Und überhaupt: Es müssten Dinge in Deutschland selbst bewegt werden.
Vilsa will weiter einsparen – und kompensieren. Das Aufforstungsprojekt in Uruguay soll langfristig aufrechterhalten bleiben. Zugleich soll in die Reduktion verbleibender Emissionen investiert werden. In den nächsten zehn Jahren soll der CO2-Ausstoß pro Flaschenfüllung nochmals halbiert werden.